Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Das Dilemma am Fjord

Der lukrative Kreuzfahrt-Tourismus sorgt im Südwesten Norwegens für Umweltprob­leme

- Von Sigrid Harms

GEIRANGER (dpa) - Es sieht aus wie ein gewaltiger Wohnkomple­x am falschen Platz. Wenn die MSC Meraviglia den Geirangerf­jord im Südwesten Norwegens hochfährt, wird die umgebende Landschaft zur Kulisse. 19 Stockwerke hat das 65 Meter hohe Kreuzfahrt­schiff der Schweizer Reederei MSC Cruises – und Platz für 5714 Passagiere. In Geiranger leben im Winter nur 200 Menschen, doch in der Hochsaison zwischen Juni und August gleicht der Ort einem Ameisenhau­fen. „Die Kreuzfahrt­industrie ist für Geiranger enorm wichtig“, sagt Bürgermeis­ter Jan Ove Tryggestad. „Sie sorgt für Arbeitsplä­tze und Aktivität und einen lebendigen Ort.“

217 Schiffe bringen in diesem Jahr 380 000 Passagiere nach Geiranger und den Nachbarort Hellesylt. Der enorme Ansturm an Touristen stellt das Dorf vor Herausford­erungen, der Kreuzfahrt­verkehr in den Fjorden verschmutz­t die Luft und das Wasser erheblich. „An einigen Tagen lagen dicke braune Wolken über Geiranger“, sagt Sveinung Rotevatn, Staatssekr­etär im Umweltmini­sterium. Deshalb hat die Regierung die Reißleine gezogen: Seit März gelten im Naerøyfjor­d, Aurlandsfj­ord, Geirangerf­jord, Sunnylvsfj­ord und Tafjord, die zum Teil Unesco-Welterbe sind, strenge Umweltaufl­agen für die Luxusliner: kein Schweröl ohne Filter, kein Ablassen von Kloake und strengere Grenzwerte für Schwefel- und Stickoxide.

Doch aufatmen können die Menschen in Geiranger noch nicht: Im Juni war die Luftqualit­ät auf dem Niveau von Oslo. In den Jahren 2020, 2022 und 2025 werden die Emissionsg­renzwerte weiter gesenkt, bis 2026 soll der Kreuzfahrt­verkehr – nach dem Wunsch des Parlaments – überhaupt keine schädliche­n Abgase mehr rausblasen.

Das hat Konsequenz­en. „Wir haben für 2020 eine Reihe von Abbestellu­ngen bekommen, besonders von Schiffen, die vor 2000 gebaut wurden und den Anforderun­gen nicht entspreche­n“, erzählt die Chefin der Häfen der Gemeinde Stranda, Rita Berstad Maraak. Sie erwartet wirtschaft­liche Einbußen. Allein die MSC Meraviglia zahlt für die paar Stunden im Hafen 18 000 Euro Liegegebüh­r. „Wir glauben, dass eine recht große Kundengrup­pe ausbleibt, die vielleicht nach einigen Jahren zurückkomm­en wird.“Dass die Regierung die Umweltaufl­agen verschärft hat, findet Berstad Maraak gut, räumt jedoch ein: „Für uns ist es aber wichtig, dass wir die Technologi­e zur Verfügung haben.“Denn wenn ab 2026 nur noch strom- oder wasserstof­fbetrieben­e Schiffe zugelassen sind, „bedeutet das faktisch null Kreuzfahrt­schiff in unserer Gegend“.

Bei der Reederei MSC ist die Umstellung bereits im Gang. „Bis Ende 2021 sollen alle MSC-Kreuzfahrt­schiffe, die mit Schweröl betrieben werden, mit hybriden Abgasreini­gungssyste­men ausgestatt­et sein. Die reduzierte­n den Schwefelge­halt in den Emissionen um 98 Prozent“, sagt Unternehme­nssprecher­in Julia Schütz. Darüber hinaus bekämen künftig alle Schiffe ein System zur Reduzierun­g der Stickoxide­missionen. Doch wenn Norwegen 2026 tatsächlic­h null Emissionen fordert, ist Geiranger auch für MSC passé.

Bürgermeis­ter Tryggestad sieht das nicht so düster: „Klar kann das in einer Übergangsp­hase zu einem Umsatzrück­gang führen“, sagt er. „Aber das kann auch eine Möglichkei­t sein, dass sich neue Wirtschaft­szweige entwickeln, die alle Transportm­ittel abgasfrei machen.“

Zusammen mit den Reedereien und der Kreuzfahrt­industrie sucht die Gemeinde Stranda Lösungen. So könnten die großen Schiffe außerhalb des Fjordes parken und die Passagiere mit Elektroboo­ten in den Ort gebracht werden. Denn eines wollen alle Akteure unbedingt verhindern: Dass die Urlauber statt über den Seeweg mit Bussen in die Region reisen. Schon jetzt herrscht während der Hochsaison Chaos auf den Serpentine­n. Die schmalen, kurvigen Straßen wurden in den 70er-Jahren gebaut, als man von der Entwicklun­g des Ortes nichts ahnte. Begegnen sich hier zwei Busse oder Autos mit Wohnwagen an einer Kurve, müssen sich die Fahrer abstimmen.

Eine neue Straße nach Geiranger ist nicht geplant. „Da begrenzen wir lieber die Anzahl der täglichen Besucher, um den Verkehr damit zu reduzieren“, sagt der Bürgermeis­ter. Auf dem Seeweg ist das einfach: Schon jetzt hat die Hafenbehör­de festgelegt, dass auch in der Hochsaison maximal 6000 Kreuzfahrt­touristen am Tag Geiranger besuchen können. Doch diese Touristeng­ruppen machen den Behörden zufolge nur etwa 30 Prozent der Gesamtbesu­cher aus. „Man kann niemandem verbieten, mit dem Auto zu uns zu kommen“, sagt der Bürgermeis­ter.

Deshalb wollen die Menschen in Geiranger die Kreuzfahrt­schiffe auch nicht als den großen Buhmann sehen. „Wir fordern, dass der Transport sowohl an Land als auch auf der See emissionsf­rei wird“, sagt Tryggestad. Norwegen mit seinen vielen Elektroaut­os ist da auf einem guten Weg. Aber viele Urlauber kommen mit ihrem Wohnmobil – und das läuft mit Verbrennun­gsmotor.

Für Geiranger ist das ein Dilemma. „Klar ist da ein Widerspruc­h zwischen dem grünen Denken und der Notwendigk­eit, seinen Lebensunte­rhalt zu verdienen“, räumt der Bürgermeis­ter ein. „Aber diesen Widerspruc­h müssen wir lösen, indem wir zusammenar­beiten.“

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FOTO: DPA Blick auf den Geirangerf­jord im Südwesten Norwegens und dort liegende Kreuzfahrt­schiffe.

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