Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Der Strafzins frisst sich weiter vor
Immer mehr Banken belasten Einlagen von Privatkunden, auch vom ersten Euro an
FRANKFURT Mit der comdirect, der Tochtergesellschaft der Commerzbank, hat nun die erste Onlinebank Negativzinsen auf die Einlagen von Privatkunden eingeführt. Das gilt vom 1. Januar 2020 jedoch nur für diejenigen Bestandskunden, die mehr als 250 000 Euro auf dem Girokonto deponiert haben. 0,5 Prozent Strafgebühren berechnet die Direktbank, die eigentlich mit einer kostenlosen Kontoführung wirbt.
Insgesamt aber steht die comdirect nicht allein. Zahlreiche Filialbanken haben in den vergangenen Monaten schon Strafgebühren eingeführt, meist galten die jedoch für Neukunden, und nur, wenn ein bestimmter Freibetrag überschritten wird. 153 Banken hätten dies inzwischen getan, berichtet das Finanzportal Biallo, davon 59 Institute auch bei Privatkunden.
Das Vergleichsportal Verivox kommt auf 50 Banken, die entweder Negativzinsen eingeführt haben oder Gebühren für das Tagesgeldkonto verlangen. 23 Institute berechnen laut Verivox Strafzinsen für Privatkunden und zeigen dies auch in online zugänglichen Preisverzeichnissen oder Produktübersichten. Weitere sieben erheben Gebühren für das üblicherweise kostenlose Tagesgeldkonto. Und weitere 20 Geldhäuser verlangen laut Berichten in den Medien Negativzinsen, zeigen dies aber nicht in online zugänglichen Preisaushängen an.
„Die Zinsen liegen meistens bei minus 0,4 oder minus 0,5 Prozent, es gibt aber auch schon Banken, die minus 0,6 Prozent verlangen“, sagt Toralf Richter, Sprecher von Verivox. Die Freibeträge liegen laut Biallo zwischen 100 000 Euro bis zu Millionenbeträgen. Doch inzwischen haben erste Institute auch Strafzinsen auf Tagesgeldkonten vom ersten Euro an eingeführt. Dabei machte die VRBank Fürstenfeldbruck den Anfang, es folgte die Kreissparkasse Stendal. Auch die VRBank Westmünsterland verlangt inzwischen 0,5 Prozent Strafzinsen vom ersten Euro an, und die zweitgrößte Volksbank Deutschlands in Frankfurt denkt Medienberichten zufolge darüber nach.
Vor fünf Jahren hatte die Europäische Zentralbank (EZB) erstmals Negativzinsen auf Einlagen eingeführt. Seither habe sich die gesamte Zinslandschaft verändert, sagt Maija Kolak, Präsidentin des BVR, des Bundesverbandes der Volks und Raiffeisenbanken. Der gravierende Effekt sei, dass die Margen sowohl im Anlagegeschäft als auch im Kreditgeschäft auf beiden Seiten quasi gen null tendierten. Das sei anspruchsvoll für die Banken, diese Art von Geldpolitik zu verkraften. Würden sie auf sämtliche Einlagen auf den Giro und Tagesgeldkonten Strafzinsen von 0,5 Prozent erheben, da lagern immerhin 2,4 Billionen Euro, dann könnten sie allein dadurch zwölf Milliarden Euro einnehmen.
Der BVR jedenfalls hat Leitlinien entwickelt, wie die Mitgliedsinstitute ihre Privatkunden auf die Einführung von Negativzinsen vorbereiten können. Ob sie das tun, das sei der Geschäftspolitik jedes einzelnen Instituts überlassen, sagt die BVRPräsidentin. Vor einem solchen Schritt suche man das Gespräch mit den Kunden, um sie zu animieren, ihr Geld auf andere Art anzulegen.
Doch ob eine solche Beratung der Banken immer das Wohl der Kunden im Auge habe, das bezweifelt HermannJosef Tenhagen vom Verbraucherportal Finanztip. Denn die Banken hätten den Kunden in den vergangenen Jahren gern Mischfonds verkauft, bei denen bis zu 2,5 Prozent Kosten verlangt wurden, ohne dass die Manager eine Rendite erwirtschaftet hätten: „Da hätte man das Geld besser auf dem Konto liegen lassen können. Nur die Bank hat ihren Reibach gemacht“, kritisiert er.
Zudem machen die Institute beim Thema Strafzins sehr gern ihre eigene Rechnung auf. So hat die EZB den sogenannten Einlagensatz im September zwar weiter auf minus 0,5 Prozent gesenkt. So viel müssen Banken und Sparkassen seitdem zahlen, wenn sie Gelder über Nacht bei der Notenbank deponieren. Aufs Jahr gerechnet summieren sich die Belastungen dadurch auf rund drei Milliarden Euro. Gleichzeitig hat die EZB den Geldhäusern durch die Einführung eines Staffelzinses aber auch Erleichterung verschafft. Dabei handelt es sich um einen individuellen Freibetrag, der von den Strafzinsen ausgenommen ist. Nach Berechnungen des Bundesverbands deutscher Banken (BdB) ergibt sich daraus für die hiesigen Banken und Sparkassen immerhin eine Entlastung von netto etwa 520 Millionen Euro im Jahr. Äußerungen verschiedener Geldinstitute deuten jedoch nicht darauf hin, dass dieser Vorteil an die Kundschaft weitergegeben wird.
Verbraucherschützer weisen darauf hin, dass es immer noch Banken – vor allem in den Niederlanden und in Frankreich – gebe, die positive Zinsen auf Tagesgeld zahlten. Ein Wechsel könnte sich also lohnen.