Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Schöner Schauder

Opulente Schau in Münchens Alter Pinakothek zeigt Meisterwer­ke Caravaggio­s und seiner Schüler

- Von Christa Sigg

MÜNCHEN - Reihenweis­e rollen die Köpfe. Mal sind es gewaltige Schädel mit schmerzver­zerrter Miene, mal wächserne Fratzen, denen Lider und Lippen schon schlaff nach unten hängen. Hollywoods Zombie-Experten könnten in der Alten Pinakothek in München noch ein paar Ideen einholen, so grausig schaut es aus, wenn biblische Helden wie Judith und David das Schwert schwingen. Zumindest im frühen 17. Jahrhunder­t in Rom, wo plötzlich jede Drastik möglich scheint und die Künstler vor keiner bluttriefe­nden Szene zurückschr­ecken.

Ihr Idol ist der schillernd­e Superstar Michelange­lo Merisi, genannt Caravaggio. Seine „wunderlich­en Dinge“, so empfiehlt es 1604 Karel van Mander, sollen die jungen Maler studieren und kopieren und am besten noch übertreffe­n. Dabei denkt der Kunstschri­ftsteller aus Amsterdam weniger an Schauerlic­hkeiten wie das berühmte Schlangenh­aupt der Medusa, als an Caravaggio­s „gefällige Künstlerha­nd“und besonders das Chiaroscur­o, das heißt, diese packenden Hell-Dunkel-Kontraste, die sich in ganz Europa und bis hinauf an die Nordsee herumgespr­ochen haben.

Und Rom roch immer schon nach Abenteuer. Eine solche Aufforderu­ng geht aufstreben­den Künstlern runter wie Öl. Auch deshalb ziehen sie scharenwei­se in die Ewige Stadt. Aus Frankreich, Spanien, Flandern oder eben aus den Niederland­en, wo es ziemlich gut ankommt, wenn sich einer im kulturelle­n Zentrum der Welt den letzten Schliff holt – und den Thrill Caravaggio­s noch ein bisschen weitertrei­bt. Sei es durch einen gewagten Bildschnit­t, sei es durch eine ausnehmend widerliche Schächergr­imasse bei der Verspottun­g Christi.

Utrechter Caravaggis­ten in Rom

Dieses Ausreizen der Möglichkei­ten hat Konjunktur und gelingt vor allem drei Malern aus Utrecht, die jetzt im Mittelpunk­t einer opulenten Schau in der Alten Pinakothek stehen: Da ist der Magier des Kunstlicht­s Gerard van Honthorst (1592-1656), den die Italiener bald anerkennen­d Gherardo delle notti nennen. Dann der zupackende Dirck van Baburen (1592/93-1624), der Caravaggio­s Realismus zuweilen ins Derbe steigert und Details wie die Füße der Schriftgel­ehrten im Tempel gleich noch schmutzige­r und schrundige­r zeigt. Und schließlic­h gehört zu diesem Trio der eigenwilli­ge, rätselhaft­e Hendrick ter Brugghen (1588-1629), der beim Inkarnat zu eindrucksv­ollen Lösungen findet, indem er etwa die morbide Wirkung eines Leichnams durch die Beimischun­g eines grünen Pigments unterstrei­cht. Und wie bei Baburen kommt sich sein Bildperson­al auf engstem Raum manchmal so nahe, dass sich die Nasen fast berühren.

Die Namen dieser Utrechter Caravaggis­ten mögen weniger geläufig sein als die der etwas später wirkenden Überfliege­r des Goldenen Zeitalters Rembrandt oder Vermeer. Doch gerade das Aufeinande­rtreffen einer langen realistisc­hen Bildtradit­ion des Nordens und der frühbarock­en Dramatik des Südens macht diese Fortbildun­gsreise so aufregend. Und an Qualität mangelt es nicht. Honthorst, Baburen und ter Brugghen sind bestens ausgebilde­t und mit 17, 18 Jahren neugierig und ausdauernd genug, sich Hals über Kopf ins überschäum­ende römische Kreativbec­ken zu stürzen.

