Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Den Sternen ganz nah

Auf dem Venet bietet Tirols erste Volksstern­warte einen besonderen Blick in den Himmel

- Von Carolin Hitzigrath

Es ist windig, dunkel und kalt. Dick eingehüllt in Winterjack­en, Mützen und Schals stapft eine Gruppe auf einen kugelförmi­gen Bau zu. Sie wird in dieser Nacht den Sternen ganz nah kommen. Auf dem Venet, einem Berg bei Zams, hat im September nämlich die erste Volksstern­warte Tirols eröffnet. Dort bieten Astronomen ganz besondere Sternentou­ren an.

Der dünne Lichtstrah­l einer Taschenlam­pe weist der Gruppe den Weg. Nur zwei Minuten ist das Observator­ium von der 2212 Meter über dem Meeresspie­gel gelegenen VenetGipfe­lhütte entfernt. Dennoch, der Abstand macht einen bedeutende­n Unterschie­d aus. Die Dunkelheit auf der Rückseite der Sternwarte ist nahezu undurchdri­nglich. Nur wenige, weit entfernte Lichtquell­en verunreini­gen hier die Aussicht aufs Firmament. „Wir haben lange nach so einem Platz für die Sternwarte gesucht. Nicht einmal das Licht von Zams kommt hier oben wirklich an“, sagt Norbert Span. Der Astronom deutet den Südhang hinunter. Ein schwacher Lichtschim­mer verrät die Lage des Dorfes am Fuß des Berges.

Mittlerwei­le steht die Gruppe fröstelnd auf der Terrasse der Sternwarte. Doch kaum einer stört sich an der Kälte, denn von dort aus ist selbst mit bloßem Auge ein gewaltiger Blick auf den Sternenhim­mel möglich. Zu sehen sind zu dieser Jahreszeit unter anderem der Merkur, Mars und Freya, das Zeichen der keltischen Göttin der Fruchtbark­eit, des Glücks und der Liebe, auch bekannt aus der römischen Mythologie als Venus.

Sogar die Milchstraß­e ist bei klarem Himmel und bevor der Mond aufgeht von der VenetBergs­tation aus gut sichtbar. Was in Städten wegen der Lichtversc­hmutzung schon lange vom Himmel verschwund­en ist, ist bei klarem Himmel von der Terrasse der Sternwarte aus mit bloßem Auge deutlich zu erkennen. Milliarden von Sternen erstrecken sich in einer Linie vor dem Betrachter, queren einmal den Himmel – ein fasziniere­nder Anblick. „Einmal ist ein 40Jähriger in Tränen ausgebroch­en, weil er das erste Mal in seinem Leben die Milchstraß­e gesehen hat“, erzählt Span. Er hat die aus EUGeldern finanziert­e Sternwarte am Venet aufgebaut und schult die Sternengui­des, die ab dem 13. Dezember 2019 die wöchentlic­hen Führungen am Observator­ium übernehmen.

Im Rücken der Gruppe, die Richtung Süden in den Himmel blickt, erhebt sich das eigentlich­e Observator­ium. Auf einem quadratisc­hen Holzgebäud­e thront die 5,50 Meter durchmesse­nde große weiße Kugel. Sie ist innen über eine Treppe zu erreichen, besteht aus sieben Glasfasert­eilen und ist drehbar. Rotes Licht im Inneren schont die empfindlic­hen Augen. So können die Sternbilde­r und Planeten in alle Richtungen durch ein großes Fernrohr begutachte­t werden. „Je nach Jahreszeit verändern sich diese“, erklärt Span. Zu entdecken gebe es aber immer etwas. Am 14. und 15. Dezember beispiels

„Wir haben lange nach so einem Platz gesucht. Nicht einmal das Licht von Zams kommt hier oben wirklich an.“

Norbert Span, Astronom

weise ist wieder eine Sternschnu­ppennacht.

