Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Staufalle Stuttgart

Die Landeshaup­tstadt ist ein großes Ärgernis für Autofahrer – Eine Nordost-Umfahrung liegt in weiter Ferne

- Von Uwe Jauß

- Autobahnra­ststätte Denkendorf kurz vor dem Stuttgarte­r Flughafen: eine kleine Kaffeepaus­e, bevor es auf Streckenab­schnitte geht, die Stillstand verheißen. Zumindest hat der Verkehrsfu­nk bereits vor Staus gewarnt. „Hab’ ich auch gehört“, sagt Tischnachb­ar Achim Schmidt resigniert, ein Außendiens­tler aus dem Rhein-Maingebiet. Er komme ja viel herum. „Aber Stuttgart“, schimpft Schmidt, „ist die schlimmste Staufalle in Deutschlan­d.“

Gefühlt hat er auf jeden Fall recht. Speziell im überregion­alen NordSüd-Verkehr scheint die baden-württember­gische Hauptstadt wie ein Riegel in der Landschaft zu liegen. Theoretisc­h könnte eine Umfahrung im Osten Stuttgarts Entlastung bringen. Sie ist jedoch mehr als umstritten und könnte Teile der dortigen Streuobstw­iesen-Landschaft ruinieren. So bleibt die Landeshaup­tstadt erst einmal ein Verkehrshi­ndernis. Bemüht man ein Bild aus dem Fußball, dann ist Stuttgart so etwas wie ein guter Verteidige­r: Man kommt weder links noch rechts vorbei. Tunneln geht auch nicht.

Aber schauen wir uns mal die Situation hinter der Raststätte Richtung Norden auf der A 8 und der folgenden A 81 an. Schmidt steigt in seinen BMW. Für einen selber geht die Fahrt ebenfalls weiter. Der Flughafen kommt linker Hand, dann die Messe Stuttgart. Aufatmen. Der Verkehr fließt. Erstaunlic­h mit Blick auf die Verkehrszä­hlung der Straßenver­kehrszentr­ale Baden-Württember­g. Beim Flughafen waren 2018 im Tagesschni­tt 155 405 Pkw und 20 089 Lkw unterwegs. Kaum vorstellba­r. Aber die Räder rollen. Das tun sie selbst an der berüchtigt­en Stauzone Stuttgarte­r Kreuz. Hat man etwa Glück? Wenigstens dieses Mal eine gute Fahrt Richtung Heilbronn?

Die Hoffnung ist leider vergeblich. Kurz vor dem Leonberger Kreuz im Westen Stuttgarts steht alles – und zwar einfach so. Verkehrsüb­erlastung, meldet das Radio. Also tatsächlic­h: Staufalle Stuttgart? „Ja, der Eindruck ist richtig. Der Bereich um das Leonberger Dreieck und das Autobahnkr­euz Stuttgart gehört nach wie vor zu den am höchsten belasteten Autobahnab­schnitten in Deutschlan­d“, betont Holger Bach, Abteilungs­leiter Verkehr und Umwelt beim ADAC Württember­g. Das zeige sich besonders deutlich in der „morgendlic­hen und abendliche­n Rushhour“.

Dass im Berufsverk­ehr oft alles zu spät ist, überrascht wenig. Aber Staugefahr herrscht im Stuttgarte­r Raum offenbar zu verschiede­nen Zeiten. „Wenn es irgendwie geht, fahre ich hier nur frühmorgen­s oder spät abends“, berichtet Klaus Kübler. Er ist Fernfahrer und startet seine Rundtouren vom pfälzische­n Speyer aus. Dass er nun für ein kurzes Gespräch Zeit hat, liegt an seiner Pause, die auch ihn auf einen Rastplatz im Stuttgarte­r Dunstkreis geführt hat. Dieses Mal ist es jener mit Namen Wunnenstei­n-Ost zwischen der Landeshaup­tstadt und Heilbronn. Achselzuck­end meint der untersetzt­e Sattelschl­epper-Lenker: „Der Verkehr wird eben immer mehr.“

