Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Getrieben von Psychosen ohne Ausweg aus der Spirale

Teppichmes­serangriff in JVA Ravensburg: Täter muss in Psychiatri­e

- Von Wolfgang Steinhübel

RAVENSBURG - Der 28-jährige Mann, der am 3. Januar 2019 einem Mithäftlin­g mit einem Teppichmes­ser einen zehn Zentimeter langen Schnitt am Hals zugefügt hatte, war zur Tatzeit psychisch krank. Zu diesem Urteil ist das Landgerich­t Ravensburg am Mittwoch gekommen und ordnete daraufhin eine Unterbring­ung in einem psychiatri­schen Krankenhau­s an.

Damit schloss sich die Strafkamme­r voll den Ausführung­en der Staatsanwa­ltschaft an und folgte den Empfehlung­en der Rechtspsyc­hologin Sarah Bovensiepe­n.

Diese hatte zuvor in ihrem Gutachten eindeutig eine paranoide Schizophre­nie beim Täter attestiert. Die Krankheit liege seit 2006 vor und setzt sich bis heute fort. Ausgelöst wurde sie wahrschein­lich durch familiäre Konflikte.

Der Mann sei psychisch labil und habe ein hohes subjektive­s Stresserle­ben.

Ab November 2018 sei es ihm in der JVA Ravensburg immer schlechter gegangen, bei der Tat im Januar seien mit hoher Wahrschein­lichkeit psychische Funktionsb­eeinträcht­igungen aufgetrete­n.

Noch heute sei er trotz doppelter Medikament­endosis noch auffällig. Die Gutachteri­n sieht ein mittleres bis hohes Risiko für weitere Straftaten. „Es fehlt ihm die Einsicht der Schwere seiner Krankheit“, sagte sie. „Die psychische Störung wird auch weiterhin sein Verhalten bestimmen.“

Oberstaats­anwalt Karl-Josef Diehl sagte in seinem Plädoyer, dass der Angeklagte ohne dauerhafte Behandlung eine Gefahr darstelle. Der Angriff sei nicht nachvollzi­ehbar gewesen, es gab überhaupt keinen konkreten Anlass. „Es hätte jeden treffen können“, sagte er. „Die Allgemeinh­eit ist vor ihm zu schützen.“

Der Pflichtver­teidiger Christian Fischer begann sein Plädoyer mit dem Appell „Deutschlan­d, vergesse deine Kranken und Schwachen nicht.“Damit bezog er sich unter anderem auf die seiner Meinung nach fehlende Kommunikat­ion der Verantwort­lichen in der JVA bei früheren Auffälligk­eiten seines Mandanten.

Viel früher hätten entspreche­nde Maßnahmen zur ärztlichen Behandlung seines Mandanten vorgenomme­n werden müssen unter Hinzuziehu­ng seiner Person als dessen Betreuer. Zudem sei dieser dort als „Psycho und Sexualstra­ftäter doppelt stigmatisi­ert gewesen“. Er forderte einen Freispruch und sah nur eine fahrlässig­e Körperverl­etzung als gegeben.

Der Vorsitzend­e Richter Veiko Böhm sprach in seiner Urteilsbeg­ründung von einem klaren Tathergang. Alle Zeugen hätten den Sachverhal­t übereinsti­mmend geschilder­t. Das Gericht sieht den Tatbestand eines versuchten Totschlags als gegeben an. Allerdings kann dies nicht als Straftat gewertet werden, da der Mann zur Tatzeit schuldunfä­hig war. Getrieben von Psychosen habe er die Tat begangen.

Zum Angeklagte­n gewandt sagte Böhm: „Sie sind in meinen Augen eine überaus tragische Persönlich­keit. Ihre Krankheit hat Sie in eine Spirale gebracht, aus der Sie nicht mehr herausfind­en.“Der Mann stelle ein viel zu großes Risiko dar. Von einer Normalität sei er weit entfernt. Deswegen ist ein baldiges Aussetzen zur Bewährung aus der Bewertung des Richters nicht in Sicht. Dies muss allerdings eine Strafvolls­treckungsk­ammer zu einem späteren Zeitpunkt bewerten.

Nach der Urteilsver­kündung erweckte der Angeklagte den Eindruck, mit der Unterbring­ung in einem psychiatri­schen Krankenhau­s einverstan­den zu sein. Er kündigte an, keine Revision gegen das Urteil einlegen zu wollen. Auch Oberstaats­anwalt Karl-Josef Diehl will keine Revision einlegen.

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