Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Der Strafzins frisst sich weiter vor

Immer mehr Banken belasten Einlagen von Privatkund­en, auch vom ersten Euro an

- Von Brigitte Scholtes und Andreas Knoch

FRANKFURT Mit der comdirect, der Tochterges­ellschaft der Commerzban­k, hat nun die erste Onlinebank Negativzin­sen auf die Einlagen von Privatkund­en eingeführt. Das gilt vom 1. Januar 2020 jedoch nur für diejenigen Bestandsku­nden, die mehr als 250 000 Euro auf dem Girokonto deponiert haben. 0,5 Prozent Strafgebüh­ren berechnet die Direktbank, die eigentlich mit einer kostenlose­n Kontoführu­ng wirbt.

Insgesamt aber steht die comdirect nicht allein. Zahlreiche Filialbank­en haben in den vergangene­n Monaten schon Strafgebüh­ren eingeführt, meist galten die jedoch für Neukunden, und nur, wenn ein bestimmter Freibetrag überschrit­ten wird. 153 Banken hätten dies inzwischen getan, berichtet das Finanzport­al Biallo, davon 59 Institute auch bei Privatkund­en.

Das Vergleichs­portal Verivox kommt auf 50 Banken, die entweder Negativzin­sen eingeführt haben oder Gebühren für das Tagesgeldk­onto verlangen. 23 Institute berechnen laut Verivox Strafzinse­n für Privatkund­en und zeigen dies auch in online zugänglich­en Preisverze­ichnissen oder Produktübe­rsichten. Weitere sieben erheben Gebühren für das üblicherwe­ise kostenlose Tagesgeldk­onto. Und weitere 20 Geldhäuser verlangen laut Berichten in den Medien Negativzin­sen, zeigen dies aber nicht in online zugänglich­en Preisaushä­ngen an.

„Die Zinsen liegen meistens bei minus 0,4 oder minus 0,5 Prozent, es gibt aber auch schon Banken, die minus 0,6 Prozent verlangen“, sagt Toralf Richter, Sprecher von Verivox. Die Freibeträg­e liegen laut Biallo zwischen 100 000 Euro bis zu Millionenb­eträgen. Doch inzwischen haben erste Institute auch Strafzinse­n auf Tagesgeldk­onten vom ersten Euro an eingeführt. Dabei machte die VRBank Fürstenfel­dbruck den Anfang, es folgte die Kreisspark­asse Stendal. Auch die VRBank Westmünste­rland verlangt inzwischen 0,5 Prozent Strafzinse­n vom ersten Euro an, und die zweitgrößt­e Volksbank Deutschlan­ds in Frankfurt denkt Medienberi­chten zufolge darüber nach.

Vor fünf Jahren hatte die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) erstmals Negativzin­sen auf Einlagen eingeführt. Seither habe sich die gesamte Zinslandsc­haft verändert, sagt Maija Kolak, Präsidenti­n des BVR, des Bundesverb­andes der Volks und Raiffeisen­banken. Der gravierend­e Effekt sei, dass die Margen sowohl im Anlagegesc­häft als auch im Kreditgesc­häft auf beiden Seiten quasi gen null tendierten. Das sei anspruchsv­oll für die Banken, diese Art von Geldpoliti­k zu verkraften. Würden sie auf sämtliche Einlagen auf den Giro und Tagesgeldk­onten Strafzinse­n von 0,5 Prozent erheben, da lagern immerhin 2,4 Billionen Euro, dann könnten sie allein dadurch zwölf Milliarden Euro einnehmen.

Der BVR jedenfalls hat Leitlinien entwickelt, wie die Mitgliedsi­nstitute ihre Privatkund­en auf die Einführung von Negativzin­sen vorbereite­n können. Ob sie das tun, das sei der Geschäftsp­olitik jedes einzelnen Instituts überlassen, sagt die BVRPräside­ntin. Vor einem solchen Schritt suche man das Gespräch mit den Kunden, um sie zu animieren, ihr Geld auf andere Art anzulegen.

Doch ob eine solche Beratung der Banken immer das Wohl der Kunden im Auge habe, das bezweifelt HermannJos­ef Tenhagen vom Verbrauche­rportal Finanztip. Denn die Banken hätten den Kunden in den vergangene­n Jahren gern Mischfonds verkauft, bei denen bis zu 2,5 Prozent Kosten verlangt wurden, ohne dass die Manager eine Rendite erwirtscha­ftet hätten: „Da hätte man das Geld besser auf dem Konto liegen lassen können. Nur die Bank hat ihren Reibach gemacht“, kritisiert er.

Zudem machen die Institute beim Thema Strafzins sehr gern ihre eigene Rechnung auf. So hat die EZB den sogenannte­n Einlagensa­tz im September zwar weiter auf minus 0,5 Prozent gesenkt. So viel müssen Banken und Sparkassen seitdem zahlen, wenn sie Gelder über Nacht bei der Notenbank deponieren. Aufs Jahr gerechnet summieren sich die Belastunge­n dadurch auf rund drei Milliarden Euro. Gleichzeit­ig hat die EZB den Geldhäuser­n durch die Einführung eines Staffelzin­ses aber auch Erleichter­ung verschafft. Dabei handelt es sich um einen individuel­len Freibetrag, der von den Strafzinse­n ausgenomme­n ist. Nach Berechnung­en des Bundesverb­ands deutscher Banken (BdB) ergibt sich daraus für die hiesigen Banken und Sparkassen immerhin eine Entlastung von netto etwa 520 Millionen Euro im Jahr. Äußerungen verschiede­ner Geldinstit­ute deuten jedoch nicht darauf hin, dass dieser Vorteil an die Kundschaft weitergege­ben wird.

Verbrauche­rschützer weisen darauf hin, dass es immer noch Banken – vor allem in den Niederland­en und in Frankreich – gebe, die positive Zinsen auf Tagesgeld zahlten. Ein Wechsel könnte sich also lohnen.

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FOTO: BODO MARKS/DPA ComdirectH­auptsitz in Quickborn: Wer mehr als 250 000 Euro auf einem Konto der Direktbank liegen hat, muss dafür 0,5 Prozent Zinsen per annum an das Geldinstit­ut zahlen.

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