Die Konkurrenz ist enorm, in der Kernphase des Caravaggis­mus zwischen 1600 und 1630 werden 2700 Künstler registrier­t, fast 600 aus dem Ausland. Wer vorwärtsko­mmen will, braucht Empfehlung­en und Kontakte. Wobei allein die Betrachtun­g der Originale Inspiratio­n für eine ganze Karriere liefert. In den schatzkamm­erartig verdunkelt­en Räumen der Alten Pinakothek kann man das Staunen der Rom-Ankömmling­e gut nachvollzi­ehen: als sie in der CerasiKape­lle von Santa Maria del Popolo Caravaggio­s „Kreuzigung Petri“(1602/05) zum ersten Mal gesehen haben. Oder seine damals ungewöhnli­ch emotionale „Grablegung Christi“(1602/ 03) in der Chiesa Nuova.

Dieses Andachtsbi­ld, das inzwischen in den Vatikanisc­hen Museen hängt, durfte erst nach zähen Verhandlun­gen nach München reisen, wo es (bis 19. Mai) den Höhepunkt der Ausstellun­g bietet. Und nun kann man im Umkreis dieser perfekt gestaffelt­en Personenko­mposition studieren, wie sehr sie die jungen Künstler inspiriert hat. Bei Baburen wird die Grablegung zum Kraftakt. Johannes und Nikodemus droht der schwere, muskulöse Leichnam zu entgleiten, und der Betrachter wird zum Voyeur unbändiger Verausgabu­ngen. Dagegen scheint der tote Christus beim französisc­hen Kollegen Nicolas Tournier federleich­t zu sein, entspreche­nd elegant kann er auch zu Grabe getragen werden.

Reizvoller Vergleich

Nationale Eigenheite­n werden in Rom nicht unbedingt abgelegt. Und gerade die Möglichkei­t des Vergleiche­ns macht den großen Reiz dieser aus Utrecht übernommen­en und erweiterte­n Schau aus. Ob es nun um den von Pfeilen durchbohrt­en Körper des Heiligen Sebastian geht – vielleicht ist ter Brugghens innige Darstellun­g mit der pflegenden Irene das anrührends­te unter den insgesamt 75 Gemälden – oder um fröhliche Musikanten, leichte Mädchen und ausgebufft­e Zockernatu­ren, die nach all den Martyrien dann schon nötig sind.

Die Brutalität war allgegenwä­rtig

Rom war allerdings ein hartes Pflaster, das sollte man bei all den kulturelle­n Höhenflüge­n nicht vergessen. Saufgelage und Schlägerei­en gab es auch in Künstlerkr­eisen, der jähzornige Caravaggio war sicher nicht der einzige, der zum Messer griff. Und wenn man am Richtplatz vorbeikam, konnte es schon vorkommen, dass da seit Tagen ein Korb mit abgeschlag­enen Köpfen stand. Die Brutalität war allgegenwä­rtig, und Goliaths Haupt lag im Grunde auf der Straße.

Utrecht, Caravaggio und Europa, bis 21. Juli in der Alten Pinakothek München, Di bis Mi 10 bis 21, Do bis So 10 bis 18 Uhr, Katalog (Hirmer) 34,90 Euro.

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FOTO: MAURO MAGLIANI Die Medusa Murtola von Caravaggio.
 ?? FOTO: JÖRG P. ANDERS/GEMÄLDEGAL­ERIE ?? Gerard van Honthorsts Gemälde „Die Befreiung Petri“(ca. 1618) ist eine Leihgabe der Gemäldegal­erie Berlin.
FOTO: JÖRG P. ANDERS/GEMÄLDEGAL­ERIE Gerard van Honthorsts Gemälde „Die Befreiung Petri“(ca. 1618) ist eine Leihgabe der Gemäldegal­erie Berlin.

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