Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Gegenwind im Windsor Park
Nach dem 2:4 gegen die Niederlande ist die DFB-Elf in Nordirland unter Zugzwang
Wer gewinnt, bucht erneut. Der Aberglaube führt bei Fußballmannschaften zu Automatismen. Und so darf die Belegschaft des Hotels „Hastings Stormont“, wenige Kilometer außerhalb des Stadtzentrums von Belfast und unweit des Schlosses von Stormont gelegen, die deutsche Nationalelf seit Sonntagnachmittag wieder für zwei Nächte beherbergen. Vor knapp zwei Jahren, am 5. Oktober 2017, hatte die DFB-Auswahl mit 3:1 in Belfast gewonnen. Sebastian Rudy und Sandro Wagner – ja, so ändern sich die Zeiten – plus Joshua Kimmich, damals wie heute der Chef der aktuellen Zukunft – trafen. Es war damals der neunte von später insgesamt zehn Erfolgen (aus zehn Spielen), eine makellose WM-Qualifikation.
Erste Quali-Niederlage seit 2015
Und noch mal: Wie sich die Zeiten ändern! Nach dem bösen 2:4 (1:1) gegen die Niederlande am Freitag hat sich die Ausgangslage für die Mannschaft von Bundestrainer Joachim Löw in der aktuellen EM-Qualifikation verkompliziert. Zwar erreichen die ersten beiden jeder Gruppe die paneuropäische EM 2020, jedoch würden die Oranje-Kicker, falls sie alle ihre restlichen Spiele gewinnen, Gruppensieger werden, da der direkte Vergleich gegen Deutschland für sie spricht. Das Hinspiel in Amsterdam hatte die DFB-Auswahl mit 3:2 gewonnen – ein Prestige-Erfolg, und plötzlich fügt man ein „nur“hinzu. Bedeutet: Man muss das bisher verlustpunktfreie Nordirland hinter sich verlassen in den Duellen am Montag (20.45 Uhr, RTL) und am 19. November in Frankfurt. „Jetzt ist ein Riesendruck da“, sagte der gegen die Niederlande enttäuschende Offensivspieler Marco Reus. Und Kimmich warnte: „Wir dürfen uns keinen Ausrutscher mehr erlauben.“
Die Nordiren wissen um ihre Chance und wollen es ihren Gästen im kleinen und recht zugigen Windsor Park vor 18 500 bekannt lautstarken Fans möglichst unbehaglich bereiten. Knapp über zehn Grad, recht hohe Regenwahrscheinlichkeit und eine ordentliche Brise tun ihr Übriges. Gegenwind made in Britain, ein Charaktertest im rauen Süden von Belfast.
Nach vier Gegentoren in einer Halbzeit, in nur 32 Minuten gar, von Erzrivale Niederlande. Es war ein schwarzer Abend für die DFB-Elf, das 2:4 bedeutete die erste Pleite in einer Qualifikation für ein großes Turnier seit Oktober 2015. Die QualiSiegesserie mit 14 Erfolgen am Stück ist gerissen.
Wie der Faden der Löw-Elf nach der 1:0-Führung durch Serge Gnabry. Der Einbruch kam nach der Pause, individuelle Fehler von Jonathan Tah taten ihr Übriges. Oranje-Kapitän Virgil van Dijk meinte: „Wir hatten schon in der ersten Halbzeit alles unter Kontrolle, sie kamen kaum vor unser Tor. Ich war ehrlich gesagt überrascht von Deutschlands Spielweise.“Eine Aussage wie ein fünfter Wirkungstreffer.
Wenigstens übten die Nationalspieler Selbstkritik. „Ab dem 1:1 haben wir die Kontrolle komplett verloren und Holland zum Toreschießen eingeladen, das darf so nicht passieren“, meinte Abwehrchef Niklas Süle, „wir wurden zu Recht viel gelobt, aber das war ein schlechtes Spiel.“Weil man sich zu sicher schien, bereits wieder zu gut wähnte nach dem 3:2 in Amsterdam im März? Reine Kopfsache? Oder gar vercoacht?
Man überließ den Gästen den Spielaufbau. Agierte zu passiv und defensiv. Nur 43 Prozent Ballbesitz sagen alles. „Das hat man gemerkt. Ich bin ein Freund davon, mehr Ballbesitz und Kontrolle zu haben“, kritisierte Torhüter Manuel Neuer. Der wird nun, wie Löw am Sonntag bestätigte, auch gegen Nordirland im Tor stehen. Keine Experimente.
Auch beim System. Gegen die Niederlande agierte Deutschland aus einer 3-4-3-Grundordnung, die im Spiel gegen den Ball zum 5-2-3 wurde. Doch die drei nominellen Spitzen trügen, das System ist so gespielt eines der defensivsten in der Löw-Ära. „Wir standen in der ersten Hälfte schon relativ tief“, sagte Marco Reus, „der Weg zum Tor ist dann extrem weit. Das ist schwierig.“Das DFB-Spiel wirkte passiv, man reagierte nur, lief hinterher. Was Kopf und Körper müde macht. Für die spielstarken Gäste war's ein Geschenk.
In Nordirland plant Löw mit einer Viererkette in der Abwehr. Für den erkrankten Mittelfeldspieler Ilkaay Gündogan könnte der offensive Spielmacher Kai Havertz ins Team rücken. Marcel Halstenberg oder Jonas Hector ersetzen den verletzt abgereisten Außenverteidiger Nico Schulz. „Wir müssen gegen Nordirland das Aggressionspotenzial erhöhen“, forderte der Bundestrainer, betonte aber: „Wir liegen trotzdem im Soll. Die Mannschaft weiß, dass es in Belfast wichtig ist.“ Nächste Spiele: England – Kosovo, Montenegro – Tschechien (beide Di, 20.45) Nächste Spiele: Litauen – Portugal, Luxemburg – Serbien (beide Di, 20.45) Nächste Spiele: Nordirland – Deutschland, Estland – Niederlande (beide Mo, 20.45)