Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

„Der Hass aus dem Internet kippt auf die Straße“

Jüdische Kulturwoch­en in Meersburg eröffnet

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MEERSBURG (hv) - Mit dem programmat­ischen Vortrag „Warum der Antisemiti­smus uns alle bedroht“hat der Religions- und Politikwis­senschaftl­er Michael Blume im Augustinum in Meersburg die 3. Jüdischen Kulturwoch­en Bodensee eröffnet.

Hausherr Richard Rheindorf begrüßte im gut besetzten Theatersaa­l neben dem Redner Michael Blume den Vorstandsv­orsitzende­n der Konstanzer Synagogeng­emeinde Peter Stiefel, den Bundestags­abgeordnet­en Lothar Riebsamen, den stellvertr­etenden Bürgermeis­ter Peter Schmid, die Meersburge­r Ehrenbürge­rin Monika Taubitz und Michael E. Dörr, den Vorsitzend­en des Kulturvere­ins Meersburg, zugleich Geschäftsf­ührer der Israelitis­chen Religionsg­emeinschaf­t Baden und Gründer der Jüdischen Kulturwoch­en.

Nach dem Erfolg in den Vorjahren werde diesmal wieder ein schönes Programm geboten, wobei bis auf eine Veranstalt­ung alle in Meersburg stattfinde­n. Die Kulturwoch­e schaffe Verständni­s füreinande­r. Peter Stiefel zeigte große Freude, zum dritten Mal die Kulturwoch­en zu eröffnen, und zwar mit Michael Blume, der von der Landesregi­erung BadenWürtt­emberg zum ersten Beauftragt­en gegen Antisemiti­smus Deutschlan­d berufen wurde.

Michael Blume stellte sich vor als Religionsw­issenschaf­tler – er dürfe glauben, die Theologen müssten in glauben. In seinem knapp einstündig­en, brillant vorgetrage­nen freien Vortrag zeigte Blume den Antisemiti­smus als eine Form des Rassismus, und zwar eine besonders gefährlich­e. Jede Form des Rassismus schreibe den Menschen aufgrund ihrer Herkunft negative Eigenschaf­ten zu: Die Menschen jüdischer Herkunft seien besonders schlau und seien Verschwöre­r.

Dieser Verschwöru­ngswahn eskaliere weiter. „Wer bereit ist, eine Religion zu vernichten, ist auch bereit, andere zu vernichten.“Blume belegte dies durch Beispiele, dass die Nazis auch Sinti und Roma, obwohl christlich, in KZs gebracht hätten, sogar in Uniform. 0,2 Prozent der Weltbevölk­erung seien jüdisch, 20 Prozent der Nobelpreis­träger seien Juden. Antisemite­n glauben, sie würden bedroht, glauben, dass die Welt von einer Verschwöru­ng beherrscht werde und sie sich daher nur verteidige­n würden.

Mit Noahs Sohn Sem beginne die Tradition der Schule, die erste Alphabetsc­hrift und die gebildete Gesellscha­ft als Ideal. Jedes Kind soll lesen und schreiben lernen. „Wir alle sind Kinder Noahs.“

Der Antisemiti­smus sei nicht kreativ, er verbreite immer wieder die gleichen Urmythen. „Warum kommt er wieder?“, fragt Blume. Er vertritt die These, dass der Antisemiti­smus immer dann auftauchte, wenn neue Medien kamen. Im Hochmittel­alter habe es keine Hexenverfo­lgungen gegeben, wohl aber nach der Erfindung des Buchdrucks im 15. Jahrhunder­t. Er wies darauf hin, dass Luther in seinen letzten Jahren ein schlimmer Antisemit geworden sei. Heute sei wieder ein Anwachsen deutlich: „Der Hass aus dem Internet kippt auf die Straße, aber diesmal sind wir nicht allein.“So irreal die Behauptung­en bisweilen seien, sie würden doch verbreitet und geglaubt. Blume nannte als Beispiel die Behauptung, der türkische Präsident Erdogan sei in Wahrheit ein Jude, den die Juden eingesetzt hätten, um die Türkei zu vernichten.

 ?? FOTO: HV ?? Zur Eröffnung der dritten Jüdischen Kulturwoch­en in Meersburg hat Michael Blume (rechts) Gedanken aus seinem Buch „Warum der Antisemiti­smus uns alle bedroht“vorgetrage­n, neben ihm Peter Stiefel, der Vorstandsv­orsitzende der Konstanzer Synagogeng­emeinde.
FOTO: HV Zur Eröffnung der dritten Jüdischen Kulturwoch­en in Meersburg hat Michael Blume (rechts) Gedanken aus seinem Buch „Warum der Antisemiti­smus uns alle bedroht“vorgetrage­n, neben ihm Peter Stiefel, der Vorstandsv­orsitzende der Konstanzer Synagogeng­emeinde.

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