Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Der Zeitpunkt ist günstig

- Von Ulrich Mendelin u.mendelin@schwaebisc­he.de

Von der SPD lernen, heißt siegen lernen? In letzter Zeit eher nicht. Dennoch macht es Cem Özdemir wie die Sozialdemo­kraten bei ihrer Suche nach einem Parteichef: Er kandiert im gemischten Doppel für ein Spitzenamt. Das ist neu bei den Grünen, die zwar die Doppelspit­ze erfunden, dafür aber bislang nur Einzelbewe­rber zur Abstimmung stehen hatten. Doch die unbekannte Bremerin Kirsten Kappert-Gonther an seine Seite zu nehmen, war für das grüne Schwergewi­cht Özdemir wohl notwendig, um bei den auf Proporz bedachten Grünen die Wahlchance­n zu erhöhen.

Mit der Wahl an die Fraktionss­pitze würde Özdemir dahin zurückkehr­en, wo er nach Ansicht vieler Parteifreu­nde, zumal solcher aus BadenWürtt­emberg, hingehört: in die erste Reihe. Der Zeitpunkt ist günstig. Grüne Themen stehen im Zentrum der politische­n Debatte, die Parteivors­itzenden Robert Habeck und Annalena Baerbock strahlen eine frische Dynamik aus. Die Spitzen der Bundestags­fraktion, Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter, bleiben dahinter zurück. Zwar haben sie keine groben Schnitzer gemacht, doch sind sie manchen, auch in der eigenen Fraktion, zu brav. Ein starker Rhetoriker wie Özdemir, den die Menschen kennen und der auch mal zuspitzen kann, wäre eine Alternativ­e. Zumal in einer Zeit, in der auch die politische Konkurrenz über Klimawande­l und Artenschut­z redet, und in der einer wie der CSU-Vorsitzend­e Markus Söder so tut, als wolle er am liebsten jede Biene persönlich retten.

Hinzu kommt die Entwicklun­g in Baden-Württember­g. In dem von Super-Realos geprägten Landesverb­and gilt Cem Özdemir vielen als derjenige, der in die Bresche springen müsste, sollte Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n wider Erwarten nicht noch einmal die Spitzenkan­didatur übernehmen wollen. Die Verkündung dieser Entscheidu­ng wird zeitnah erwartet, womöglich bereits in den nächsten Tagen. Vielleicht weiß Cem Özdemir ja schon mehr. Er scheint jedenfalls nicht davon auszugehen, dass demnächst ein Job in der Villa Reitzenste­in frei wird.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany