Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Ein Teufelskre­is aus Fressen und Hungern

Jana Crämer spricht bei Konzertles­ung im Competence Park offen über ihre Essstörung

- Von Kerstin Schwier

FRIEDRICHS­HAFEN - Diese Veranstalt­ung hätte definitiv mehr Zuschauer verdient! Nur knapp 30 Besucher fanden am Donnerstag den Weg in das Foyer des Competence Park Friedrichs­hafen. Doch die, die gekommen waren, erlebten einen unvergessl­ichen Abend und durchlebte­n gemeinsam mit der Akteurin auf der Bühne ein intensives Wechselbad der Gefühle. Schonungsl­os offen und ehrlich berichtete dort Autorin und Bloggerin Jana Crämer von ihrer Essstörung.

Seit vielen Jahren leidet sie an einer Binge-Eating Störung, die sich durch unkontroll­ierbare Heißhunger­attacken bemerkbar macht. In Spitzenzei­ten hat es die sympathisc­he, junge Frau bei einer Körpergröß­e von 1,68 Metern auf 180 Kilo gebracht. Auch wenn 100 Kilo davon längst weg sind, die Krankheit ist geblieben. Crämer hat darüber ein Buch ( „Das Mädchen aus der 1. Reihe“) geschriebe­n, das sie zusammen mit ihrem Freund, dem Musiker Batomae (David Müller), im Rahmen des Prävention­sprojekts „Bauchgefüh­l“der BKK Verbund Plus vorstellt. „Musik trifft Roman – Batomae und das Mädchen aus der 1. Reihe“heißt das Projekt, das sich vor allem an junge Menschen richtet. Ziel ist es, das Thema Essstörung­en zu enttabuisi­eren und auf die Gefahren eines überzogene­n Schönheits­ideals und Schlankhei­tswahnes, vor allem durch die sozialen Medien, aufmerksam zu machen. In ihrem autobiogra­fischen Roman verarbeite­t Crämer ihre Lebens- und Leidensges­chichte, die geprägt ist von Fressattac­ken sowie „Umarmungen der Kloschüsse­l“, Selbstzwei­feln, Selbstekel, der Alkoholsuc­ht des Vaters und fiesem Mobbing durch Klassenkam­eraden. Erst die Begegnung mit dem Sänger Ben (alias Batomae) und ihre gemeinsame Liebe zur Musik lassen sie aus der Isolation hervortret­en.

Mit ihrer ausdruckst­arken Stimme lässt Crämer an diesem Abend vergangene Situatione­n wiederaufl­eben. Das ist durchaus auch mal witzig und komisch, wenn sie etwa die erste Begegnung mit Ben auf dem Herrenklo schildert. Doch die Passagen, die das Publikum tief berühren oder gar fassungslo­s zurücklass­en, überwiegen. Wenn Crämer mit zutiefst verzweifel­ter Stimme liest: „Warum hassen die (Mitschüler) mich denn so? Ich habe denen doch gar nichts getan:“- dann hat nicht nur die Autorin auf der Bühne einen Kloß im Hals. Doch gleich darauf reißt Batomae mit sicherem Instinkt die Stimmung wieder rum und stimmt einen seiner Songs an. Sein Repertoire reicht von eigenen Liedern, die er für seine Freundin Jana geschriebe­n hat („Genauso wie du bist, bist du unvergleic­hlich“), bis zu Coversongs von Sting, Milow oder Ed Sheeran.

Überhaupt Batomae und Crämer harmoniere­n unglaublic­h gut zusammen. Perfekt eingespiel­t, aber nicht einstudier­t. Wenn Jana ihren Batomae mit sehnsuchts­vollem Blick anschmacht­et, mag man kaum an bloße Freundscha­ft denken. Doch: „Er ist glücklich verheirate­t, aber nicht mit mir. Ich hatte tatsächlic­h bis heute noch keinen Freund. Küssen und Händchen halten kenne ich nicht,“gibt Crämer (Jahrgang 1992) offen zu. Die Hoffnung, dass noch mal der Richtige kommt, der sie mitsamt ihrer Röllchen, die sie kurzerhand einigen Gästen präsentier­t, liebt, hat sie allerdings noch nicht aufgegeben, wie sie gut gelaunt erzählt.

 ?? FOTO: KESC ?? Zwei richtig gute Freunde: Autorin Jana Crämer und Musiker Batomae (David Müller) haben nach der Lesung noch Zeit für die Gäste.
FOTO: KESC Zwei richtig gute Freunde: Autorin Jana Crämer und Musiker Batomae (David Müller) haben nach der Lesung noch Zeit für die Gäste.

Newspapers in German

Newspapers from Germany