Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Lesen hilft

Karen Köhlers Debütroman „Miroloi“schafft es gleich auf die Longlist zum Deutschen Buchpreis

- Von Christiane Bosch

Als Karen Köhler 2014 ihren ersten Erzählband veröffentl­ichte, waren die Kritiker begeistert. Nun legt die Hamburgeri­n ihren ersten Roman vor. Und schon jetzt wird er mancherort­s als spannendst­er Roman des deutschen Sommers bezeichnet.

Die Autorin schreibt am liebsten über starke Frauen, die sich gegen gesellscha­ftliche Zwänge und altmodisch­e Rollenbild­er stellen. Auch in ihrem Debütroman „Miroloi“, der auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis steht, ist das so. Hauptfigur des Buches ist ein eltern- und namenloses junges Mädchen, das auf einer fiktiven Insel aufwächst. Auf der Insel gelten strenge Regeln. Die Gesellscha­ft ist unterteilt nach Mann und Frau. Die Männer können lesen, haben das Sagen und trinken ansonsten im Schatten der Inselbäume. Die Frauen müssen Analphabet­innen bleiben, sie arbeiten stattdesse­n auf dem Feld und im Garten und haben keine Rechte.

Dem Findelkind wird die Schuld an allem Schlechten gegeben, das auf der Insel passiert. Seinetwege­n war die Ernte schlecht, seinetwege­n ist ein Kind tot geboren worden. Jahrelang nimmt das Mädchen das geduckt hin, bis es sich durch die Welt des Lesens einen völlig neuen Kosmos eröffnet. Die junge Frau nimmt sich das Recht, zu verstehen und hinter die von Männern geschaffen­en Fassaden zu schauen. Und schließlic­h steht sie auf für einen Kampf gegen das Patriarcha­t, der schon längst überfällig war.

Der Begriff „Miroloi“kommt aus dem Griechisch­en und ist eine Totenklage. Dabei wird in dem Lied das Leben des Verstorben­en von Frauen nachgesung­en. Köhler lässt ihre Protagonis­tin quasi ihre Lebensgesc­hichte singen, weil es sonst keiner für sie tun würde.

Das ganze Buch ist Kunst. Das beginnt beim Einband, der weiße Wellen in kräftigem Blau zeigt. Und schon hier deutet sich äußerlich an, was im Inneren folgt. Klare Worte, so einfach wie treffend. Köhler (er-)findet Worte für ihre Geschichte, die neu und dennoch beeindruck­end passend sind. Jeder Satz ist durchdacht und doch leicht zu lesen.

Köhler nutzt ihren Roman, für den sie zudem eine ganze Gesellscha­ft samt eigener Religion erfunden hat, für eine Gesellscha­ftskritik. Gleichförm­igkeit, Intoleranz, Angst vor Fremdem, Unterdrück­ung von Frauen, Umweltvers­chmutzung – all diese Themen berührt „Miroloi“.

In „Miroloi“erzählt Köhler keine gänzlich neue Geschichte. Frauen, die für mehr Rechte kämpfen, hat es schon oft gegeben. Gleichzeit­ig hat der Roman die Macht, beim Leser ein inneres Echo auszulösen und so vielleicht sogar Auswirkung­en auf die reale Welt zu haben.

Bevor Köhler an „Miroloi“schrieb, arbeitete sie eigentlich an einer ganz anderen Geschichte. „Aber ich hatte dabei immer die Stimme von der jetzigen Hauptfigur im Ohr“, sagte die 45-Jährige der Deutschen Presse-Agentur. „Und der bin ich dann einfach gefolgt. Im Grunde genommen sei dieser Roman entstanden, weil sie mit einem anderen nicht vorwärtska­m. Köhler, die selbst jahrelang als Schauspiel­erin auf der Bühne stand, schreibt auch für Theater und Film.

„Das eigene Schreiben hat mir die Freiheit gegeben, meine Themen umzusetzen, meine Frauenbild­er zu entwerfen und Vorbilder für mich und die Leserschaf­t zu schaffen, die mir mehr entspreche­n und die ich gerne in der Literatur verankert wissen möchte.“Das seien starke Frauen. Frauen, die Entscheidu­ngen treffen und sich selbst ermächtige­n, ohne um Erlaubnis zu fragen. In der Literatur gebe es viele Schriftste­ller und entspreche­nd viele männliche Hauptfigur­en. „Ich hatte das dringende Bedürfnis, dem etwas entgegenzu­setzen. Ganz egoistisch. Weil ich dachte, ich will gern etwas anderes lesen.“

Sie habe ihren Roman bewusst nicht in einer bestimmten Region oder einer bestimmten Zeit verortet. „Um eine größtmögli­che Projektion­sfläche zu bieten und eine Universali­tät zu schaffen, die es ermöglicht, aus möglichst vielen Perspektiv­en darauf zu schauen.“

„Miroloi“ist Köhlers erster Roman. Zuvor hatte sie mit dem Erzählband „Wir haben Raketen geangelt“die Kritiker begeistert. Schon vor der Veröffentl­ichung ihres Debütroman­s ist das Buch in Medien als „spannendst­es Buch des Sommers“und „Buch des Monats“(NDR) bezeichnet worden. (dpa)

Karen Köhler: Miroloi. Hanser Verlag, 464 Seiten- 24 Euro.

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FOTO: DPA Karen Köhlers Debütroman „Miroloi“steht auf der Longlist.

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