Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
(Fast) Alle lieben Klinsmann
Beim Benefizspiel des Ex-Bundestrainers in der Heimat Geislingen bleibt kein Auge trocken
GEISLINGEN - Sturzbäche prasseln vom Himmel bei einem der verregnetesten Spätsommertage, den die Schwäbische Alb je erlebt haben dürfte. Aber beim Betreten des Stadions Eybacher Tal zu Geislingen am Jürgen-Klinsmann-Weg 20 findet sich noch ein wenig Trost für die Menschen, die sich am Sonntag zu Ehren des Straßenpatrons versammelt haben. Es gibt immerhin Glühwein, 2,50 Euro die Tasse, dazu ein Spanferkel (in Kombination mit Krautsalat), das vor der Haupttribüne brutzelt, als wolle es einen klimatischen Konter setzen zu den Sintfluten, die da aus dem Nebel fallen.
Die 2500 Zuschauer stört das trotzdem nicht, denn sie wollen jenen feiern, der ihr 28 000-Einwohnerstädtchen national bekannt gemacht hat: Jürgen Klinsmann, einen von ihnen und einem, dem sie zujubeln, seit er sie damals mit seinen langen, schnellen Beinen, güldenen Haaren und seinem strahlenden Lachen glücklich gemacht hat – und natürlich mit seinen Toren für den VfB. Und später auch, 2006, als der Bundestrainer Klinsmann immerhin ein Sommermärchen schrieb.
Christian Fink, C-Jugend-Trainer beim SV Heimertingen, ist so ein Klinsi-Fan der ersten Stunde. Natürlich hat sich der 50-Jährige für die 75minütige Fahrt ins Auto gesetzt, um Klinsmanns Benefizspiel zugunsten eines neuen Kinderheims in Geislingen und seiner Stiftung Agapedia beizuwohnen – genauso wie Cacau, Gerald Asamoah, der Handballer Markus Baur oder der Boxer Luan Krasniqi, all die Ex-Stars eben, die da unten mit kicken. Es geht familiär zu in Geislingen. „Luan, Du mosch den neiboxa“, ruft ein Fan beim Warmmachen, Luan grinst. Man kennt sich, Krasniqi kommt aus der Nachbarschaft, aus Kuchen. Aber im Fokus aller steht Klinsmann.
Fink weiß noch genau, wie er damals mit seinem Geislinger Onkel ins Stadion ging. „Es war die Hochphase des VfB, und als Klinsmann 1987 gegen den FC Bayern per Fallrückzieher das Tor des Jahres schoss, saß ich direkt hinterm Tor. Ich weiß noch, wie sein Gegenspieler Hansi Pflügler dreinschaute. Klinsmann war mein absolutes Idol, aber da waren auch noch Buchwald, Allgöwer und Ohlicher ... Eine goldene Generation. So wurde ich absoluter VfB-Fan und bin es noch heute, auch wenn ich in meiner Region allein damit und umzingelt von lauter Bayern-Fans bin“, sagt Kurz. „Und auch wenn man als VfBFan schon ein dickes Fell braucht.“
Am Sonntag braucht man vor allem einen Regenschutz, und das ist zumindest für die Klinsmann-Nostalgiker schade. Schon beim Anpfiff wandelt der Regen Klinsmanns Naturblond in ein verwaschenes dunkelbraun. Der Weltstar, der Ex-Weltmeister tropft aus allen Winkeln, aber alsbald zeigt er, was er noch immer kann: Zwei Tore glücken dem 55Jährigen, gleich drei seinem Spezl Cacau, mit dem er im Team „Rest der Welt“schließlich 7:6 über das „Team Schwaben“obsiegt. Klinsmann hat natürlich in beiden Mannschaften gespielt, in einer wirkte auch sein ehemaliger D-Jugendtrainer mit, der den gebürtigen Göppinger einst zum SCG lotste. Selbst der kleine Kugelstoß-Paralympicssieger Nico Kappel und Geislingens OB dürfen sich noch in die Torschützenliste eintragen.
Tür beim VfB bleibt offen
Am Ende sind in Geislingen alle nass, aber glücklich, nur eines versteht man nicht: Dass dieser Klinsmann in seinem schwarzen Trikot, auf dem in der Mitte ein silberner MercedesStern glitzert – die Autobauer sind Co-Sponsor der Partie – ausgerechnet wegen Daimler nicht der Vorstandschef werden wird bei seinem VfB. Die Erklärung: Offenbar können da Einzelne nicht miteinander: Daimler-Personalvorstand Wilfried Porth gilt als Gegner einer Rückkehr Klinsmanns zum VfB. Weil der das Gefühl hatte, nicht alle in den Gremien wollten ihn wirklich, ließ er die Verhandlungen für den Posten des Vorstandschefs platzen. Am Sonntag sagt Klinsmann vielsagend: „Im Moment passt es nicht, wer weiß, wie die Konstellation später mal ist. Die Tür bleibt immer offen, ich bin VfBFan.“Porth könnte im Aufsichtsrat demnächst dem Vernehmen nach übrigens von Daimler-Vertriebsvorständin Britta Seeger (39), einer eingefleischten VfB-Anhängerin, abgelöst werden.
„Sehr schade“findet Karl Allgöwer Klinsmanns Verzicht, „der VfB hätte Klinsmanns weltweite Strahlkraft und Persönlichkeit brauchen können“. „Sehr schade“findet es auch Guido Buchwald. Klinsmanns Kumpel und Mit-Weltmeister will allerdings weiter um das VfB-Präsidentamt kandidieren – was natürlich auch Klinsmann gut findet. Am 15. September endet die Bewerbungsfrist, „ich kann mir schon vorstellen, ins Rennen zu gehen“, sagt Buchwald, der ebenfalls schon mit Porth aneinander geriet.
Berthold: VfB ist „Provinztheater“
Mehr Sportkompetenz in der VfBFührung, das war ja das Anliegen der Mitglieder, und so viel VfB-Sportkompetenz, wie in Geislingen versammelt ist, wird es so schnell nicht wieder geben. Komisch ist nur: Der Club ziert sich. Stuttgarts Ex-Weltmeister Thomas Berthold, der Ambitionen auf einen Sitz im Aufsichtsrat hat(te), wird fast wütend, wenn er an die Gespräche mit dem VfB denkt: „Ich hab den Verantwortlichen klar gesagt: Hier muss eine neue Fußballkultur und -philosophie etabliert werden, der Nachwuchs darf nie mehr vernachlässigt werden, und man sollte sich mal fragen: Wie groß ist eigentlich der Unterhaltungswert im Stadion? Es ist für mich alles ein bisschen Provinztheater“, sagt Berthold: „Wenn man so weiterwurschteln will wie bisher, bitte. Nur sollte man sich mal fragen wo man ist: In der 2. Liga nämlich.“
Auch für Jürgen Klinsmann hat Thomas Berthold noch einen Rat: „Jürgen wird wieder nach Kalifornien fliegen, da ist auch das Wetter besser. Und der VfB sollte sich fragen: Welchen VfBler kennt man eigentlich noch außerhalb von Stuttgart, gibt es noch so einen wie ihn?“