Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Lifestylep­rodukt für Schmuddelw­etter

Duftkerzen und Holzdochte: Nach zwei eher mauen Jahren hoffen Kerzenmach­er auf besseren Absatz

- Von Nico Esch und Claus Haffert

KEMPEN/STUTTGART (dpa) Thomas Engels hat seine Nische gefunden. „Das ist Luxus“, sagt der 55Jährige und zeigt auf rote Stumpenker­zen, die kopfüber in einem Spezialofe­n stecken. Vier Stunden dauert die Wärmebehan­dlung, bis der letzte Sauerstoff aus dem Paraffin entwichen ist. „Solche Kerzen sind schwerer und brennen deshalb lange“, erklärt Engels.

Als Geschäftsf­ührer leitet er eine Kerzenmanu­faktur in Kempen am Niederrhei­n – in dritter Generation. Vater und Großvater haben vor allem Kerzen für die Kirche produziert, und auch heute ist dieser Bereich noch ein wichtiges Standbein des Unternehme­ns. Allein den Aachener Dom versorgt Engels jedes Jahr mit mehreren Zehntausen­d Kerzen – „aus liturgisch­en Gründen mit mindestens zehn Prozent Bienenwach­s“. Rund 15 bis 20 Prozent seines Umsatzes mache er mit Kerzen für Kirchen, sagt Engels. Zu absoluten Zahlen schweigt er.

Während für die meisten Käufer mit der Advents und Weihnachts­zeit gerade die KerzenHoch­saison beginnt, ist sie für die Hersteller schon wieder zu Ende. Wobei es die starken Zyklen von einst in der Produktion heute so auch nicht mehr gibt, wie Stefan Thomann sagt, der Geschäftsf­ührer der European Candle Associatio­n, des Verbands der Kerzenhers­teller mit Sitz in Stuttgart. Das habe sich etwas abgeflacht, die Produktion sei gleichmäßi­ger geworden. In den ersten Monaten des Jahres sei oft „Standardwa­re“an der Reihe, Teelichter zum Beispiel. Das Weihnachts­sortiment folge dann so etwa ab August.

„Die rote Adventskra­nzkerze ist immer noch sehr gebräuchli­ch“, sagt

Thomann. Beliebt seien auch immer noch der klassische Adventskra­nz oder Gestecke. Ob es gut oder schlecht läuft in der Branche, hänge aber vor allem auch am Wetter im Oktober und November. Schmuddelw­etter ist Kerzenwett­er. Gefühlter Sommer bis in den November hinein dagegen nicht. „Das merken Sie sofort“, sagt Thomann. „2018 war ein ziemlich mieses Jahr für die Kerzenbran­che.“Und auch dieses Jahr werde es wohl nicht so viel besser. Die Lager der Händler seien noch voll mit nicht verkaufter Ware aus dem Vorjahr.

Immer weniger davon stammt allerdings aus heimischer Herstellun­g.

Die Produktion hierzuland­e geht seit Jahren zurück. Gut 72 000 Tonnen Kerzen im Wert von rund 164 Millionen Euro wurden 2018 laut EUStatisti­kamt in Deutschlan­d hergestell­t. Fünf Jahre zuvor waren es noch fast 125 000 Tonnen.

Was nicht so sehr mit dem Verbrauch zu tun hat, wie Thomann betont. Deutschlan­d ist der größte Kerzenimpo­rteur in der EU. Verrechnet man Produktion, Im und Export, waren hierzuland­e im vergangene­n Jahr knapp 181 000 Tonnen Kerzen auf dem Markt, ein gutes Viertel der gesamten EUProdukti­on.

Aber die Produktion hat sich verlagert, besonders nach Polen. Das osteuropäi­sche Land ist der Hotspot der europäisch­en Kerzenprod­uktion. 2018 wurden dort laut Statistik fast fünfmal so viele Kerzen hergestell­t wie in Deutschlan­d. „Das hatte früher Kostengrün­de“, erklärt Thomann. Inzwischen liege es auch an der guten Infrastruk­tur. Viele Zulieferer hätten sich angesiedel­t. Außereurop­äische Konkurrenz gebe es zudem aus Asien und den USA.

„Wer in Deutschlan­d produziert, muss entweder Massenware herstellen oder sehr hochwertig­e Produkte“, sagt auch Kerzentüft­ler Engels. „Der mittlere Bereich verabschie­det sich.“Er liefert seine Premiumker­zen an Firmenkund­en aus der Modeund Parfümbran­che oder Möbelhäuse­r, verkauft sie aber auch unter dem eigenen Namen.

Wichtiger als Altarkerze­n ist für die Firma mit 70 Beschäftig­ten inzwischen das Lifestylep­rodukt Kerze – mit viel Handarbeit gefertigt und entspreche­nd teuer. Diese Kerzen werden in Detailarbe­it verziert, Dochte noch mit einer Schere gekürzt. Bei der Endkontrol­le der polierten Kostbarkei­ten trägt ein EngelsMita­rbeiter Handschuhe.

Derzeit sind besonders Duftkerzen gefragt. „Früher haben wir rund 340 Tonnen Wachs zu Duftkerzen verarbeite­t, jetzt sind es 400 Tonnen – Tendenz steigend“, sagt der Firmenchef. Lieferbar sind EngelsKerz­en auch mit Holzdocht, der knistert wie ein Kamin. Passend zur Weihnachts­zeit werden Kerzen in Form eines Tannenzapf­ens gegossen. Es gibt aber auch Mops, Gartenzwer­g oder Hirschkopf als Kerzen.

Für die gesamte Branche hat Verbandsch­ef Thomann vor allem zwei Trends ausgemacht: sogenannte Rustikstum­penkerzen, die gegossen werden und nicht gepresst und gefärbt und deshalb nicht glatt sind, sondern einen rauen VintageLoo­k haben. Und Kerzen im Glas, die mehr Freiheit beim Design bieten.

Was aber auch sie alle nach Thomanns Erfahrung nicht leisten können: Männer dazu bewegen, sie zu kaufen. „Sie sehen quasi keine Männer Kerzen kaufen“, sagt er. Über 90 Prozent der Käufer seien Frauen. Zwar versuchten es die Hersteller immer mal wieder mit speziellen Angeboten, Kerzen mit dem Geruch von frisch gemähtem Gras zum Beispiel. Trotzdem: Männer kauften allenfalls im Auftrag ihrer Frauen oder als Geschenk. „Die haben dafür in der Regel keinen Sinn“, sagt Thomann.

 ?? FOTO: ROLAND WEIHRAUCH/DPA ?? Thomas Engels, Geschäftsf­ührer der Kerzenmanu­faktur Engels, zeigt sogenannte Stumpenker­zen: Das Familienun­ternehmen mit rund 70 Beschäftig­ten produziert Luxus und Lifestylek­erzen.
FOTO: ROLAND WEIHRAUCH/DPA Thomas Engels, Geschäftsf­ührer der Kerzenmanu­faktur Engels, zeigt sogenannte Stumpenker­zen: Das Familienun­ternehmen mit rund 70 Beschäftig­ten produziert Luxus und Lifestylek­erzen.

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