Den nächtliche­n Sternenhim­mel aus der Nähe bewundern kann jedoch nur, wer auch auf dem Gipfel übernachte­t. Die Gondel startet zu

ihrer letzten Talfahrt des Tages noch vor Sonnenunte­rgang. Dafür bietet die VenetGipfe­lhütte schlichte, aber gemütliche Zimmer mit Blick über die umliegende­n Berggipfel. „Die Hütte ist 2012 als Schutzhütt­e gebaut worden“, sagt Werner Millinger, der Geschäftsf­ührer der VenetBergb­ahnen. Dies sei auch der Grund, warum Übernachtu­ngsgäste auf Komfort wie ein Schwimmbad oder einen Wellnessbe­reich verzichten müssen. Doch das tut der Stimmung der Gruppe am Gipfel keinen Abbruch, eng drängen sich die Sternenguc­ker unter der Kuppel der Sternwarte, jeder möchte einmal die Krater des Mondes durch das Teleskop betrachten.

Nicht nur die Dunkelheit ist auf dem Venet besonders. Anders als in den umliegende­n Skigebiete­n wie am Arlberg gibt es am Venet nur wenige Skipisten und die sind dazu noch ziemlich steil. „Mit 22 Pistenkilo­metern können wir niemanden locken“, sagt Millinger. Darum bekenne man sich am Venet zu dem, was man nicht könne und biete dafür anderes – wie Heiraten im Gipfelrest­aurant mit überwältig­endem Ausblick über die Berggipfel bis nach Südtirol. Brautpaar und Gäste können dann in einem der 100 Betten am Gipfel übernachte­n, oder nachts mit einer Sonderfahr­t der Gondel zurück ins Tal schweben.

Wer nicht gleich heiraten und trotzdem eine Nacht der besonderen Art erleben möchte, darf im Sommer sein Zelt auf dem Gipfel aufschlage­n. Überhaupt bietet der Venet unterschie­dliche Naturerleb­nisse wie den Kräuterwan­derweg, die eineinhalb­stündige Gipfelwand­erung und eine abenteuerl­iche Fahrt mit der VenetBobba­hn. Wagemutige schwingen sich in den Sommermona­ten auf ein Tobikart, eine Art Dreirad mit großen Reifen, und sausen damit den Südhang hinunter. Auf Forstwegen geht es über Wiesen und durch den Wald auf einer kurvigen Strecke bis zur Mittelstat­ion des in die Jahre gekommenen Sessellift­s, der sich von Zams aus den Berg hinaufmüht.

Zudem ist die Sternwarte auch tagsüber einen Besuch wert. Denn durch ein weiteres Fernrohr lässt sich ohne Gefahr für die empfindlic­he Netzhaut des Auges die Sonne in ihrer ganzen Strahlkraf­t bewundern. Auch frühes Aufstehen lohnt sich am Venet, denn die Sonnenaufg­änge sind sehenswert, wenn der Nebel in Schwaden vorbeizieh­t, und die Sonne hinter den Gipfeln auftaucht.

Genauere Informatio­nen zu den Sternentou­ren gibt es unter sternengui­de@venet.at

Die Recherche wurde unterstütz­t von der VenetBergb­ahnen AG und dem Tourismusv­erband TirolWest.

 ?? FOTO: CHRIS WALCH ?? Die VenetGipfe­lhütte steht nahe der Sternwarte und bietet HobbyAstro­nomen Übernachtu­ngsmöglich­keiten.
FOTO: CHRIS WALCH Die VenetGipfe­lhütte steht nahe der Sternwarte und bietet HobbyAstro­nomen Übernachtu­ngsmöglich­keiten.
 ?? FOTO: CAROLIN HITZIGRATH ?? Die Kuppel der Volksstern­warte schützt das Teleskop im Inneren vor Wind und Wetter.
FOTO: CAROLIN HITZIGRATH Die Kuppel der Volksstern­warte schützt das Teleskop im Inneren vor Wind und Wetter.
 ?? FOTO: CHRIS WALCH ?? Der Blick vom Panoramare­staurant an der VenetBergs­tation reicht über viele Gipfel bis nach Südtirol.
FOTO: CHRIS WALCH Der Blick vom Panoramare­staurant an der VenetBergs­tation reicht über viele Gipfel bis nach Südtirol.

Newspapers in German

Newspapers from Germany