Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Ein Land der Unterdrückung
In Nicaragua herrscht seit einem Jahr Krise – Regierung geht mit brutaler Härte vor
MEXIKO-STADT - Es war eine Entscheidung, die Nicaraguas Opposition vor den Kopf stieß. Papst Franziskus berief vor einer guten Woche den Weihbischof von Managua, Silvio Báez, „für einige Zeit“an den Vatikan nach Rom. Báez war sichtlich verstört über diesen Ruf. Denn er beraubt die Gegner von Machthaber Daniel Ortega einer ihrer wichtigsten Identifikationsfiguren – in einer Zeit, in der die Regierung kritische Stimmen in dem mittelamerikanischen Land brutal unterdrückt.
Der 60-jährige Geistliche Baéz hat sich als scharfer Kritiker des Präsidentenpaars aus Ortega und seiner Frau und Vize-Präsidentin Rosario Murillo profiliert – und immer wieder die Unterdrückung der Proteste und die Verfolgung von Oppositionellen kritisiert. Für seine Courage hat Báez ständig Drohungen erhalten. Der Schriftsteller Sergio Ramírez, einst Vize-Präsident unter Ortega in der ersten Revolutionsregierung der 1990er-Jahre, nennt die Abberufung des Bischofs ein „erzwungenes Exil“und einen harten Rückschlag für den Kampf um Demokratie in dem zentralamerikanischen Land. Amnesty International kritisiert, dass der Vatikan eine der wichtigsten Stimmen Nicaraguas zum Schweigen gebracht habe.
Seit einem Jahr ist in dem zentralamerikanischen Land nichts mehr, wie es einmal war. Am 18. April 2018 begannen Proteste gegen eine Rentenreform der Regierung, die von den Sicherheitskräften brutal niedergeschlagen wurde und sich im Anschluss zu einem landesweiten Aufstand gegen die selbstherrliche, undemokratische und autoritäre Politik des Regierungspaares ausweiteten. Die vor allem von Studenten und der Jugend getragenen Proteste hatten und haben nur ein Ziel: den Rücktritt von Ortega und Murillo.
325 Tote in zwölf Monaten
Doch diese denken überhaupt nicht daran und ließen jeden Widerstand brutal niederschlagen. Die Interamerikanische Menschenrechtskommission spricht von 325 Toten und 2000 Verletzten in zwölf Monaten. Lokale Menschenrechtsorganisationen zählen 545 Todesopfer, die Regierung will lediglich 198 anerkennen. Das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) hat 62 000 Flüchtlinge und Exilierte gezählt. Zudem sind 89 Journalisten vor den Schergen des Regimes aus dem Land geflohen.
Nicaragua, einst Hoffnungsträger der Linken Lateinamerikas und der Welt, ist ein Land der Unterdrückung geworden. Der Präsident zeigt sich störrisch, autoritär und uneinsichtig und klammert sich mit allen Mitteln und der Hilfe des Militärs und paramilitärischer Gruppen an die Macht. Die Situation erinnert stark an die in Venezuela, wo sich auch eine angeblich linke Regierung mit Hilfe von Betrug und Unterdrückung ans Amt klammert.
Menschen in Nicaragua bezeichnen die Stimmung im Land ein Jahr nach Beginn der Proteste als von „Angst, Unsicherheit und Trauer“geprägt. Man traue sich in Restaurants, Banken oder öffentlichen Plätzen nicht mehr über Politik zu reden, weil „überall Denunzianten und Agenten der Regierung lauschen“, sagt eine Frau, die ungenannt bleiben will, im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“.
Der zweite Dialog zwischen dem Oppositionsbündnis Alianza Cívica und der Regierung ging am 3. April ohne Ergebnis zu Ende. Weder sind die 770 politischen Gefangenen freigelassen, noch gibt es eine politische Annäherung, etwa auf vorgezogene Wahlen.
Ortega, der seit 2007 regiert und die Opposition seither systematisch an den Rand gedrängt hat, verweigert jegliches Zugeständnis. Er will bis zum formellen Ablauf seines Mandats 2021 regieren. Dann soll nach seinen Vorstellungen seine Frau das Präsidentenamt übernehmen.