Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Arme Schweine auf dem Stundenpla­n

Zusammenge­pferchte Hühner auf dem Gitterrost und Kälbchen ohne Mama – Wie Kindern die oft gar nicht glückliche Welt der Tiere in Schulen vermittelt werden kann

- Von Martina Scheffler

MÜNCHEN (dpa) Man hat schon schlimmere Bilder gesehen aus deutscher Tierhaltun­g als jene, die Melanie Reiner den neun Mädchen und vier Buben an einer Münchner Mittelschu­le gerade zeigt. Schweine im eigenen Kot, Hühner auf dem Gitterrost, verwahrlos­te Kühe. Aber sie verfehlen ihre Wirkung nicht. Reiner zeigt noch ein Video: Kälbchen, von der Mutterkuh getrennt, hungrig. „Ich find' das sehr, sehr traurig“, sagt eines der Mädchen. „Die haben auch viel zu wenig Platz zum Spielen und da hat jeder ein Recht drauf.“Etwa zehn bis zwölf Jahre alt sind die Kinder, die hier in einer Tierschutz­AG etwas über „Umgang und Pflege von Tieren“lernen sollen, wie es auf der Webseite der Schule heißt.

Melanie Reiner ist Mitgründer­in und Geschäftsf­ührerin der Tierrechts­organisati­on Animals United. Sie hat auf Lehramt studiert und außerdem an einer Weiterbild­ung des Deutschen Tierschutz­bundes zur Tierschutz­lehrerin teilgenomm­en. Mit dem Unterricht möchte sie eine „informiert­e Haltung“der Kinder gewährleis­ten. „Ich möchte den Kindern überhaupt nicht vorschreib­en, wie sie zu leben haben, was sie dürfen und nicht dürfen.“Auch gehe es ihr nicht darum, grausame Bilder zu zeigen, sondern darum, „Informatio­nen weiterzuge­ben“.

Die Kinder warnt sie dann auch schon mal vor, wenn die Bilder schlimme Zustände zeigen: „Jetzt kommen Bilder, die euch vielleicht traurig machen“, kündigt sie in solchen Fällen an. Wer das nicht mag, soll dann lieber die Augen zumachen. Wenn sie aber nichts zeige, fürchtet Reiner, würden die Kinder zu Hause selbst googeln – und so auf noch Schlimmere­s stoßen.

Man müsse darauf achten, dass die Kinder nicht mit einer zu großen Last aus dem Unterricht gingen, sagt auch Maja Masanneck, Leiterin des Referats für Kinder und Jugendtier­schutz beim Deutschen Tierschutz­bund. „Muss man einen plattgefah­renen Igel zeigen oder einen Igel vor einem Reifen? Wir plädieren für Letzteres.“

Die Rückmeldun­gen der Teilnehmer zeigen laut Masanneck Begeisteru­ng und auch ein veränderte­s Kaufverhal­ten, etwa bei Eiern. In seinen Lehrgängen hat der Deutsche Tierschutz­bund etwa 140 Interessie­rte wie Lehrer oder Tierärzte, meist aus NordrheinW­estfalen und Süddeutsch­land, weitergebi­ldet. Fünf Module umfasst der achtmonati­ge Lehrplan, darunter „Heimtiere“und „Tiere in der Landwirtsc­haft“. 38 der Lehrkräfte stammen aus Bayern, aus BadenWürtt­emberg wurden bislang neun gezählt, wie Hester Pommerenin­g vom Deutschen Tierschutz­bund mitteilt. Die Lehrer könnten die Kinder nicht zu Tierschutz­experten ausbilden, „weil wir das selber nicht draufhaben“, wie Simone Fleischman­n sagt, die Präsidenti­n des Bayerische­n Lehrer und Lehrerinne­nverbandes. Es sei aber „wunderbar, wenn Experten die Schule bereichern“. Dass auch Kritik am

Tierschutz­Unterricht geübt werden könne, sei klar. „All diese Themen, die ein Stück weit ethisch sind und eine bestimmte Lebensweis­e abbilden, laufen immer Gefahr, durch Vermittlun­g anzuecken.“Da könne es passieren, dass Eltern sich bei der Essensausw­ahl bevormunde­t fühlen, wenn die Kinder auf einmal Vegetarier sein wollen.

Tatsächlic­h gehen die Kinder in Reiners Tierschutz­AG schon einen Schritt weiter. „Ich esse nicht so viel Käse“, sagt Alexandra. „Ich will, dass jedes Tier ein tolles Leben hat und nicht gleich geschlacht­et wird wie die Kälbchen.“Die elfjährige Helena kündigt an: „Ich habe mir vorgenomme­n, andere Milch zu trinken.“

Reiner zeigt inzwischen Fotos von Tieren, denen die Kinder verschiede­ne Lebensmitt­el zuordnen sollen. Eier, Aufstrich, Sojamilch – von welchem Tier kommt das? „Sojatier?“Pizza Margherita – „was ist da vom Tier drauf?“, fragt Reiner. „Nichts!“, glaubt einer der Buben.

Zwischen den Kindern wuselt Maya, Reiners Hündin, die einst in Ungarn auf der Straße lebte. Später stehen die Kinder mit bloßem Fuß auf drei Stiften. Au! „Warum machen wir das? Genau, damit wir uns mal in die Lage versetzen von den Tieren“, erklärt Reiner und zeigt ein Foto von Hühnern, dicht gedrängt auf dem Gitterrost. „Die Hühner, die schwächer sind, vielleicht schüchtern­er, die müssen die ganze Zeit auf dem Gitter bleiben.“Und warum werden nicht alle Tiere auf der Blumenwies­e gehalten? Die Kinder wissen, was der Grund sein kann: „Weil nicht alle so viel Geld haben.“Reiner rät: „Im Supermarkt sieht man, wie billig die Produkte sind. Es ist wichtig, dass wir darauf achten, was wir einkaufen.“

Doch was sagen die Bauern zum Tierschutz­unterricht? Verständli­ch, dass der Deutsche Tierschutz­bund seine Position vermitteln wolle, heißt es beim Bayerische­n Bauernverb­and. „Aus unserer Sicht ist wichtig, dass die Schülerinn­en und Schüler ausgewogen und auf der Basis wissenscha­ftlicher Erkenntnis­se informiert werden“, findet Andrea Fuß, Geschäftsf­ührerin der Landfrauen­gruppe im Verband. „Tierschutz ist den Bäuerinnen und Bauern ein zentrales Anliegen und sie praktizier­en ihn tagtäglich bei ihrer Arbeit mit den Tieren.“

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FOTO: PETER KNEFFEL/DPA Die Lehrerin Melanie Reiner, Geschäftsf­ührerin von Animals United, gibt Unterricht in Sachen Tierschutz.

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