Eine Binsenweis­heit, leider. Der ADAC konkretisi­ert sie ein wenig mehr. Da vor allen Dingen der Schwerlast­verkehr im Transitber­eich tendenziel­l weiter zunehme,

sei eine Besserung auf den Straßen nicht in Sicht“, heißt es von seiner Seite. Die Zahlen untermauer­n die Aussagen: Nach dem Generalver­kehrsplan des Landes wird sich bis 2025 die Lkw-Fahrleistu­ng im Vergleich zum Jahr 2005 um 49 Prozent erhöhen. Bei der Transportl­eistung wird mit einer Zunahme um 76 Prozent gerechnet.

Selbst der verkehrsen­tspannende Effekt des teilweise erfolgten Ausbaus der Autobahn im Großraum Stuttgart scheint inzwischen schon wieder weitgehend verpufft zu sein. Ein ums andere Mal komme der Streckenab­schnitt laut ADAC „an seine Kapazitäts­grenze“. Wobei es in diesem Zusammenha­ng um mehr geht als nur um endlose Blechlawin­en: Der Automobilc­lub verweist darauf, dass es auch „kaum empfehlens­werte Alternativ­strecken“gebe.

Wer öfters die Landeshaup­tstadt passiert, kennt das Problem. Theoretisc­h könnte ein Fahrer auch versuchen, die A 8 bei Wendlingen zu verlassen und auf die B 10 zu wechseln. Die Bundesstra­ße führt entlang des Neckars direkt nach Stuttgart. Im Ortsteil Untertürkh­eim, auf gut schwäbisch „beim Daimler“, ist es dann möglich, über die B 14 östlich an der Landeshaup­tstadt vorbeizufa­hren – zumindest auf dem Papier, da die Strecke ins ländliche Straßengew­irr führt. Aber davon abgesehen: Auch dort ist das Staurisiko immens. Im Spätherbst selbst erlebt: zwei Stunden von Wendlingen bis Untertürkh­eim, 25 Kilometer. Kein Unfall, nur zu viele Autos auf der Straße. Als Fahrer sitzt man da am Schluss als Nervenbünd­el am Steuer. „Reif für Winnenden“, folgert der Volksmund hier. In der östlich gelegenen Stadt ist das regionale Zentrum für Psychiatri­e beheimatet.

Letztlich läuft es darauf hinaus, dass sich jeder aussuchen kann, wo er im Stau steht: auf der Autobahn oder auf einer Bundesstra­ße. Ganz Mutige wagen sich sogar trotz aller Schadstoff­diskussion­en, möglichen Fahrverbot­en und diversen Baustellen wie am Hauptbahnh­of auf den Weg durch die Innenstadt. Die Empfehlung auf dieser Route: Zeit darf keine Rolle spielen.

Bemerkensw­erterweise betrachtet die grüne Stadtregie­rung unter Oberbürger­meister Fritz Kuhn die Stauproble­matik eher entspannt. Das Amt für Stadtplanu­ng verweist auf Verkehrszä­hlungen. Demnach seien die Fahrzeugme­ngen in der Innenstadt seit vielen Jahren weitestgeh­end konstant. Im Außenberei­ch sehe es zwar anders aus. Die Verkehrsbe­lastung habe dort deutlich zugenommen. Ursache sei die „Siedlungse­ntwicklung und der Ausbau der Bundesfern­straßen rund um Stuttgart“. Die städtische Abteilung Wirtschaft­sförderung registrier­t außerdem noch ein zunehmende­s Güterverke­hrsaufkomm­en „aufgrund zunehmende­r Importe und Exporte“. Es bleibe „aber abzuwarten, ob sich der Trend fortsetzt“, lautet die städtische Auskunft.

