Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Das Politikum wird zur Sensation
Das Kosovo, erst seit 2016 offizielles Mitglied der Fußballfamilie, träumt von der Teilnahme an der EM
PRISTINA (dpa/SID) - Niemand im Stadion „Fadil Vokrri“wollte nach diesem Spiel nach Hause. „Wir feiern heute. Den ganzen Tag, die ganze Nacht“, twitterte der Fußballverband des Kosovo am Samstagabend nach dem 2:1-Sieg gegen Tschechien in der EM-Qualifikation.
Die kleine Republik vom Balkan hat nicht einmal zwei Millionen Einwohner. Sie ist erst seit drei Jahren Mitglied des Weltverbandes FIFA und bestritt erst am 3. Juni 2016 ihr erstes offizielles Länderspiel. Doch mittlerweile ist das Team von Milot Rashica (Werder Bremen) selbst in der EM-Quali kaum noch zu schlagen: 1:1 in Montenegro, 3:2 in Bulgarien, jetzt 2:1 gegen den nächsten vermeintlich viel zu starken Gegner. Seit 15 Länderspielen sind die Kosovaren nunmehr ungeschlagen. Vor dem Spitzenspiel am Dienstagabend in Southampton gegen den großen Favoriten England ist das Kosovo Tabellenzweiter in der QualifikationsGruppe A. Ein kleines Land träumt von der Europameisterschaft 2020.
Doch die Geschichte der kosovarischen Nationalmannschaft ist weit mehr als nur die eines sportlichen Außenseiters. Denn die Republik Kosovo erklärte sich erst 2008 für unabhängig und wird bis heute nicht von allen Mitgliedern der UN als souveräner Staat anerkannt.
Serbien betrachtet das Kosovo weiterhin als serbische Provinz. Aus diesem Grund wurde 1998 und 1999 ein Krieg geführt und deshalb lassen sich bis heute auch bei einigen Fußballspielen keine so einfachen Grenzen zwischen Sport, Politik und Geschichte ziehen, wie das die internationalen Sportverbände immer so gern hätten.
Als Rashica und Co. im Juni in der EM-Qualifikation in Montenegro spielten, boykottierten Montenegros serbischer Trainer Ljubisa Tumbakovic und zwei weitere in Serbien geborene Spieler diese Partie. Tumbakovic wurde danach gefeuert – und nur einen Monat später als neuer serbischer Nationalcoach präsentiert.
Dieses Spannungsfeld lädt auch die Identifikation der kosovarischen Spieler mit ihrer jungen Republik und ihrem Nationalteam auf. „Meine Mitspieler und ich sind bereit, auf dem Platz zu sterben. Wir versuchen, 1000 Prozent für dieses Trikot und dieses Land zu geben“, sagte Vedat Muriqi, einer der beiden Torschützen, nach dem 2:1 gegen Tschechien. Auch Florent Muslija von Hannover 96 spielte noch bis vor einem Jahr für die deutsche U20-Nationalmannschaft und entschied sich dann für die Auswahl des Landes, aus dem seine Familie stammt. „Meine Wurzeln liegen im Kosovo. Es war eine Herzensentscheidung“, sagte er.
Gegen Tschechien bestachen die Kosovaren wieder einmal mit ihrem unbändigen Willen. Der Schweizer Trainer des Kosovo, Bernard Challandes, hatte unlängst im „Blick“betont, dass sein Team stets sein Heil in der Offensive suche. Nur verteidigen, „das können wir nicht. Das entspricht auch nicht meinem Naturell als Coach. Nein, es wird das pure Gegenteil sein. Wir müssen ein bisschen Verrücktheit an den Tag legen. Und viel Leidenschaft.“