Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Das Geschäft mit der Nachhilfe

Immer mehr Schüler in Deutschlan­d nehmen profession­elle Hilfe an

- Von Finn Mayer-Kuckuk

BERLIN - Es ist lästig, aber es funktionie­rt: Marie Bhakta hat über die Ferien einen Haufen Aufgabenbl­ätter von der Mathe-Schule Kumon bekommen. Die Eltern haben sie in den vergangene­n Wochen nach Kräften motiviert, zumindest ab und zu so ein Blatt zu bearbeiten – schließlic­h ist das bedeutend langweilig­er, als mit den Freundinne­n ins Freibad zu gehen. „Aber irgendwie verstehe ich das mit dem Rechnen inzwischen besser“, sagt sie. Jetzt, zu Beginn der vierten Klasse, sieht sie sich einigermaß­en gut auf den Matheunter­richt vorbereite­t.

Nachhilfe ist in Deutschlan­d weiterhin schwer gefragt. Der Markt ist deutlich größer als noch zu Zeiten der heutigen Elterngene­ration: Es sind längst nicht mehr nur Wackelkand­idaten, die sich außerschul­ische Unterstütz­ung holen. „Auch ehrgeizige Schüler kommen zu uns, um sich beispielsw­eise vor Abiturprüf­ungen helfen zu lassen“, sagt Thomas Momotow von Studienkre­is Nachhilfe, einem der deutschen Marktführe­r. Die Nachhilfe habe ihr Stigma verloren und spreche damit breitere Gruppen von Schülerinn­en und Schülern an als früher. „Unbefriedi­gende Zensuren sind nicht mehr unbedingt ausschlagg­ebend“, stellte auch eine Studie der Bertelsman­n Stiftung von 2016 fest.

Knappe 900 Millionen Euro werden demnach in Deutschlan­d mit Nachhilfe verdient. Davon entfallen nach Angaben des Bundesverb­ands Nachhilfe- und Nachmittag­sschulen (VNN) rund 360 Millionen Euro auf profession­elle Nachhilfes­chulen und 640 Millionen auf den rein privaten Bereich, wo meist keine Steuern gezahlt werden. Der Verband sieht ebenfalls einen klaren Trend zur optimieren­den Nachhilfe statt der reinen Rettung in letzter Sekunde. „Vielen, die zu uns kommen, geht es um besonders gute Noten“, sagt Cornelia Sussieck, die Vorsitzend­e des Nachhilfev­erbands. Natürlich sei das Motiv in vielen Fällen immer noch, die Versetzung zu retten, wenn die Bewertunge­n schlechter geworden sind. Da das Niveau der Noten jedoch insgesamt besser geworden ist, reiche vielen Abiturient­en beispielsw­eise eine 2,8 nicht mehr – sie versuchen, sich durch profession­elles Coaching einen Vorteil zu verschaffe­n.

Private Nachhilfe dominiert

Der Markt ist im Wesentlich­en in vier Segmente geteilt. Einen guten Teil deckt die rein private Nachhilfe ab – wenn etwa ältere Schüler den jüngeren die Aufgaben erklären und dafür ihr Geld direkt auf die Hand bekommen. Ebenfalls gut im Rennen liegen die mittelgroß­en Nachhilfes­chulen mit regionalem Einzugsgeb­iet. Sie kennen meist die örtlichen Schulen und ihre Lehrer ganz genau. Das dritte Segment sind die großen Ketten Studienkre­is und Schülerhil­fe plus einige Konkurrent­en. Dahinter steckt meist ein Franchise-Prinzip: Die einzelnen Schulen eröffnen unter der Führung einzelner Kleinunter­nehmer, die das Logo, den Werbeauftr­itt und das Material der Kette gegen eine Gebühr mitbenutze­n dürfen und sich zugleich zu bestimmten Mindeststa­ndards verpflicht­en. In letzter Zeit sind noch reine Onlineanbi­eter als vierte Säule hinzugekom­men.

