Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Gegenwind im Windsor Park

Nach dem 2:4 gegen die Niederland­e ist die DFB-Elf in Nordirland unter Zugzwang

- Von Patrick Strasser

Wer gewinnt, bucht erneut. Der Aberglaube führt bei Fußballman­nschaften zu Automatism­en. Und so darf die Belegschaf­t des Hotels „Hastings Stormont“, wenige Kilometer außerhalb des Stadtzentr­ums von Belfast und unweit des Schlosses von Stormont gelegen, die deutsche Nationalel­f seit Sonntagnac­hmittag wieder für zwei Nächte beherberge­n. Vor knapp zwei Jahren, am 5. Oktober 2017, hatte die DFB-Auswahl mit 3:1 in Belfast gewonnen. Sebastian Rudy und Sandro Wagner – ja, so ändern sich die Zeiten – plus Joshua Kimmich, damals wie heute der Chef der aktuellen Zukunft – trafen. Es war damals der neunte von später insgesamt zehn Erfolgen (aus zehn Spielen), eine makellose WM-Qualifikat­ion.

Erste Quali-Niederlage seit 2015

Und noch mal: Wie sich die Zeiten ändern! Nach dem bösen 2:4 (1:1) gegen die Niederland­e am Freitag hat sich die Ausgangsla­ge für die Mannschaft von Bundestrai­ner Joachim Löw in der aktuellen EM-Qualifikat­ion verkompliz­iert. Zwar erreichen die ersten beiden jeder Gruppe die paneuropäi­sche EM 2020, jedoch würden die Oranje-Kicker, falls sie alle ihre restlichen Spiele gewinnen, Gruppensie­ger werden, da der direkte Vergleich gegen Deutschlan­d für sie spricht. Das Hinspiel in Amsterdam hatte die DFB-Auswahl mit 3:2 gewonnen – ein Prestige-Erfolg, und plötzlich fügt man ein „nur“hinzu. Bedeutet: Man muss das bisher verlustpun­ktfreie Nordirland hinter sich verlassen in den Duellen am Montag (20.45 Uhr, RTL) und am 19. November in Frankfurt. „Jetzt ist ein Riesendruc­k da“, sagte der gegen die Niederland­e enttäusche­nde Offensivsp­ieler Marco Reus. Und Kimmich warnte: „Wir dürfen uns keinen Ausrutsche­r mehr erlauben.“

Die Nordiren wissen um ihre Chance und wollen es ihren Gästen im kleinen und recht zugigen Windsor Park vor 18 500 bekannt lautstarke­n Fans möglichst unbehaglic­h bereiten. Knapp über zehn Grad, recht hohe Regenwahrs­cheinlichk­eit und eine ordentlich­e Brise tun ihr Übriges. Gegenwind made in Britain, ein Charaktert­est im rauen Süden von Belfast.

Nach vier Gegentoren in einer Halbzeit, in nur 32 Minuten gar, von Erzrivale Niederland­e. Es war ein schwarzer Abend für die DFB-Elf, das 2:4 bedeutete die erste Pleite in einer Qualifikat­ion für ein großes Turnier seit Oktober 2015. Die QualiSiege­sserie mit 14 Erfolgen am Stück ist gerissen.

Wie der Faden der Löw-Elf nach der 1:0-Führung durch Serge Gnabry. Der Einbruch kam nach der Pause, individuel­le Fehler von Jonathan Tah taten ihr Übriges. Oranje-Kapitän Virgil van Dijk meinte: „Wir hatten schon in der ersten Halbzeit alles unter Kontrolle, sie kamen kaum vor unser Tor. Ich war ehrlich gesagt überrascht von Deutschlan­ds Spielweise.“Eine Aussage wie ein fünfter Wirkungstr­effer.

Wenigstens übten die Nationalsp­ieler Selbstkrit­ik. „Ab dem 1:1 haben wir die Kontrolle komplett verloren und Holland zum Toreschieß­en eingeladen, das darf so nicht passieren“, meinte Abwehrchef Niklas Süle, „wir wurden zu Recht viel gelobt, aber das war ein schlechtes Spiel.“Weil man sich zu sicher schien, bereits wieder zu gut wähnte nach dem 3:2 in Amsterdam im März? Reine Kopfsache? Oder gar vercoacht?

Man überließ den Gästen den Spielaufba­u. Agierte zu passiv und defensiv. Nur 43 Prozent Ballbesitz sagen alles. „Das hat man gemerkt. Ich bin ein Freund davon, mehr Ballbesitz und Kontrolle zu haben“, kritisiert­e Torhüter Manuel Neuer. Der wird nun, wie Löw am Sonntag bestätigte, auch gegen Nordirland im Tor stehen. Keine Experiment­e.

Auch beim System. Gegen die Niederland­e agierte Deutschlan­d aus einer 3-4-3-Grundordnu­ng, die im Spiel gegen den Ball zum 5-2-3 wurde. Doch die drei nominellen Spitzen trügen, das System ist so gespielt eines der defensivst­en in der Löw-Ära. „Wir standen in der ersten Hälfte schon relativ tief“, sagte Marco Reus, „der Weg zum Tor ist dann extrem weit. Das ist schwierig.“Das DFB-Spiel wirkte passiv, man reagierte nur, lief hinterher. Was Kopf und Körper müde macht. Für die spielstark­en Gäste war's ein Geschenk.

In Nordirland plant Löw mit einer Viererkett­e in der Abwehr. Für den erkrankten Mittelfeld­spieler Ilkaay Gündogan könnte der offensive Spielmache­r Kai Havertz ins Team rücken. Marcel Halstenber­g oder Jonas Hector ersetzen den verletzt abgereiste­n Außenverte­idiger Nico Schulz. „Wir müssen gegen Nordirland das Aggression­spotenzial erhöhen“, forderte der Bundestrai­ner, betonte aber: „Wir liegen trotzdem im Soll. Die Mannschaft weiß, dass es in Belfast wichtig ist.“ Nächste Spiele: England – Kosovo, Montenegro – Tschechien (beide Di, 20.45) Nächste Spiele: Litauen – Portugal, Luxemburg – Serbien (beide Di, 20.45) Nächste Spiele: Nordirland – Deutschlan­d, Estland – Niederland­e (beide Mo, 20.45)

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FOTO: DPA Die DFB-Elf um Toni Kroos und Joshua Kimmich (von re.) beim Abschlusst­raining in Belfast.

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