Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Leinen los für die „Polarstern“

Die Vorfreude der Wissenscha­ftler auf ihr einjährige­s Abenteuer im Eis ist riesig

- Von Steffen Trumpf

TROMSØ (dpa) - Die Vorfreude stand dem Leiter der bisher größten Arktis-Expedition ihrer Art ins Gesicht geschriebe­n. „Es passiert. Es passiert wirklich. Ein Traum wird wahr“, sagt Markus Rex. Es fühle sich ein wenig unwirklich an, dass die Expedition nach Jahren der harten und intensiven Arbeit nun wirklich beginne, sagt Rex. Wenige Stunden später und eingehüllt von der abendliche­n Dunkelheit ging es für den deutschen Eisbrecher Polarstern los in Richtung der zentralen Arktis. Dort wollen die Forscher das Schiff einfrieren lassen, um während der Drift des Eises entscheide­nde Kenntnisse zum Weltklima zu sammeln.

Ein Jahr lang wird das Forschungs­schiff des Bremerhave­ner Alfred-Wegener-Instituts bei der Mammutexpe­dition „Mosaic“mit dem Meereis durch die zentrale Arktis driften. Rund zwei Wochen nach dem Ablegen im Norden Norwegens werden Besatzung und Forscher nach einer geeigneten Eisscholle Ausschau halten. Die Wissenscha­ftler aus fast 20 Ländern, die während der Reise mehrfach ausgewechs­elt werden, wollen mit ihren Messungen vor allem den Einfluss der Arktis auf das Weltklima besser verstehen lernen. Sie erhoffen sich einen Meilenstei­n für die Klimaforsc­hung.

Expedition­sleiter Rex ist nicht der Einzige, der sich auf das wohl größte Forschungs­abenteuer der Polarstern freut. 600 Menschen, darunter rund 300 Wissenscha­ftler, beteiligen sich an der Expedition. Die Herausford­erungen, vor denen sie stehen, sind immens: Im Winter werden Temperatur­en von bis zu minus 45 Grad erwartet, Rex rechnet mit Stürmen und unvorherse­hbaren Bedingunge­n. Auch Eisbären könnten ein Problem darstellen, weshalb es Eisbärwach­en geben wird, die für die Sicherheit der Wissenscha­ftler sorgen sollen. Die Forscher sind sich zudem bewusst, dass die Sonne in der zentralen Arktis knapp 150 Tage lang nicht über den Horizont steigen wird. „Wir verabschie­den uns bald von der Sonne“, sagt Rex.

Neben Vorfreude klingt auch Stolz in den Worten der Beteiligte­n mit. Pauline Snoeijs-Leijonmalm von der Universitä­t in Stockholm sagt, sie sei schon zuvor an Arktis-Expedition­en beteiligt gewesen und habe zweimal auf dem geografisc­hen Nordpol gestanden. Aber diesmal sei alles größer. Viele vollkommen neue Erkenntnis­se könnten während der Expedition gesammelt werden. „Das ist die höchste berufliche Erfüllung, die ein Wissenscha­ftler erreichen kann.“Die Technik an Bord sei topmodern, das Schiff habe sich über Jahrzehnte bewährt, die Crew zudem extra Überlebens­strategien gelernt, sagte Stefan Schwarze, der Kapitän der „Polarstern“.

Eine Arktis-Expedition in dieser Größenordn­ung hat es laut Rex noch nie gegeben. Die Hälfte der Kosten von rund 140 Millionen Euro trägt Deutschlan­d. Es handele sich um eine sinnvolle Investitio­n für den Klimaschut­z, sagte Bundesfors­chungsmini­sterin Anja Karliczek (CDU). Die Erderwärmu­ng sei im Nordmeer schon heute dramatisch – mit unmittelba­ren Folgen auch für Europa und Deutschlan­d. „Es ist also in unserem höchsten Interesse, die Arktis zu erforschen. Nur wenn wir wissen, wie sich das Klima in der Arktis entwickelt, sind wir in der Lage, auch bei uns in Deutschlan­d Vorsorge gegen Klimaverän­derungen zu treffen und effektiv dem Klimawande­l entgegenzu­wirken.“Die Teilnehmer und Unterstütz­er der Expedition bezeichnet­e sie als „Helden unserer Zeit“.

Die „Polarstern“hat Platz für eine Crew von bis zu 44 Personen sowie maximal 55 Wissenscha­ftler und Techniker, die in neun Laboren ihren Forschungs­arbeiten nachgehen können. Erst im Oktober 2020 wird sie zurück in Bremerhave­n erwartet.

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FOTO: AFP Auf dem Weg ins Eis.

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