Die japanische Kette Kumon als internatio­naler Wettbewerb­er ist da bisher die Ausnahme. Schwerpunk­t ist Mathe, das am meisten nachgefrag­te Nachhilfer­fach. Das börsennoti­erte Unternehme­n bietet keine gezielten Rezepte zum Bestehen der nächsten Mathearbei­t an, sondern will wirklich Verständni­s für die Materie schaffen. Mit dem Konzept hat es die 70 Jahre alte Schulkette immerhin auf 25 000 Filialen weltweit mit Millionen von Schülern geschafft.

In Deutschlan­d haben es solche grundlegen­den Angebote jedoch immer noch schwer. „Für die meisten Eltern geht es ganz unmittelba­r um den Schulstoff und um die aktuellen Noten“, sagt Sussieck. „Die Nachhilfe hängt unmittelba­r am Schulunter­richt.“Am meisten gefragt sei gezielte Förderung, um schnelle Ergebnisse zu erhalten.

Deshalb ist auch die Zusatzausb­ildung in wirtschaft­lich gefragten Themen, die jedoch bisher kaum im Schulstoff vorkommen, auch weiterhin kein Thema der Nachhilfe. Manches Institut bietet zwar Robotik oder Programmie­ren an. „Doch im Schulunter­richt tut sich nur wenig, und die Nachhilfes­chulen folgen den Lehrplänen“, so Sussieck. „Wenn sich in den Schulen jedoch Neuerungen ergeben, dann reagieren wir sehr schnell.“

Eine potenziell wichtige Entwicklun­g sehen die Nachhilfes­chulen in der Diskussion um Aufnahmepr­üfungen an den Unis aufgrund der Einserschw­emme im Abitur. In einzelnen Studiengän­gen gibt es bereits Aufnahmepr­üfungen, beispielsw­eise in Umweltschu­tztechnik an der Universitä­t Stuttgart oder Wirtschaft­sinformati­k in Mannheim. Wenn mehr Fächer eine eigene Prüfung verlangen, werde die Nachfrage nach entspreche­nder Vorbereitu­ng wachsen, glaubt Momotow.

Immer mehr Grundschül­er

Bisher ist es jedoch die klassische Abiturvorb­ereitung, die das Geschehen dominiert. Doch gerade in den vergangene­n Jahren kommen immer mehr Grundschül­er. Die Kleinsten haben früher nur vergleichs­weise wenig Nachhilfe benötigt, jetzt wächst das Segment am schnellste­n. Für viele der Viertkläss­ler hängt der Übergang auf das Gymnasium von den Noten ab – und immer mehr Berufszwei­ge bleiben den Kids verschloss­en, wenn sie kein Abitur vorweisen können. Das selbst dann, wenn sie nicht vorhaben zu studieren. Statt Mechaniker­n sind heute eben Mechatroni­ker gefragt.

Die Digitalisi­erung macht dabei auch vor der Nachhilfe nicht halt. Einige der Ketten bieten sogar Hausaufgab­en-Soforthilf­e übers Internet an – nach Anforderun­g meldet sich innerhalb einer Viertelstu­nde ein Fachlehrer und hilft akut weiter. In den USA ist sogar schon die reine Onlinenach­hilfe populär geworden; Lehrer aus Indien bieten ihre Dienste auf Englisch weltweit an. In Deutschlan­d nutzt jedoch nach Verbandsan­gaben nur ein winziger Teil der Kunden solche Dienste. Den Eltern ist ein Lehrer vor Ort dann doch lieber.

 ?? FOTO: IMAGO IMAGES ?? Schüler auf dem Weg zur Nachhilfe: Die Kette Schülerhil­fe gehört zu den größten Anbietern von Nachhilfe in Deutschlan­d und Österreich. Das Unternehme­n hat hierzuland­e rund 1000 Standorte und gehört dem britischen Finanzinve­stor Oakley Capital.
FOTO: IMAGO IMAGES Schüler auf dem Weg zur Nachhilfe: Die Kette Schülerhil­fe gehört zu den größten Anbietern von Nachhilfe in Deutschlan­d und Österreich. Das Unternehme­n hat hierzuland­e rund 1000 Standorte und gehört dem britischen Finanzinve­stor Oakley Capital.

Newspapers in German

Newspapers from Germany