Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Cruyffs Enkel begeistern Europa
Die Champions League ist für Ajax ein einziger Siegeszug – doch dürfte gerade dieser Erfolg das Team sprengen
TURIN (SID) - Nach dem nächsten historischen Favoritensturz durch die spielerischen Enkelsöhne Johan Cruyffs gab es auch bei den alten Helden kein Halten mehr. Sportdirektor Marc Overmars ruinierte sich seinen Anzug per Bauchplatscher vor der Gästekurve, neben ihm tanzte Geschäftsführer Edwin van der Sar leichtfüßig in die Turiner Nacht. „Das geht um die Welt“, sagte der frühere Weltklassetorwart nach dem sensationellen 2:1 (1:1)-Triumph von Ajax Amsterdam bei Mitfavorit Juventus Turin um Superstar Cristiano Ronaldo im Viertelfinal-Rückspiel der Champions League.
„Werden von Spiel zu Spiel besser“
In der Tat: Der jungen, wilden AjaxMannschaft fliegen Europas Fußballherzen zu, weil sie dem inzwischen oft so kalten Milliardengeschäft einen Hauch Romantik verleiht. Und dies im Geiste des großen König Johan. „Wieso soll man einen reicheren Club nicht bezwingen können?“, hatte die Ajax-Legende einst gefragt: „Ich habe noch nie gesehen, dass eine Tasche voller Geld Tore schießt.“Turins 105-Millionen-Euro Mann Ronaldo tat zwar genau das (28.), doch am Ende blieb ihm nur ein verzweifeltes Frustfoul (90.+3).
Donny van de Beek (34.) und der wie Mittelfeldchef Frenkie de Jong überragende Kapitän Matthijs de Ligt (67.) schossen Ajax als erstes Team, das durch drei Quali-Runden musste, ins Halbfinale. „Das Märchen geht weiter“, schrieb „De Volkskrant“, das „Algemeen Dagblad“schwärmte vom „Überraschungsteam für die Ewigkeit“. Die Fußballprominenz aus aller Welt gratulierte via Twitter und sogar die italienische Presse feierte die „Enkelsöhne Cruyffs“(„Gazzetta dello Sport“) als „Kinder-Champions voller Persönlichkeit“(„La Stampa“).
„Das ist ein unglaublicher Abend für Ajax, seine Spieler und den niederländischen Fußball“, sagte Trainer Erik ten Hag, der Bayern München 2015 nicht mehr gut genug für die zweite Mannschaft war, „wir haben unsere Grenzen gesprengt“. In der Vorrunde hatte er bereits „seine“Bayern geärgert (1:1/3:3), im Achtelfinale völlig überraschend Titelverteidiger Real Madrid ausgeschaltet (1:2/4:1), jetzt Ronaldos Juventus.
„Wir sind ein Team aus den Niederlanden und haben der ganzen Welt gezeigt, was wir draufhaben. Wir werden von Spiel zu Spiel besser“, sagte de Ligt nach dem ersten Halbfinaleinzug Amsterdams seit 1997. Routinier Daley Blind sprach von einer „großen Geschichte. Wir spielen ohne Furcht und glauben an uns“. Das gilt vor allem für de Jong, der im Sommer zum FC Barcelona wechselt. „Er erinnert mich an Andrea Pirlo“, schwärmte Juve-Vize Pavel Nedved vom 21-Jährigen.
Allegri darf Team entwickeln
Ronaldo, den Juventus eigens für den großen Traum vom Henkelpott verpflichtet hatte, erlebte dagegen ein Drama: Erstmals seit 2010 findet das Halbfinale ohne ihn statt, die JuveAktie stürzte kurzzeitig prompt um satte 25 Prozent ab. Ajax, betonte Juve-Boss Andrea Agnelli, sei „absolut verdient“weitergekommen, „davor müssen wir den Hut ziehen“. Coach Massimiliano Allegri (Vertrag bis 2020) darf dennoch bleiben. „Der Kader ist jung und kann mit ihm weiter wachsen“, sagte Agnelli.
Anders die Situation in Amsterdam. Die Helden werden im Sommer wohl in alle Winde zerstreut. Frenkie de Jong ist sich mit dem FC Barcelona einig. Der FC Bayern München hat Interesse an Rechtsaußen Hakim Ziyech – und eben de Ligt. Doch auch Barça denkt über den 19-Jährigen nach. 70 Millionen Euro sollen fließen. Dass de Ligt ebenfalls auf der Shoppingliste von Juventus steht, ist die andere Seite des Abends. Doch dürfte das den diesjährigen Höhenflug nicht bremsen.