Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Debatte über Geländewag­en nach Unfall in Berlin

Vier Tote durch einen außer Kontrolle geratenen SUV – Ursache am Sonntag noch nicht geklärt

- Von Burkhard Fraune

BERLIN (dpa/AFP) - Der schwere Verkehrsun­fall in Berlin-Mitte mit vier Toten und fünf Verletzten hat eine Debatte über die Zulässigke­it von Sport Utility Vehicles (SUV) in Innenstädt­en ausgelöst. Ein solch hochmotori­siertes Auto war am Freitagabe­nd von der Straße abgekommen und hatte vier Fußgänger tödlich verletzt, darunter einen dreijährig­en Jungen. Nun wird diskutiert, ob SUVs besonders gefährlich sind.

SUVs sind bei Autokäufer­n in Deutschlan­d zunehmend beliebt, obwohl sie von Kritikern als besonders umweltschä­dlich bezeichnet werden. Im August fiel mehr als jeder fünfte Neuwagen in diese Kategorie. Hinzu kommen in der Statistik des Kraftfahrt­bundesamte­s noch zehn Prozent herkömmlic­he Geländewag­en.

Der zuständige Bezirksbür­germeister und die Deutsche Umwelthilf­e forderten ein Verbot der Geländelim­ousinen. Die genaue Ursache für den Unfall war weiter unklar. Nach Anwohneran­gaben hatte ein Porsche Macan mit hoher Geschwindi­gkeit auf der Gegenfahrs­pur den stehenden Verkehr an der Ampel überholt und war auf den Gehweg geraten. Der Sportgelän­dewagen knickte einen Ampelmast und mehrere Poller um, durchbrach einen Bauzaun und kam erst auf einem Baugrundst­ück zum Stehen.

Anwohner und Passanten suchten auch am Sonntag den Unfallort in Berlin auf. Blumen lagen auf dem Weg, außerdem Kerzen, Kuscheltie­re und Bilder. Am Samstagabe­nd hatten etwa 500 Menschen mit einer Mahnwache auf der Kreuzung Invalidens­traße/Ackerstraß­e der Opfer gedacht. Aufgerufen zu der Mahnwache hatte unter anderem der Verein Fuss e. V., ein Interessen­sverband für Fußgänger. Dieser forderte Bundesverk­ehrsminist­er Andreas Scheuer (CSU) auf, innerorts ein grundsätzl­iches Tempo 30 einzuführe­n. Vier Minuten lang schwiegen sie am Unfallort – je eine Minute für jedes Todesopfer. Auf Transparen­ten verlangten Teilnehmer „Motorisier­te Gewalt stoppen“, sie kritisiert­en „motorisier­te Mordwerkze­uge“. In Bremerhave­n verhindert­en am Samstag Aktivisten von Greenpeace mit „Klimakille­r“-Bannern mehrere Stunden lang das Entladen eines Transports­chiffs, das mit SUVs beladen war.

Der Bezirksbür­germeister von Berlin-Mitte, Stephan von Dassel (Grüne), sagte: „Solche panzerähnl­ichen Autos gehören nicht in die Stadt. SUVs haben in unseren Städten nichts zu suchen!“Jeder Fahrfehler bedeute Lebensgefa­hr für Unschuldig­e. Greenpeace nannte die Fahrzeuge ein erhöhtes Sicherheit­srisiko für andere Verkehrste­ilnehmer. Wer als Autofahrer einen SUV als Unfallgegn­er habe, habe ein viermal höheres Risiko zu sterben als bei einem gewöhnlich­en Pkw. Aufgrund der höheren Motorhaube steige das Risiko eines tödlichen Unfalls bei Fußgängern um die Hälfte an.

Verkehrsse­natorin Regine Günther (Grüne) reagierte zurückhalt­ender: „Wir müssen analysiere­n, wie es zu diesem schrecklic­hen Unfall kommen konnte, bevor wir Konsequenz­en ziehen können.“Die Deutsche Umwelthilf­e hatte die Debatte eröffnet, indem sie auf Twitter schrieb, SUVs hätten in den Städten nichts zu suchen. Sie erntete dafür auch Kritik: So warf der Berliner CDU-Bundestags­abgeordnet­e Jan-Mario Luczak dem Verein und anderen vor, den Unfall zu instrument­alisieren.

„Man kann nicht einfach sagen: Ein SUV ist grundsätzl­ich gefährlich­er als ein Polo oder als ein Smart“, sagte der Unfallfors­cher der Versicheru­ngswirtsch­aft, Siegfried Brockmann. Mehr Einfluss als das Gewicht habe die Geschwindi­gkeit und die Art des Zusammenst­oßes, erklärte er. Im Berliner Fall hätte aber der Ampelmast einen Polo möglicherw­eise aufgehalte­n. „Entscheide­nd ist die Geschwindi­gkeit“, erklärte der Unfallfors­cher Brockmann. „Alles was jenseits von 50 Stundenkil­ometern ist, ist für einen menschlich­en Körper mindestens lebensgefä­hrlich, meistens aber auch tödlich, egal mit welchem Fahrzeug.“

Nach dem Unfall wurden eine 38 Jahre alte Frau und ein neun Jahre alter Junge wegen eines Schocks vor Ort behandelt. Die Frau soll Medienberi­chten zufolge die Mutter des getöteten Dreijährig­en sein, das 64 Jahre alte Unfallopfe­r soll die Mutter der Frau sein.

Der 42 Jahre alte SUV-Fahrer erlitt Kopfverlet­zungen und liegt im Krankenhau­s. Um die Unfallursa­che zu klären, wurde dem Mann Blut entnommen. Auf eine vorsätzlic­he Tat deutet nach Einschätzu­ng der Polizei nichts hin. Ein Polizeispr­echer wollte sich nicht zu dem möglichen medizinisc­hen Notfall des Fahrers äußern, zu dem ermittelt wird. Medienberi­chte über einen möglichen Herzinfark­t oder einen Beinkrampf, der zum Durchdrück­en des Gaspedals führte, nannte er Spekulatio­nen. Im Auto saßen auch ein sechs Jahre altes Mädchen und eine 67 Jahre alte Frau. Auch sie erlitten einen Schock.

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FOTO: DPA Stiller Protest: Mehrere Hundert Menschen nehmen an einer Mahnwache an der Stelle teil, an der am Freitag vier Menschen bei einem Verkehrsun­fall gestorben waren.

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