Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Massenandrang bei der Eurobike
21 240 Besucher beim Festival Day der Eurobike – Radfahren ist ein Markt, der niemanden mehr ausschließt
21 240 Besucher informieren sich am Festival Day rundum übers Rad.
FRIEDRICHSHAFEN - Das Fahrrad ist das neue Auto. Dieser Eindruck stellt sich am Besuchertag der Eurobike unweigerlich ein, denn die Parallelen zwischen Auto und Rad wachsen. Das zeigt nicht nur der Werbeschriftzug „Schalten wie im Auto – Radfahren wie noch nie“an einem der zahllosen Messestände. Wie fürs Auto gibt es nun auch fürs Rad eine Beleuchtung mit Abblendfunktion, die Reichweiten der Akkus werden immer höher und die Ladeflächen der größten Lastenräder übertreffen locker, was in einen Kofferraum passt. Oder kriegen Sie in Ihrem Wagen eine Euro-Palette unter?
Wie diese Entwicklung sich auf den Radverkehr niederschlägt, durfte man auch auf den Häfler Radwegen schon erfahren: Wenn nach 18 Uhr die professionellen Eurobiker mit ihren breiten Lastenrädern in Richtung Supermarkt radelten, um sich mit Lebensmitteln einzudecken. Als entgegenkommender Radler konnte man da nur kapitulieren und sich eine zweite Radfahrspur wünschen – wie auf einer gewöhnlichen Straße. Für solche Herausforderungen ist das Radwegenetz der Stadt nicht ausgelegt.
Wer immer noch nicht E-Bike fährt, kann sich auf der Eurobike wie eine gestrige Minderheit vorkommen. Eine Folge dieser „Verstromisierung“ist, dass das Publikum beim Besuchertag vielseitiger geworden ist – will sagen: mitunter beleibter, aber auch älter. Radfahren ist in der Breite eben bequemer geworden. Eine Messe nur für Menschen mit strammen Waden ist die Eurobike längst nicht mehr. So wird hier auch das vierrädrige Bike für Senioren beworben, das einem Auto-Chassis nicht unähnlich ist. Aber auch für junge Familien will das Rad immer attraktiver, weil sicherer werden – durch vom Auto abgeschaute Technik. Für Kindersitze sind nun Airbags erhältlich, die Rundumschutz versprechen. Für den Kindersitz, der vor dem Lenker sitzt, gibt es eine Frontscheibe; und wenn man den Nachwuchs nicht hinten im Anhänger hat, sondern vorn in der Sitzkabine, wenn man in die Pedale tritt, kann man sich auch mit ihm unterhalten.
Freilich ist das Rad seit jeher auch ein Designobjekt. Autos haben Zierleisten, für Räder gibt’s Zierbänder zum Aufkleben. Es gibt todschicke ultraschmale Sättel, die offenbar nicht für den Po entworfen wurden, sondern eher für die Poritze. „Das ist auch nur zum Anschauen schön“, sagt ein Messegast beim Vorbeigehen.
Zunehmend verschwimmt durch die Motorisierung natürlich die Grenze zwischen Rad und Motorrad. „Du siehst aus als würdest du auf einer Harley sitzen“, sagt eine Frau zu ihrem Mann; und diese Easy-RiderGefühle sollen in der lässig zurückgelehnten Haltung, in der der Motor den Rest erledigt, wohl auch aufkommen. Immer wieder zweifelt das Auge beim Vorübergehen, ob man es hier noch mit Rädern oder nicht eher mit der Stromvariante von Mopeds zu tun hat. Und konträr zu diesem Trend einer massiven Bauweise steht wiederum die optisch möglichst vollständige Integration des Batterieblocks in den Rahmen. Dadurch werden sich solche E-Bikes optisch bald wohl gar nicht mehr von motorlosen Rädern unterscheiden. Umgekehrt scheinen die Antriebseinheiten bei den Mountainbikes immer größer zu werden. Hier hängen Batterien am Rahmen, die offenbar anstreben, mit einer einzigen Ladung das Montblanc-Massiv zu bewältigen.
Rad aus dem 3D-Drucker
Sympathisch ist der Startup-Abschnitt, in dem finanzschwache, aber kreative Tüftler ihre Ideen präsentieren: Das Rad aus dem 3D-Drucker, den Mitnahme-Grill, den man sich an den Lenker hängt, oder auch den Vollgummireifen, den es zwar schon im 19. Jahrhundert gab, aber eben nicht in so kaugummibunten Farben. Die teure Aufmachung der Messestände der großen Unternehmen der Branche wird bei den Startups durch kumpelhafte Nähe ersetzt. So klebt an einem Kasten Bier ein handgeschriebenes Schild: „Give me your mailadress – Get a beer for free“.
Wie auf jedem explodierenden Markt werden Nischen ausgefüllt, von denen man zuvor gar nicht ahnen konnte, dass es sie geben würde – Fahrradrahmen aus reinem Bambus oder aus Schichtholz etwa. Ein Fahrradschloss, das aus Textilgewebe besteht oder die vollends in den Rahmen integrierte Beleuchtung.
Sicher, um hunderte Varianten von Elektromotoren oder Felgen unterscheide zu können, darf man nicht einfach nur durchschlendern wollen. Aber auch ohne den Expertenblick stellt die Eurobike selbst die größte Schaulust zufrieden. Dabei kann man in der Weitläufigkeit der Messe schon mal den Überblick verlieren. „Papa, wo sind wir hergekommen, und wo müssen wir weiter?“, fragt ein Mädchen seinen Vater „Keine Ahnung. Aber wir kommen aus der Halle A8“, sagt er und zeigt auf die Beschilderung, die allerdings nur bis A7 reicht.
Wer nach diesem mehrstündigen Rundgang aus der Messe kommt, steht am Radständer eher ernüchtert vor seinem eigenen, doch in die Jahre gekommenen Drahtesel. Ein Effekt, den jeder kennt, der in seinen eigenen vier Wänden schon mal ein „Schöner wohnen“-Heft durchgeblättert hat.