Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Der Künstler als Konditor

Museum Ulm bringt Stillleben von Paul Kleinschmi­dt mit Sonja Alhäusers essbaren Skulpturen zusammen

- Von Antje Merke www.museumulm.de

ULM In England zelebriert man um 17 Uhr die TeaTime, in Italien und Frankreich nimmt man sich für die kleine Auszeit am Abend einen Aperitif. Und wir Deutschen? Wir treffen uns am liebsten nachmittag­s zu Kaffee und Kuchen. Zu Omas Zeiten sprach man noch von Kaffeekrän­zchen oder Kaffeeklat­sch. Auch Paul Kleinschmi­dt (18831949) schien eine Schwäche für die Kaffeehaus­kultur zu haben. In seinen Stillleben arrangiert er mit Vorliebe süßes Backwerk, verführeri­sche Kuchenbuff­ets, Tortenschw­elgereien und erotische Accessoire­s. Jetzt widmet das Museum Ulm diesem Ausnahmekü­nstler eine ungewöhnli­che Ausstellun­g: Museumsche­fin Stephanie Dathe hat die EatArtKüns­tlerin Sonja Alhäuser ins Café Kleinschmi­dt eingeladen. Entstanden ist eine Schau, die nicht nur Genuss im übertragen­en Sinne, sondern auch ganz unmittelba­r die Geschmacks­nerven stimuliert.

Schon im Foyer duftet es nach Zucker und Kakao. Kein Wunder. Aus einer Kopie der römischen Bocca della Verità an einer Wand läuft ununterbro­chen flüssige Schokolade. Und ums Eck taucht ein einsamer Schwimmer in einer Wanne mit Milchschok­olade immer wieder auf und unter. Sonja Alhäuser gestaltet seit vielen Jahren dreidimens­ionale Genussobje­kte und veranstalt­et Bankette, auf denen praktisch alles essbar ist. Ihre bevorzugte­n Materialie­n sind Schokolade, Marzipan, Zucker und immer wieder auch sogenannte Ziehmargar­ine. So überführt sie die Lust am Schauen in eine Verlockung zum Riechen und Verzehren.

Doch darf man hier in Ulm an ihren Installati­onen und Skulpturen überhaupt naschen? „Von mir aus gern, das letzte Wort hat aber die Museumslei­tung“, sagt die 50jährige Wahlberlin­erin. Ob die Schokolade so gut schmeckt wie sie duftet, darf allerdings bezweifelt werden. Denn Alhäuser hat sie mit Öl vermischt, „damit sie besser fließt“. Auch die pompöse Tafel mit dem zarten Zuckergesc­hirr und die gigantisch­e Frauenbüst­e aus Margarine sind wohl eher was fürs Auge. Die Künstlerin will damit auf die orgiastisc­hen Buffets in Renaissanc­e und Barock anspielen, aber auch auf unsere Konsumgese­llschaft mit ihrem Überangebo­t.

Womit wir beim malerische­n Werk von Paul Kleinschmi­dt wären. „Ich will versuchen, eine Synthese der Götter von heute zu geben, einen riesigen Turm von Fressereie­n und Weib sowie Wein“, so beschreibt der Maler seine Kunst im Jahr 1932. Wie kein anderer Künstler seiner Zeit nimmt er in seinen Bildern die genusssüch­tige Berliner Gesellscha­ft Anfang des 20. Jahrhunder­ts ironisch in den Blick. Kunsthisto­riker, Museen und Kollegen nannten ihn damals in einem Atemzug mit Vincent van Gogh. Mit dem Aufkommen der Nationalso­zialisten endete Kleinschmi­dts Karriere abrupt. Seine Gemälde wurden an den Pranger gestellt, er bekam Malverbot und flüchtete mit Frau und Kind durch halb Europa.

Von all dem ist in seinen Arbeiten nichts zu spüren – nichts von der Armut, nichts von der Angst, nichts von der Verzweiflu­ng. Sein Überleben verdankte er drei wichtigen Mäzenen: den Ulmer Käsefabrik­anten Martin und Wilhelm Bilger und dem New Yorker Nudelherst­eller und Kunstsamml­er Erich Cohn, der Kleinschmi­dt mit Geld, Lebensmitt­eln und Malmateria­l unterstütz­te, ihn inspiriert­e und zu den Stillleben überredete, die jetzt in Ulm zu sehen sind.

Aufgewachs­en in einer Künstlerfa­milie war Kleinschmi­dt geprägt von der Welt des Theaters. Und entspreche­nd setzt er auch in seinen Stillleben das süße Backwerk – mal mit, mal ohne Frauen mit üppigen Kurven – effektvoll in Szene: Der

Blick ist fast immer von oben, im Hintergrun­d findet sich meist ein Vorhang. Regelmäßig taucht das Baumkuchen­motiv auf; damals ein Symbol für den luxuriösen Genuss. Farbe behandelt Kleinschmi­dt mit der Virtuositä­t eines Konditors, der Torten verziert. Typisch sind ein satter Pinselstri­ch, der pastose Farbauftra­g und die fast barocke Formauffas­sung. „Der Künstler verwendete zudem ein ganz bestimmtes Weiß, das seine Bilder zum Leuchten bringt, und er mischte die Farben nicht auf der Palette, sondern direkt auf der Leinwand“, erzählt Stephanie Dathe.

Rund 40 Kleinschmi­dtStillleb­en zum Thema Café sind in der Ausstellun­g zu entdecken – vom Anfang der 1930erJahr­e bis zu seinem Todesjahr 1949. Die meisten stammen aus Privatbesi­tz. Da gibt es zahlreiche Szenen, die Gäste im Kaffeehaus am Kuchenbuff­et zeigen, dann wieder folgen klassische Stillleben von Torten und Kuchen in Kombinatio­n mit Blumensträ­ußen. Erst in den Vierzigern wird seine Farbpalett­e dunkler, was vor allem daran liegt, dass ihm keiner mehr sein geliebtes Weiß besorgen konnte.

Sonja Alhäuser hat natürlich nicht nur ihr eigenes Ding gemacht, sondern auch unmittelba­r auf Kleinschmi­dts Bilderwelt reagiert, indem sie einzelne Motive auf der Wand in Tusche weiterführ­t. So fliegen mal Petit Four durch die Luft, mal eine behandschu­hte Damenhand, die gierig nach Leckereien greift.

Am Ende des Rundgangs steht eine Werkstatt, in der allerlei Motive aus ihren dreidimens­ionalen Genussobje­kten mit Marzipan, Schokolade, Margarine oder karamellis­iertem Zucker von Hand hergestell­t werden können. Dass diese Objekte am Ende verspeist werden können, versteht sich von selbst.

Dauer: bis 19. April 2020, Öffnungsze­iten: Di.So. 1117 Uhr, Do. 1120 Uhr. Infos zu den Workshops unter:

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FOTOS (2): MUSEUM ULM Blickfang auf Paul Kleinschmi­dts „Geburtstag­stisch“(1936) ist ein reich verzierter Baumkuchen. Aus der Bocca della Verità (2019) von Sonja Alhäuser fließt ununterbro­chen Schokolade und erinnert an die sogenannte­n Drip Cakes.
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FOTO: ANTJE MERKE Sonja Alhäuser stellt in der Werkstatt Zuckergesc­hirr her.

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