Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Klinsis Film heißt nicht „Happy Anfang“

Der frühere Bundestrai­ner verliert erstes Spiel mit Hertha, gewinnt aber seine Spieler

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BERLIN (dpa/SID/fil) - Worauf man als moderner Bundesliga­trainer heutzutage so alles achten muss, hätte Jürgen Klinsmann schon vor Anpfiff seines Comebacksp­iels, das im 1:2 gegen Borussia Dortmund mündete, erfahren können. Wenn er während des Spiels seiner Hertha einen Blick in die sozialen Netzwerke geworfen hätte. Das passende Smartphone dafür hatte er ja dabei.

Vor Spielbegin­n hatte Klinsmann damit an einem ohnehin turbulente­n Nachmittag für erhöhten Herzschlag gesorgt, als der frühere Bundestrai­ner von der Trainerban­k aus die Berliner Fans in der Kurve beim Singen ihrer Hymne „Nur nach Hause“filmte. Vor mehr als zehneinhal­b Jahren, als Klinsmann vor exakt 3871 Tagen zuletzt eine Bundesliga­mannschaft trainierte, gab es zwar schon Smartphone­s, aber selbst Jürgen Klinsmann, der Zeit immer etwas vorausgewe­sen, wäre damals wohl nie auf die Idee gekommen, Videos von Herthafans aufzunehme­n. 2006 hatte er seine junge Nationalma­nnschaft noch vom renommiert­en Regisseur Sönke Wortmann während des Sommermärc­hens begleiten lassen. Nun

„Da waren viele gute Dinge, die innere Chemie stimmt.“

Jürgen Klinsmann

filmt Klinsmann selbst. „Es war eine spontane Aktion, weil ich das Lied einfach mag“, meinte die VfB-Legende nun am Samstag. Dass auf der Schutzhüll­e seines Smartphone­s groß ein Adidas-Logo prangte, Hertha aber von Konkurrent Nike ausgerüste­t wird, sorgte in den sozialen Netzwerken für Spott.

Am Tag nach seiner missratene­n Rückkehr entschuldi­gte sich Klinsmann für den Fauxpas. „Es ist ein neues Handy“, dass er von seiner Frau Debbie bekommen habe. „Ich werde das Ausrüsterl­ogo jetzt mit dem Hertha-Emblem tauschen“, kündigte er an.

Sein Einstand mag schiefgega­ngen sein, die Mannschaft nicht wirklich besser gespielt haben als zuletzt unter dem geschasste­n Ante Covic, die Tabellenla­ge noch prekärer. Doch Jürgen Klinsmann bleibt Jürgen Klinsmann. „Die Mannschaft hat sehr viel Potenzial und den Willen, das Ding in die richtige Richtung zu bringen“, erklärte er, während sich ein ungebetene­r Gast im SpielerOut­fit, inklusive richtigem Ausrüsterl­ogo, unter seine Trainingsg­ruppe mischte. Der falsche Spieler, laut „Bild“ein YouTuber, der seinen Scherz noch filmen ließ, wurde erkannt und des Platzes verwiesen.

Klinsmann bleibt, bei allem zur Schau gestellten Optimismus, die Erkenntnis, dass er in Berlin vor einer äußerst pikanten Mission steht. Happy End ungewiss. „Wir werden die Intensität nach oben schrauben“, kündigte der ehemalige Bundestrai­ner an: „Weil wir wissen, wo wir stehen. Wir lesen alle die Tabelle.“Mit elf Punkten steht Hertha nun sogar auf dem Abstiegsre­legationsp­latz. Mit Blick aufs Spiel räumte er dann sogar eine gewisse Ernüchteru­ng ein. „Wir haben uns ein bisschen mehr erwünscht.“Trübsal blasen wollte er aber nach der Niederlage, die seinem Kollegen Lucien Favre beim BVB mindestens eine ruhigere Woche bescheren wird, nicht. „Generell bin ich sehr zufrieden. Die gesamte Umsetzung der Punkte, die wir uns vorgenomme­n haben, war da“, stellte der 55-Jährige fest und ergänzte: „Es geht nicht über Nacht.“

Trotz der frühen gelb-roten Karte für Dortmunds Mats Hummels (45.) kam Hertha nicht zum Ausgleich, auch wenn das Klinsmann anders sah. „Wir dachten eigentlich, wir hätten das 2:2 erzielt“, sagte er, nachdem das Tor von Davie Selke (48.) wegen Abseits aberkannt wurde. Es war Klinsmanns erste Berührung mit dem Videobewei­s, Selkes Abseitspos­ition eindeutig.

Die aktive Fanszene der Hertha verfolgt die neuen Entwicklun­gen mit Investor Lars Windhorst, der Klinsmann zu Hertha lockte, derweil mit großer Skepsis. „10 Jahre – 12 Trainer – Ein Verantwort­licher“stand auf einem Banner. Gemeint war Manager Michael Preetz. Der abgelöste Covic wurde gefeiert. Dass es nach dem Spiel zwischen Fans und Spielern Ärger gab und einige Hertha-Profis als „Absteiger“betitelt wurden, wollten die Profis nicht bestätigen. „Ich bemühe mich, dazu nichts zu sagen“, meinte Stark.

Am Sonntagmor­gen besprach Klinsmann die Partie noch einmal mit seinen Spielern. Die Bilanz fiel positiv aus. „Da waren viele gute Dinge, die innere Chemie stimmt“, sagte Klinsmann und gab den Weg vor: „In Frankfurt geben wir denen einen richtigen Fight.“Auch die Spieler sprachen bereits im Klinsmann-Stil: „Der Trainer hat unsere Köpfe freibekomm­en“, so Selke.

Die Gefahr: Klinsmann läuft längst die Zeit weg. Nur wenn zumindest intern der Ernst der Lage erkannt wird, kann der Jürgen-Klinsmann-Film mit einem Happy End enden. „Wenn wir täglich mehr arbeiten als die anderen, werden wir auch hochkommen“, sagte der Hobbyfilme­r. Teil eins des Berlin-Videos sei schon mal „im Archiv“.

 ?? FOTO: JAN HÜBNER/IMAGO IMAGES ?? Der Trainer als Kameramann: Jürgen Klinsmann filmt die Herthafans vor dem 1:2 gegen Dortmund. Man beachte die Ausrüsterl­ogos auf Telefon und Jacke.
FOTO: JAN HÜBNER/IMAGO IMAGES Der Trainer als Kameramann: Jürgen Klinsmann filmt die Herthafans vor dem 1:2 gegen Dortmund. Man beachte die Ausrüsterl­ogos auf Telefon und Jacke.

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