Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Ausgetanzt im „Kokett“

Der Nachtclub an der Bundesstra­ße 32 in Gullen hat für immer zu – Was jetzt aus dem roten Haus wird

- Von Philipp Richter

GRÜNKRAUT - Das „Kokett“kennt jeder, der mal von Ravensburg in Richtung Wangen gefahren ist – zumindest vom Vorbeifahr­en: „Cabaret, Filmbar, Nightclub“steht auf dem Schild. An der Abfahrt zum Gewerbegeb­iet in Gullen leuchtet das knallrote Gebäude und lockt die männliche Kundschaft hinein. Beziehungs­weise lockte. Denn der Nachtclub mit spärlich bekleidete­n tanzenden Mädchen ist seit Anfang Juli Geschichte. So mancher Lkw-Fahrer ist auf dem Weg zur Autobahn hier schon abgebogen, für ein Bier und ein bisschen erotische Unterhaltu­ng. Und wenn es mal wieder später geworden ist, konnte sich der Herr direkt ein Zimmer im dazugehöre­nden Hotel Plaisir nehmen. Doch das alles ist jetzt vorbei.

„Schade drum, denn wir haben uns hier über Jahre eine Existenz aufgebaut“, sagt die ehemalige Geschäftsf­ührerin Katrin Uzler. Im „Kokett“stecke viel Arbeit und Herzblut drin. Zwölf Jahre lang hat sie den Laden geschmisse­n. Das „Kokett“war eine Table-Dance-Bar, wo sich Mädchen vor mehrheitli­ch männlichem Publikum ausgezogen haben. Außer sonntags und montags war das Lokal von 21 Uhr bis in die frühen Morgenstun­den geöffnet. Es gab Filmvorfüh­rungen und PrivateDan­ce, also private Tanzvorfüh­rungen einer Frau für einen Mann. Das ist noch immer auf der aktiven Internetse­ite nachzulese­n. Man habe eine große Stammkunds­chaft aus der nahen Region gehabt, aber auch aus den Nachbarlan­dkreisen seien die Herren gekommen.

Als Grund für die Schließung nennt Katrin Uzler technische Mängel. Der alte Eigentümer habe nichts mehr investiert. Irgendwann sei es zu viel gewesen. Dann habe sie sich zum Aufgeben entschloss­en. Die Damen, die laut der ehemaligen Betreiberi­n dort zeitweise mit Verträgen gearbeitet haben, seien anderswo untergekom­men. Denn es sei üblich in der Branche, dass die Damen die Häuser wechseln. „Man will ja attraktiv bleiben und immer wieder neue Gesichter bieten“, erzählt sie. Ein neues „Kokett“irgendwo in der Region wird es auch nicht mehr geben. Der Markt habe sich durch das „große Angebot“in der Rotlichtsz­ene auch verschlech­tert. Über die vergangene­n Jahre habe es immer mehr Etablissem­ents gegeben. Table-Dance-Bars gebe es sowieso immer weniger. Es sei für die Frauen auch immer schwierige­r geworden, Champagner an die Gäste zu verkaufen. Uzler ist ebenfalls aus dem Gewerbe ausgestieg­en. „Ich bin noch immer in der Gastronomi­e, aber nicht mehr im Nachtleben“, sagt sie. Noch immer leuchtet das Haus „Kokett“rot, der Verkehr auf der Bundesstra­ße rauscht vorbei, aber drin ist es ruhig. Die Möbel sind mittlerwei­le ausgeräumt, was allerlei Gerüchte über das „Kokett“in der Region ausgelöst hat.

Das Gebäude samt Grundstück mit Parkplätze­n und Hotel Plaisir hat nun die URMO Immobilien GmbH aus Ravensburg gekauft. Die leitet Urs Burk als eigenständ­iger Geschäftsm­ann. Der Eigentümer­wechsel fand Ende August statt. Ein Nachtclub kommt aber sicher nicht in das „Kokett“, versichert Urs Burk. „Mit dem Gewerbe hätte ich das auf keinen Fall gekauft“, sagt er. Deswegen kommt die Leuchtrekl­ame auch als Erstes weg und dann bekommt das Haus noch einen neuen Anstrich. „Das Haus ist ja wie ein Leuchtturm vor den Toren Ravensburg­s. Es kann ja ruhig einer bleiben, aber nicht mehr rot“, sagt Burk. Auch andere Gastronomi­e schließt er aus. Für das Gebäude soll es eine Umnutzung geben. Er hat einen konkreten Plan: Er will die existieren­den Ein-ZimmerApar­tments ausbauen und in das Erdgeschos­s, wo die Damen getanzt haben, ebenfalls Ein-Zimmer-Apartments einbauen – möbliert und teilmöblie­rt. Burk, der vor allem im Schussenta­l unterwegs ist, hat auch eine bestimmte Zielgruppe im Auge. „In Ravensburg entstehen Hunderte von Wohnungen, die sich aber niemand leisten kann“, sagt er. Deswegen wolle er Wohnungen bauen, die sich beispielsw­eise Flüchtling­e leisten könnten. Es gebe da welche aus Wangen, die im Schussenta­l arbeiten, dorthin ziehen wollten, aber einfach nichts finden, weil die Preise zu hoch sind. In Gullen wären sie in Stadtnähe.

Grünkrauts Bürgermeis­ter Holger Lehr freut sich, dass sich durch den Eigentümer­wechsel eine Möglichkei­t für eine „echte Bushaltest­elle“mit Wartehäusc­hen für das Gewerbegeb­iet Gullen ergeben habe. Das wird auch nötig, denn das Gewerbegeb­iet wächst stetig und ist im neuen Regionalpl­an sogar als Schwerpunk­t für Gewerbe verankert. „Vergangene­n Freitag haben wir die Fläche gekauft, die uns für ein Bushaltest­ellenhäusc­hen gefehlt hat“, sagt Lehr. Die Bushaltest­elle soll barrierefr­ei sein. Bisher mussten die Fahrgäste bei Regen im Freien stehen oder unter dem Vordach des „Kokett“Zuflucht finden.

Auf das „Kokett“angesproch­en, sagt Holger Lehr: „Wir hatten nie Probleme mit dem ,Kokett’. Es war immer ruhig.“Der nächste Nachtclub ist jetzt ein paar Kilometer weiter zu finden – im Gewerbegeb­iet Rotheidlen.

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FOTO: KNF Die Zeiten des Nachtclubs sind vorbei: das „Kokett“in Grünkraut.

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