Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Gesänge von Petri Tränen und bitterlicher Reue
Mit Orlando di Lassos Madrigalzyklus führt Nikolaus Henseler mit sieben Solisten in die Hochrenaissance
FRIEDRICHSHAFEN - Von der Trauerarbeit des heiligen Petrus nach seiner dreimaligen Verleugnung des Herrn spricht Orlando di Lassos erschütternde Komposition „Lagrime di San Pietro“, welche Nikolaus Henseler am Freitagabend als Solistenkonzert der Camerata Serena in der Peter-und-Paul-Kirche in Schnetzenhausen aufgeführt hat.
Orlando di Lassos 1594 drei Wochen vor seinem Tod vollendete „Bußtränen des heiligen Petrus“, so der deutsche Titel, gelten als Höhepunkt der geistlichen Madrigal-Tradition, als Meisterwerk der Hochrenaissance und zugleich als Testament des Komponisten. In 20 Madrigalen vertont er den Gedichtszyklus „Lagrime“des italienischen Dichters Luigi Tansillo, ihnen folgt zum Abschluss eine lateinische Motette. Die Zahl 21 ist ebenso symbolhaft gemeint wie die siebenstimmige Besetzung, gilt doch die Zahl sieben als Symbol für Trauer und Leid wie für Maria, die „Mutter der sieben Schmerzen“. Nicht die Stammsänger der Camerata Serena, sondern sieben Solisten aus dem Raum Stuttgart hat Nikolaus Henseler für die anspruchsvolle A-cappella-Aufführung handverlesen: Sopran, Alt und Bass, dazu je zwei Tenöre und Baritone, alle bereits erfolgreich als Lied- oder Opernsänger, Stimmbildner, Chordirigenten oder Dozenten tätig.
Das Programmheft mit einer Einführung und den in Italienisch und Deutsch abgedruckten Texten wie auch Henselers Einführungen vor den einzelnen Themenblöcken helfen den Zuhörern zum Verständnis – zugleich ermuntert er auch dazu, den Gesang, ohne mitzulesen, auf sich wirken zu lassen. Auch wenn die Renaissance die Klage des Petrus nicht so expressiv herausschleudert wie spätere Musikepochen, spürt man nach kurzem Einhören, wie intensiv der Komponist in Gedanken und Seelenleben des bis ins Mark erschütterten Petrus eindringt, wie emotional die Klagelieder die innere Not, den lebenslangen Leidensweg des Apostels darstellen. In polyphonen und homophonen Phasen erzählt der Zyklus zunächst vom Geschehen, von Petri dreimaliger Verleugnung seines Herrn, um dann das Augenmerk auf dessen Blick zu richten: Wie Pfeile dringen Jesu Blicke in Petri Herz, zeigen ihm, wie grausam der Verrat den leidenden Meister getroffen hat. Eindringlich führt der Gesang vor Augen, wie Petrus erst zu
ANZEIGE Eis erstarrt, wie die Erstarrung endlich weicht und die Tränen fließen lässt. In immer neuen Wellen rollen sie heran, Nacht für Nacht, ein Leben lang. Es ist der alternde Petrus, der voller Scham zurückblickt, den der Verrat nicht mehr loslässt. Das Leben ist ihm nichts mehr wert, immer dringlicher ist sein Verlangen, das verwirkte Leben zu verlassen. Wunderbar tragen die Sänger diese Emotionen bald leise, bald dramatisch in den Raum bis zur letzten Motette, die, so Henseler, die Tränen des Petrus in die Tränen Jesu verwandelt, dessen tiefe Enttäuschung von den Menschen zeigt: „Sind auch groß die äußeren Schmerzen, sind doch die inneren noch heftiger, da so undankbar ich dich muss sehen.“
Ein stimmiger Abschluss des eindringlichen Konzerts war der Schlusschoral des ersten Teils von Bachs Johannespassion: „Petrus, der seinen Gott verneinet, der doch auf ein‘ ernsten Blick Bitterlichen weinet.“