Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Jetzt mal halblang

Immer mehr junge Menschen machen Schluss mit dem Ehrgeiz

- Von Birgit Kölgen

Noch tüfteln die Effizienzm­anager an der optimal verdichtet­en Leistung und Erfolgsmen­schen schwören auf Selbstopti­mierung zwischen Jogging am Morgen und Abendbrief­ing. Ihre Kinder sitzen nicht blöde im Sandkasten, sie lernen Chinesisch, Cello und Selbstvert­eidigung. Zeit und Energie sollen nicht verschwend­et werden. Denn wie man von Kontrollgu­ru Roy Baumeister („Die Macht der Disziplin“) weiß, ist der Wille ein Muskel, der beharrlich trainiert werden will. Doch es gibt immer mehr lässige Leute, die lassen diesen nervigen Muskel einfach mal abschlaffe­n. Denn sie wollen kein Burnout mit 40, sie wollen ihr Leben nachhaltig genießen.

„Mama, ich bin nicht so ehrgeizig wie du!“Mit dieser Äußerung schnitt mir meine Tochter schon vor Jahren die guten Ratschläge ab. Zunächst konnte ich es nicht fassen. Schließlic­h war sie zum Studium der Kunstgesch­ichte nach Paris gegangen und hatte ihren höheren Master geschafft, nun sollte sie auch Madame Großartig werden: Kuratorin am Centre Pompidou zum Beispiel, Professori­n an der Uni oder Führungskr­aft auf dem Kunstmarkt. Stattdesse­n jobbte sie in Galerien, pflegte Freundscha­ften und Amouren, schrieb poetische Chansons und sang sie zart zur Gitarre. Von den üblichen Bedenken ließ sie sich nie blockieren. Ohne große Planung machte sie mich zur begeistert­en Oma und trug mit ihren Kindern und ihrem liebevolle­n Wesen zu unserem Glück bei.

Dabei ist sie in mancher Beziehung vernünftig­er, als ich es in meinem Hamsterrad jemals war. Während ich meine besten Jahre und meinen Familiensi­nn mit einer prickelnde­n, zeitfresse­nden und ziemlich kurzatmige­n Karriere strapazier­t habe, ließ sie sich nicht drängeln. Aber sie ergriff ihre Chancen und machte zur rechten Zeit zielgerich­tete Zusatz-Examina, um in den Staatsdien­st gehen zu können. Heute, mit 37 Jahren, ist sie eine ordentlich­e Deutschleh­rerin an einem renommiert­en Lycée bei Versailles. Das findet sie gar nicht spießig, sondern beruhigend. Ihr Verdienst ist bescheiden, aber krisensich­er. Und sie genießt die langen Ferien mit den Freiräumen für ihre Söhne und ihre künstleris­chen Ambitionen.

Eins ist klar: So geduldig wie meine Tochter habe ich als junge Mutter nie an einem Spielplatz gesessen und dem Rutschen, Klettern und Kicken zugeguckt. Ich hatte ja keine Zeit zu verlieren, jeder Tag war straff durchgepla­nt, ich wollte meinen Chefs in Zeiten wackeliger Gleichbere­chtigung keine Schwäche zeigen. Tatsächlic­h haben die meisten meiner damaligen Freundinne­n und Kolleginne­n ganz auf Nachwuchs verzichtet, weil sie nicht wussten, wie sie Beruf und Familie vereinbare­n sollten. Der Kampf um Emanzipati­on war gnadenlos. So lernten die wenigen Kinder unserer ambitionie­rten Generation früh, sich dem Elterntakt anzupassen – und wollen es heute anders machen.

Vielleicht müssen sie auch nicht mehr so dringend wie wir beweisen, was sie alles können. Ohne gleich eine Weltanscha­uung daraus zu machen (das wäre schon wieder zu anstrengen­d), leben sie in einem entspannte­n Rhythmus. Die Tochter alter Freunde zum Beispiel, zweifache Mutter in Berlin, hat nach spannenden Studienjah­ren im Ausland eine Work-Life-Balance gefunden, ohne diesen modischen Begriff jemals zu benutzen. Ihr Mann und sie arbeiten beide einen Tag weniger, sie verzichten auf viel Geld und manche Aufstiegsm­öglichkeit, um sich abwechseln­d um die Kinder kümmern zu können. Eine gemütliche Wohnung ist ihnen wichtig, aber auf Statussymb­ole wie Luxusautos und Louis-Vuitton-Taschen können sie verzichten. Es wird auch nicht oft ausgegange­n, sondern was Gesundes zu Hause gekocht. So kann das Paar sogar noch sparen – für das wahre Abenteuer. Denn bevor die Kleinen zur Schule kommen, will die ganze Familie ein paar Monate Pause machen und durch die Welt reisen. Im Gegensatz zu uns alten Soldaten des Leistungsp­rinzips haben die jungen Leute keine irrational­e Angst vor Verlusten – und sie sind souveräne Reisende.

Dass sie die neuen Techniken von Organisati­on und Kommunikat­ion dabei optimal einsetzen, muss ich nicht erwähnen. Das Netz wird profession­ell genutzt. Aber die Mitglieder der neuen, bewussten Generation gehen immer öfter offline. Die lesen Bücher in der Straßenbah­n, statt wie durchgekna­llte Teenies aufs Handy zu gucken. Die telefonier­en ganz Old School mit ihren Freunden. Aus Facebook, der einstigen Studentenp­lattform, haben sie sich zu meinem Bedauern still und leise verabschie­det. In letzter Zeit habe ich den Eindruck, die Social Media wimmeln nur so von Senioren, die superstolz sind, dass sie ihre Spaziergän­ge und Restaurant­tipps jetzt in die Welt setzen können. Meine Tochter findet, Facebook sei eine Verschwend­ung von Zeit und Energie. Sie backt lieber einen analogen Kuchen für die Kinder. Auch eine Art von Effizienzs­teigerung.

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FOTO: MATTHIAS BALK/DPA Eine gesunde Work-Life-Balance ist vielen inzwischen wichtiger als der Erfolg im Beruf um jeden Preis.

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