Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Im Wettbüro der Börse
Mit Hebelprodukten lässt sich viel gewinnen – oder alles verlieren
STUTTGART Es sind in der Regel gut informierte Privatanleger, die ihre Anlageentscheidungen ohne Hinzuziehen eines Bankberaters eigenständig treffen. So stellt sich der Deutsche Derivateverband (DDV) die Anlegergruppe vor, die sich sogenannten Hebelprodukten wie etwa Optionsscheinen widmet, deren Markt so manchem Beobachter als Wettbüro der Börse gilt. Nachdem in den vergangenen beiden Wochen an dieser Stelle die eher konservativen Anlagezertifikate beschrieben wurden, sind heute Optionsscheine und KnockoutZertifikate an der Reihe, die ebenfalls zu den verbrieften Derivaten zählen und sich damit auf einen Basiswert (Aktie, Index, Rohstoffe) beziehen.
Grundsätzlich gilt: „Höhere Chancen bedeuten ein höheres Risiko“, sagt Holger Schleicher, Leiter des Handels mit verbrieften Derivaten an der Börse Stuttgart. Erst recht bei Hebelprodukten, die Kursbewegungen des Basiswerts zusätzlich verstärken und somit wie Katalysatoren wirken. Mit einem geringen Kapitaleinsatz gegenüber einem Direktinvestment sind damit überproportionale Gewinne möglich. „Durch die Hebelwirkung nehmen Anleger überproportional an der Entwicklung eines Basiswerts teil“, erläutert Schleicher. Geht die Rechnung nicht auf, droht im schlimmsten Fall der Totalverlust des eingesetzten Kapitals.
Der Hebel dient dabei als Kraftverstärker in beide Richtungen. Er gibt an, um wie viel Mal mehr sich der Wert des Derivats erhöht oder verringert, wenn der zugrundeliegende Basiswert steigt oder fällt. Klettert der Kurs einer Aktie beispielsweise um ein Prozent, kann man als Anleger bei einem Produkt mit einem FünferHebel fünfmal so viel gewinnen. Der Hebel kommt dadurch zustande, dass die Anleger im Vergleich zum
Basiswert weniger Kapital einsetzen. Als die beiden beliebtesten Arten von Hebelprodukten gelten Optionsscheine und KnockOutProdukte. Mit Ersteren erwirbt der Anleger das Recht, einen bestimmten Basiswert zu einem festgelegten Basispreis und Zeitpunkt zu kaufen. Dafür zahlt er dem Verkäufer eine Prämie, wobei die physische Lieferung des Basiswerts vom Emittenten meist ausgeschlossen ist. Stattdessen gibt es einen Barausgleich. Im Kern besteht der Optionsschein aus einem Zeitwert und einem inneren Wert. Den Zeitwert beeinflussen Faktoren wie Volatilität, Restlaufzeit, Finanzierungskosten, Dividenden und Zinsniveau. Ein innerer Wert entsteht, wenn der aktuelle Kurs des Basiswerts bei einem Call über dem Basispreis liegt. Man sagt dann, der Optionsschein notiert im Geld. Dies gilt für sogenannte CallOptionsscheine, mit denen man auf steigende Kurse des Basiswerts setzt. PutOptionsscheine gewinnen dagegen an Wert, wenn der Kurs des zugrundeliegenden Basiswerts fällt.
Risikobereite und kurzfristig orientierte Anleger können mit KnockoutProdukten Kursbewegungen eines Index oder einer Aktie zusätzlich verstärken. Zentral für jedes KnockoutZertifikat, die oft einfach nur Knockouts genannt werden, ist der sogenannte Basispreis, der den inneren Wert des Produkts bestimmt. Notiert zum Beispiel die unterlegte Aktie bei zehn Euro und ist der Basispreis auf neun Euro festgelegt, so hat ein KnockoutCall einen inneren Wert von einem Euro. Der Basispreis entspricht bei klassisch ausgestalteten Produkten zudem der KnockoutBarriere: Wird die Kursmarke von neun Euro berührt, ist der komplette Kapitaleinsatz futsch. Knockouts vollziehen stets die Bewegung des Basiswerts eins zu eins nach. Legt der Kurs des Basiswerts um einen Euro auf elf Euro zu, steigt auch der Kurs des Knockouts um einen auf zwei Euro. Das verdeutlicht die Hebelwirkung: Während der Basiswert um zehn Prozent zulegt, beträgt der Zuwachs beim KnockoutProdukt 100 Prozent – der Hebel liegt somit bei zehn.
Die Auswahl an Hebelprodukten ist riesig und entsprechend unübersichtlich, kann aber durch FinderFunktionen auf den Internetseiten von Onlinebrokern oder Börsenbetreibern wie der Börse Stuttgart, wo mehr als 630 000 Optionsscheine zu finden sind, erleichtert werden. Anleger müssen vor einem Investment in Hebelprodukte ihre Termingeschäftsfähigkeit nachweisen, indem sie der Bank bestätigen, dass sie über genügend Erfahrung verfügen und sich über die damit verbundenen Risiken im Klaren sind. Denn schließlich schließt man mit solchen Wertpapieren Wetten über eine voraussichtliche Kursentwicklung in der Zukunft ab. Und deren Ausgang ist höchst ungewiss.