Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Die Revolution fiel aus
Austritt aus der Großen Koalition abgelehnt – Fünf Stellvertreter statt Flügelkampf
BERLIN (sal) JusoChef Kevin Kühnert hat eine beachtliche Wandlung hinter sich. Aus dem Anführer der NoGroKoBewegung ist ein Politiker geworden, der auf die Nachteile eines zu schnellen Ausstiegs aus der Koalition hinweist. Viele sind verwundert, doch schnell kristallisiert sich auf dem Parteitag heraus: Dies ist die neue Marschrichtung der SPD.
Kevin Kühnert reißt mit seiner Bewerbungsrede die Delegierten von den Stühlen. Er habe sich nicht geändert, sondern es gelte nur, in anderen Positionen auch andere Sachen zu bedenken. Humorvoll und energisch muntert Kühnert die Delegierten so auf, dass sie ihm stehend applaudieren. „Jetzt sind wir wach“, sagt Serpil Midyati, die schleswigholsteinische Landesvorsitze, die in die Stellvertreterriege aufrückt.
Eigentlich wollte die SPD ihre Führungsspitze auf drei Vize verkleinern. Als gesetzt galten Klara Geywitz, die mit Olaf Scholz zusammen bei der Kandidatenkür gescheitert war, Anke Rehlinger, die saarländische SPDChefin und JusoChef Kevin Kühnert. Doch nachdem sich ein Duell zwischen Arbeitsminister Hubertus Heil und JusoChef Kühnert um Platz drei abzeichnete, hat der Parteitag beschlossen, künftig fünf Stellvertreter haben, um Flügelkämpfe zu vermeiden. Das schafft Platz für Heil, Kühnert und auch für Midyati.
Heil und Kühnert laufen auch ohne Konkurrenz zur Hochform auf. Man müsse in der GroKo „rausholen, was rauszuholen ist. Und gleichzeitig längerfristige Perspekiven für eine Regierungspartei schaffen – und dann die Schwarzen platt machen,“ empfiehlt Heil. Kühnert hat eine rote Socke mitgebracht. Wann immer die nächste Wahl anstehe, müsste man fortschrittliche Mehrheiten nutzen.
Die vorhergehende Debatte über den Leitantrag und die Halbzeitbilanz fiel moderat aus. Selbst der Parteilinke Ralf Stegner lobte, der Leitantrag vermittele das, was auch der Parteitag wolle: „Aufbruch und Zusammenhalt, aber keine Flucht aus der Regierungsverantwortung, dann gibt es nämlich keine Grundrente und nichts“, so Stegner. Kühnert gibt die Verantwortung in der GroKoFrage elegant an die neuen Vorsitzenden weiter. Ob jetzt Gespräche kämen oder Nachverhandlungen – „Ich vertraue WalterBorjans und Saksia Esken, dass sie den Auftrag der Basis verstanden haben.“
Zwar gibt es noch ein Grummeln in der Partei wie jenes von Karl Lauterbach. Der meinte, man habe sich mit scharfen Worten gegen die Große Koalition in die Ämter wählen lassen und könne sich nachher an nichts mehr erinnern. Und überall stehen auch Delegierte, die sich über Kevin Kühnerts Schwenk wundern.
Doch Franziska Drohsel und Hilde Mattheis bleiben mit ihrem Antrag, die GroKo zu verlassen, doch recht alleine. Hilde Mattheis erinnert daran, dass vor zwei Jahren viele Angst gehabt hätten, die GroKo mache die SPD klein. „Es wird uns nicht helfen, wir müssen raus“, so Mattheis. „Wir werden als Anhängsel wahrgenommen“. Sie stelle sich zwar ausdrücklich hinter die von Borjans und Esken vorgegebene Richtung. Aber, so Mattheis: „Wenn wir uns ehrlich machen, das ist nicht zu erreichen in der Großen Koalition“.