Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
„Wir müssen über alles sprechen“
Dekan Bernd Herbinger über den Synodalen Weg der katholischen Kirche
FRIEDRICHSHAFEN Die Missbrauchsfälle haben das Vertrauen in die katholische Kirche schwer erschüttert. Sie reagiert nun mit dem Synodalen Weg – einer Erneuerungsbewegung, in der die deutschen Bischöfe im Verlauf der nächsten beiden Jahre zusammen mit den Gläubigen Reformen anstoßen wollen. Bernd Herbinger, Dekan des Dekanats Friedrichshafen, hat sich mit Harald Ruppert über die Chancen und Grenzen des Synodalen Weges unterhalten.
Ohne die Missbrauchsskandale gäbe es den Synodalen Weg nicht. Aber welche Themen stehen dabei sonst noch auf der Agenda?
Es sind vier Themenblöcke: Die Fragen zur Teilhabe der Getauften an Entscheidungsprozessen, zur Möglichkeit von Frauen in Weiheämtern, zur Positionierung des Priesters und zu einer Sexualmoral, die Menschen hilft und sie nicht etwa ächtet.
Wohin steuert der Synodale Weg?
Man verspricht sich von den Gesprächen über die Themen eine gemeinsame Position, die deutlich reformorientiert ist.
Es gibt Kräfte innerhalb der katholischen Kirche in Deutschland, die diesen Aufbruch kritisch sehen. Aber ist er auch in der Diözese RottenburgStuttgart umstritten?
Im Südwesten waren die Menschen immer schon liberaler, aber auch gemäßigter als anderswo (lacht). Manche denken zwar, durch den Synodalen Weg würde die Kirche aus den Angeln gehoben – durch ein Revoluzzerparlament, das die Bischöfe klein macht. Aber das ist nicht zu erkennen. Innerhalb der Diözese wüsste ich nicht, dass jemand skeptisch ist. Die größere Gefahr liegt in zu großen Erwartungen. Kardinal Walter Kasper argumentiert, man solle sich besser auf das beschränken, was man in Deutschland verändern kann. Er hat schon recht. Wir sind aber an einem Punkt, wo über alles gesprochen werden muss und werden wird. Und ich denke, dass es in der Weltkirche etwas auslösen würde, wenn die deutschen Bischöfe zum Zölibat und zur Möglichkeit der Diakoninnenweihe geschlossen Position bezögen.
Wie sehen Sie persönlich den Aufbruch zum Synodalen Weg?
Ich war anfangs skeptisch, weil ich mich frage, was große Gesprächsforen bringen können. Aber seitdem es losging, spüre ich, dass in diesem Prozess positive Energien stecken. Da trifft sich immerhin die komplette deutsche Bischofskonferenz und zugleich die Spitzen der deutschen Verbände. Auch die Basis ist vertreten: Von uns aus der Diözese sind ein Priester und zwei gewählte Diözesanräte dabei.
Wie stehen Sie zur Zukunft des Zölibats und der Priesterschaft für Frauen?
Zur Ehe für Priester: Dass eine geweihte Person im Zölibat lebt, sollte eigentlich als ein geistlicher Gewinn für die Kirche wahrgenommen werden, nicht nur damit sich einer ohne Familie verausgaben kann. Zur Zulassung von Frauen zum Weiheamt:
Wir schließen ja aktuell berufene Menschen aus. Viele Frauen sagen uns auch: Wenn ihr die Frauenfrage nicht irgendwie löst, ist die Kirche für uns gestorben. Den Frauen ist das wirklich ernst. Andererseits: Wenn wir in Friedrichshafen Frauen als Diakonin oder verheiratete Pfarrer hätten, was würde sich konkret ändern? Dass das Geschlecht an der Qualität der Botschaft so viel verändern würde, glaube ich nicht. Gleichwohl fände ich es aus Gerechtigkeitsgründen wichtig, intensiver über die Frage nachzudenken.
Wie ist es um das kirchlich ehrenamtliche Engagement im Dekanat bestellt?
Es bröckelt, aber wo nicht. Die Qualität ist aber aus meiner Sicht beachtlich. Es brennt bei fast allen ein Feuer. Dafür bin ich sehr dankbar.
Spüren Sie auch hier einen Vertrauensverlust und eine Abnahme der ehrenamtlichen Mitarbeit?
Das kann ich für uns nicht sagen. Mir ist im östlichen Bodenseekreis aber auch kein Missbrauchsfall bekannt. Ich nehme auf jeden Fall eine bleierne Schwere war, die sich über alles legt. Der Missbrauch drückt aufs Gemüt, aber dass jemand die ehrenamtliche Arbeit verweigert hätte, kam nicht vor. Die Kirche vor Ort wird also nicht für Verfehlungen in Haftung genommen wird, die anderswo passiert ist. Das ist auch ein ermutigendes Zeichen… Wir haben eine Zeit lang aber gemerkt, dass weniger Leute in die Kirchen kamen. Und auch die gestiegene Zahl von Kirchenaustritten haben wir gespürt.
Ist in der Diözese vieles schon verwirklicht, was der Synodale Weg sich auf die Agenda schreibt?
Ich sehe es tatsächlich so! Anderswo ist die Hierarchie sehr deutlich ausgeprägt. Der Pfarrer bestimmt mehr oder weniger das Gemeindeleben, und es gibt Leute, die dabei eben mithelfen. Wir dagegen haben das sogenannte Rottenburger Modell. Es sieht die volle Mitbestimmung der demokratisch gewählten Kirchengemeinderäte auf Ortsebene vor – in Finanzfragen und auch pastoralen Fragen. Der Pfarrer sitzt mit nur einer Stimme im Kirchengemeinderat. Er kann die Mitbestimmung nicht aushebeln. Eine Art Rottenburger Modell deutschlandweit zu etablieren, würde schon sehr viel bringen. In unserer Diözese wird auch das Kirchenrecht weit gedeutet: Es predigen theologisch ausgebildete Laien, Männer und Frauen, in den Gottesdiensten und den Eucharistiefeiern. Das gibt es in Deutschland nicht flächendeckend.
Es müssten also keine neuen Gremien gegründet werden, um mehr Mitbestimmung zu erreichen?
Ich glaube nicht. Aber ich könnte mir vorstellen, das Format des synodalen Prozesses über sein in zwei Jahren erwartetes Ergebnis hinaus weiter bestehen zu lassen. Dass die Bischöfe ihre Grundsatzfragen also einmal im Jahr gemeinsam mit Vertretern des Kirchenvolks besprechen. Ich würde mir zudem wünschen, dass die Kirchenmitglieder diese Gesprächspartner der Bischöfe auch tatsächlich wählen, wie eine Art Kirchenparlament.
Schlägt die katholische Kirche mit dem Synodalen Weg einen evangelischen Kurs ein?
Ja und nein. Synoden gibt es seit der ersten Stunde der Kirche. Aber in der katholischen Kirche waren diese Zusammenkünfte immer auf Amtsträger beschränkt. Was jetzt neu ist, ist eine echte Mitbestimmung von getauften Vertreterinnen und Vertretern. Und dass sich die Bischöfe an die gemeinsamen Beschlüsse binden wollen, obwohl sie nicht dazu verpflichtet sind. Eine breite Mehrheit von drei Vierteln der Bischöfe ist bereit, sich auf diesen Prozess einzulassen. Zusammengefasst: Die Errungenschaften der evangelischen Kirche aus fünf Jahrhunderten sind durchaus inspirierend. (lacht)