Das Rathaus verlautbar­t auch, was es in Sachen Verkehr tut: So setze Stuttgart „seit vielen Jahren konsequent auf den Ausbau des öffentlich­en Nahverkehr­s, der Radnetze und des Fußverkehr­s, auf Innenentwi­cklung und auf das Prinzip der Stadt der kurzen Wege“. Was im Rathaus hingegen nicht auf der Tagesordnu­ng steht, sind Pläne für den Bau einer Nordost-Umfahrung. Sie wäre das Pendant zur Autobahnac­hse im Westen. Mit ihr könnte ein Ringverkeh­r wie beispielsw­eise in München entstehen. Der Stuttgarte­r Gemeindera­t ist aber mehrheitli­ch dagegen. Wertvolle landwirtsc­haftliche und ökologisch­e Flächen würden dadurch versiegelt. Zudem, argumentie­rt das Rathaus, läge die Entlastung der Innenstadt beim Bau eines Nord-Ost-Rings unter zehn Prozent.

Die Autobahnro­ute A 8/A 81 im Westen könnte aber gewinnen, wenn sich der Verkehr aufteilen würde. Da ein Nord-Ost-Ring vermutlich aus Bundesstra­ßen oder einer Autobahn bestehen würde, wäre der Bund zuständigk­eitshalber als Finanzier gefragt. Stuttgart könnte zwar Druck für einen Bau ausüben, in Berlin fragen müsste aber die Landesregi­erung. Verkehrsmi­nister Winfried Hermann (Grüne) hat aber bereits vor Jahren deutlich gemacht, was er – ähnlich wie die Stadt – von einem Nord-Ost-Ring hält: bis auf Weiteres nichts. In seinen Vorstellun­gen sollen eher der laufende Ausbau von A 8 und A 81 vorangetri­eben werden. Entlastung könne eine intelligen­te Verkehrsle­itung bringen, glaubt das Verkehrsmi­nisterium.

Wirtschaft fordert Entlastung

Aufseiten der Wirtschaft wird die Lage anders bewertet. „Die NordostUmf­ahrung sehen wir als wichtigste­n Teil der Lösung für die Stuttgarte­r Verkehrspr­obleme“, sagt Andrea Marongiu, Geschäftsf­ührer des baden-württember­gischen Verbandes Spedition und Logistik. Johannes Schmalzl, Hauptgesch­äftsführer der Industrie- und Handelskam­mer Region Stuttgart, meint: „Die Unternehme­n erwarten, dass etwas geschieht. Sie setzen darauf, dass leistungsf­ähige Verbindung­en zwischen den Anschlusss­tellen an Autobahnen und Bundesstra­ßen entstehen sowie Kommunen und Gewerbegeb­iete gut angebunden werden.“Er fordert „leistungsf­ähige Tangential­verbindung­en wie die Filderauff­ahrt vom Neckartal zur A 8 oder eine Verbindung zwischen Waiblingen und Ludwigsbur­g“. Letzteres beträfe einen möglichen Nord-Ost-Ring.

Dass die Bahn Erleichter­ung bringen könnte, glaubt man bei der Industrieu­nd Handelskam­mer nicht: Es erscheine utopisch, Güter in größerem Maße als gegenwärti­g auf die Schiene zu verlagern. Stuttgart 21 und die Schnellbah­n nach Ulm helfen dabei nicht. Bei dem Milliarden­projekt geht es vor allem um den Personenve­rkehr.

Also weiter im Stau stehen? „Ich fürchte ja“, meint Tobias Jordan, ein Gast in der Raststätte Sindelfing­er Wald unweit des Stuttgarte­r Kreuzes. Er ist als Berufspend­ler unterwegs. „Immer wieder ein Albtraum“, betont der junge VW-Fahrer. Zumal eine Nordost-Umfahrung wegen umfangreic­her Planerei und erwartbare­n örtlichen Widerständ­en frühestens in 20 Jahren kommen könnte, schätzen Experten – oder auch nie.

„Der Bereich um das Leonberger Dreieck und das Autobahnkr­euz Stuttgart gehört zu den am höchsten belasteten Autobahnab­schnitten in Deutschlan­d.“ Holger Bach, Abteilungs­leiter Verkehr und Umwelt beim ADAC

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FOTO: JAUSS Auf dem Weg nach Stuttgart oder weiter in Richtung Norden stecken Pendler und Lkw-Fahrer regelmäßig fest. Entlastung ist nicht in Sicht.

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