Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Den Sternen ganz nah
Auf dem Venet bietet Tirols erste Volkssternwarte einen besonderen Blick in den Himmel
Es ist windig, dunkel und kalt. Dick eingehüllt in Winterjacken, Mützen und Schals stapft eine Gruppe auf einen kugelförmigen Bau zu. Sie wird in dieser Nacht den Sternen ganz nah kommen. Auf dem Venet, einem Berg bei Zams, hat im September nämlich die erste Volkssternwarte Tirols eröffnet. Dort bieten Astronomen ganz besondere Sternentouren an.
Der dünne Lichtstrahl einer Taschenlampe weist der Gruppe den Weg. Nur zwei Minuten ist das Observatorium von der 2212 Meter über dem Meeresspiegel gelegenen VenetGipfelhütte entfernt. Dennoch, der Abstand macht einen bedeutenden Unterschied aus. Die Dunkelheit auf der Rückseite der Sternwarte ist nahezu undurchdringlich. Nur wenige, weit entfernte Lichtquellen verunreinigen hier die Aussicht aufs Firmament. „Wir haben lange nach so einem Platz für die Sternwarte gesucht. Nicht einmal das Licht von Zams kommt hier oben wirklich an“, sagt Norbert Span. Der Astronom deutet den Südhang hinunter. Ein schwacher Lichtschimmer verrät die Lage des Dorfes am Fuß des Berges.
Mittlerweile steht die Gruppe fröstelnd auf der Terrasse der Sternwarte. Doch kaum einer stört sich an der Kälte, denn von dort aus ist selbst mit bloßem Auge ein gewaltiger Blick auf den Sternenhimmel möglich. Zu sehen sind zu dieser Jahreszeit unter anderem der Merkur, Mars und Freya, das Zeichen der keltischen Göttin der Fruchtbarkeit, des Glücks und der Liebe, auch bekannt aus der römischen Mythologie als Venus.
Sogar die Milchstraße ist bei klarem Himmel und bevor der Mond aufgeht von der VenetBergstation aus gut sichtbar. Was in Städten wegen der Lichtverschmutzung schon lange vom Himmel verschwunden ist, ist bei klarem Himmel von der Terrasse der Sternwarte aus mit bloßem Auge deutlich zu erkennen. Milliarden von Sternen erstrecken sich in einer Linie vor dem Betrachter, queren einmal den Himmel – ein faszinierender Anblick. „Einmal ist ein 40Jähriger in Tränen ausgebrochen, weil er das erste Mal in seinem Leben die Milchstraße gesehen hat“, erzählt Span. Er hat die aus EUGeldern finanzierte Sternwarte am Venet aufgebaut und schult die Sternenguides, die ab dem 13. Dezember 2019 die wöchentlichen Führungen am Observatorium übernehmen.
Im Rücken der Gruppe, die Richtung Süden in den Himmel blickt, erhebt sich das eigentliche Observatorium. Auf einem quadratischen Holzgebäude thront die 5,50 Meter durchmessende große weiße Kugel. Sie ist innen über eine Treppe zu erreichen, besteht aus sieben Glasfaserteilen und ist drehbar. Rotes Licht im Inneren schont die empfindlichen Augen. So können die Sternbilder und Planeten in alle Richtungen durch ein großes Fernrohr begutachtet werden. „Je nach Jahreszeit verändern sich diese“, erklärt Span. Zu entdecken gebe es aber immer etwas. Am 14. und 15. Dezember beispiels
„Wir haben lange nach so einem Platz gesucht. Nicht einmal das Licht von Zams kommt hier oben wirklich an.“
Norbert Span, Astronom
weise ist wieder eine Sternschnuppennacht.
Den nächtlichen Sternenhimmel aus der Nähe bewundern kann jedoch nur, wer auch auf dem Gipfel übernachtet. Die Gondel startet zu
ihrer letzten Talfahrt des Tages noch vor Sonnenuntergang. Dafür bietet die VenetGipfelhütte schlichte, aber gemütliche Zimmer mit Blick über die umliegenden Berggipfel. „Die Hütte ist 2012 als Schutzhütte gebaut worden“, sagt Werner Millinger, der Geschäftsführer der VenetBergbahnen. Dies sei auch der Grund, warum Übernachtungsgäste auf Komfort wie ein Schwimmbad oder einen Wellnessbereich verzichten müssen. Doch das tut der Stimmung der Gruppe am Gipfel keinen Abbruch, eng drängen sich die Sternengucker unter der Kuppel der Sternwarte, jeder möchte einmal die Krater des Mondes durch das Teleskop betrachten.
Nicht nur die Dunkelheit ist auf dem Venet besonders. Anders als in den umliegenden Skigebieten wie am Arlberg gibt es am Venet nur wenige Skipisten und die sind dazu noch ziemlich steil. „Mit 22 Pistenkilometern können wir niemanden locken“, sagt Millinger. Darum bekenne man sich am Venet zu dem, was man nicht könne und biete dafür anderes – wie Heiraten im Gipfelrestaurant mit überwältigendem Ausblick über die Berggipfel bis nach Südtirol. Brautpaar und Gäste können dann in einem der 100 Betten am Gipfel übernachten, oder nachts mit einer Sonderfahrt der Gondel zurück ins Tal schweben.
Wer nicht gleich heiraten und trotzdem eine Nacht der besonderen Art erleben möchte, darf im Sommer sein Zelt auf dem Gipfel aufschlagen. Überhaupt bietet der Venet unterschiedliche Naturerlebnisse wie den Kräuterwanderweg, die eineinhalbstündige Gipfelwanderung und eine abenteuerliche Fahrt mit der VenetBobbahn. Wagemutige schwingen sich in den Sommermonaten auf ein Tobikart, eine Art Dreirad mit großen Reifen, und sausen damit den Südhang hinunter. Auf Forstwegen geht es über Wiesen und durch den Wald auf einer kurvigen Strecke bis zur Mittelstation des in die Jahre gekommenen Sessellifts, der sich von Zams aus den Berg hinaufmüht.
Zudem ist die Sternwarte auch tagsüber einen Besuch wert. Denn durch ein weiteres Fernrohr lässt sich ohne Gefahr für die empfindliche Netzhaut des Auges die Sonne in ihrer ganzen Strahlkraft bewundern. Auch frühes Aufstehen lohnt sich am Venet, denn die Sonnenaufgänge sind sehenswert, wenn der Nebel in Schwaden vorbeizieht, und die Sonne hinter den Gipfeln auftaucht.
Genauere Informationen zu den Sternentouren gibt es unter sternenguide@venet.at
Die Recherche wurde unterstützt von der VenetBergbahnen AG und dem Tourismusverband TirolWest.