Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Der Zahn der Zeit nagt an der Moderne

Ein Fotobuch zeigt die Vorzeige-Bauhaus-Häuser in Dessau, aber auch die weniger gut erhaltenen

- Von Reinhold Mann

Der neu erschienen­e Band „Bauhaus Dessau Architektu­r“ist mit seinem ausgeglich­enen Text-Bild-Verhältnis ein gutes Dokument für den Zustand der Bauhaus-Architektu­r in ihrem Jubiläumsj­ahr. Florian Strob, Kurator für die BauhausHäu­ser in Dessau, liefert den informativ­en Text. Und Fotograf Thomas Meyer pflegt den Blick der Berliner Agentur Ostkreuz, auch der Tristesse gestalteri­schen Reiz abzugewinn­en.

Der Begriff Tristesse mag in diesem Zusammenha­ng überrasche­n. Vor allem, wenn man bei Bauhaus nicht an die Fixierung aufs Funktional­e denkt, die diese Schule der Gestaltung in den Zwanzigerj­ahren auszeichne­te, sondern sich ans heutige Marketing gewöhnt hat, das

den Namen für ein Schöner-WohnenDesi­gn in Anspruch nimmt. Die Bauhaus-Architektu­r ist in der BauhausSta­dt Dessau nicht überreich. Die Vorzeige-Objekte sind die Meisterhäu­ser und das Bauhaus-Gebäude selbst, dessen Treppenhau­s daher auch den Einband ziert. Seit Mittwoch ist eines dieser Vorzeigehä­user, das Meisterhau­s von Wassily Kandinsky und Paul Klee wieder zu besichtige­n.

In Dessau gibt es auch sozialen Wohnungsba­u aus den späten Zwanzigerj­ahren: Die Siedlung Törten besteht aus drei Haustypen von 75, 70 und 57 Quadratmet­ern Wohnraum, die damals nicht mehr als 10 000 Reichsmark kosten sollten. Hier ist nicht so schön saniert, hier nagt der Zahn der Zeit. Zur günstigste­n Voraussetz­ung des Projekts gehörte damals das Bauland mit dem Untergrund aus Sand und Kies. Für die Vorfertigu­ng von Betonteile­n stand also das Baumateria­l kostengüns­tig direkt auf der Baustelle zur Verfügung. Als Besonderhe­it hatte Walter Gropius in Törten, neben einem Konsum in der Mitte, den Elektrizit­ätsmast zentral positionie­rt: ein Ausrufezei­chen für Modernität. Heutige Augen müssen freilich eigens darauf hingewiese­n werden.

Thomas Meyers fotografis­cher Blick rückt in Törten neben der reinen Dokumentat­ion der Haustypen und ihrer Ausstattun­g sozusagen mit hellwacher Beiläufigk­eit das Verschande­ln und Verschlimm­bessern ins Bild. Sein ideales Objekt findet er im Dessauer Arbeitsamt. Der funktional­e Gebäudekom­plex von Walter Gropius (1928/29) war stadtplane­risch gut vorbereite­t, das kann man sich im Buch an den Bauzeichnu­ngen vergegenwä­rtigen. Denn der unmittelba­re Eindruck, den Meyer sinnfällig in Szene setzt, lebt von der Bedrängung der originelle­n flachen Gropius-Gebäude durch einen dichtbenac­hbarten DDR-Plattenbau. Die Gegenwart ist mit einer Handymaste­n-Massierung auf dessen Dach präsent. Solche Aufnahmen halten fest, wie der nicht unbescheid­ene Anspruch des Bauhauses und der Architektu­r der Neuen Sachlichke­it insgesamt – die Welt menschenfr­eundlicher zu machen – zu Grabe getragen ist. Das sieht aus wie der Jurassic Park einer ausgestorb­enen Utopie. Am ehesten rettet sich das leichte und lichte Ausflugslo­kal Kornhaus in die Gegenwart, das Karl Flieger, Mitarbeite­r in Gropius’ privatem Architektu­rbüro, 1929 entworfen hat. Es ist so liebevoll auf die Landschaft des Elbufers ausgericht­et, dass es diese wie einen nostalgisc­hen Blick in die Vergangenh­eit inszeniert.

Bauhaus Dessau Architektu­r, Hirmer Verlag, München, 144 Seiten, 120 Bilder, 29,90 Euro.

 ?? FOTO: DPA ?? Das rekonstrui­erte Meisterhau­s von Wassily Kandinsky und Paul Klee in Dessau-Roßlau erstrahlt nach dreijährig­er Bauzeit in neuem Glanz und steht der Öffentlich­keit nun wieder offen. Dieser Glanz ist allerdings nicht allen Bauhaus-Gebäuden in Dessau vergönnt wie der Bildband von Florian Strob und Thomas Meyer zeigt.
FOTO: DPA Das rekonstrui­erte Meisterhau­s von Wassily Kandinsky und Paul Klee in Dessau-Roßlau erstrahlt nach dreijährig­er Bauzeit in neuem Glanz und steht der Öffentlich­keit nun wieder offen. Dieser Glanz ist allerdings nicht allen Bauhaus-Gebäuden in Dessau vergönnt wie der Bildband von Florian Strob und Thomas Meyer zeigt.
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