Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Elternzeit im Kabarett: wie ein ExKind immer Sohn bleibt
Sebastian Lehmann trifft mit „Elternzeit“den Nagel auf den Kopf und ins Zwerchfell seines Publikums
FRIEDRICHSHAFEN Sebastian Lehmann hat am Freitagabend das Kulturhaus Caserne gerockt. Der Berufsjugendliche mit einem Master in Neuerer deutscher Literatur, der außerdem Philosophie und Geschichte studiert hat, war mit seinem ComedyProgramm „Elternzeit“im Fallenbrunnen zu Gast.
Der Autor der gleichnamigen Radiokolumne stammt aus Freiburg und lebt seit seinem Studium in Berlin, ist also dank seiner süddeutschen Herkunft quasi ein echter Berliner. Die Verbindung in den Süden ist ihm geblieben, sie gleicht einer telefonischen Nabelschnur zu den Eltern, die den Sohn aus der Ferne mit Fürsorge und gut gemeinten Ratschlägen – Untertitel „Mit deinem Bruder hatten wir ja Glück“versorgen.
Der mütterliche Anruf
Mit den Worten „Meine Mutter ruft aus meiner Heimatstadt Freiburg an“, beginnen die kleinen Dialoge, mit denen sich Lehmann zum Bestsellerautor emporgeschrieben hat und die sich um so wichtige Themen wie Kochen, Krankheit und angeblich kaputte Handys drehen. Treffend und pointiert geben sie wieder, was im Publikum sowohl von Eltern, als auch von Kinderseite – definiert durch „wenn man noch von den Transferleistungen seiner Eltern abhängig ist“– sehr gut bekannt zu sein scheint. Nicht immer oder sogar selten kommt so ein mütterlicher Anruf zeitlich passend. Da mag es ratsam sein, zu behaupten, Sohnemann koche gerade, und zwar ein sehr gesundes „ZucchiniSeitanSüßkartoffelGratin mit geriebenem Parmesan, dazu Artischocken und Fenchelpesto an Ingwersud.“Die Mutter zeigt sich beeindruckt, der Vater, der im Hintergrund wie bei jedem ElternSohnTelefonat aktiv mithört, meint fachkundig: „Ich würde da ja noch Schinken reinschneiden“, ein Statement, das sich als Running Gag durch den Abend zieht. Was die Eltern nicht wissen und der Sohn erst nach dem Telefonat am Rauch bemerkt, der aus der Küche in die Wohnung zieht: wieder einmal ist ihm die Tiefkühlpizza angebrannt.
Die wirklich sehr witzigen und unter Imitation der elterlichen Stimmen nacherzählten Telefonate finden großen Anklang beim CasernePublikum. Nicht minder schräg sind die Beschreibungen der Jugendsubkulturen, denen der jugendliche Sebastian in den 1990er Jahren angehört haben will. Skater, die sich wegen ausladender Baggies im Geländer verfangen und auf den Asphalt knallen, Grufties, die die Schminkfarben verwechseln und mit weißen Haaren und schwarzem Gesicht aussehen, „wie ein sehr alter Mann, der zu oft ins Solarium geht“, GangstaRapper, die mangels eines Ghettoblasters mit Omas Küchenradio und ReinhardMeySongs auf dicke Hose machen: sie alle werden mit einem liebevoll ironischen Blick und gutem Humor vorgestellt.
„Jetzt kommt Lyrik“, sagt Lehmann und kündigt damit seine ganz speziellen Übersetzungen von Hits der 80er und 90erJahre an. Die macht er nämlich nicht selber, sondern er füttert den GoogleÜbersetzer mit den englischsprachigen Originaltexten und intoniert die deutschsprachigen Ergebnisse in
Form von theatralischen Persiflagen. Die Idee ist schlicht, das Resultat ein Knaller.
Katie Perrys „Roar“zählt er zum Genre der Naturlyrik und „Ich habe das Auge des Tigers, du wirst mich röhren lassen oh oh oh“deutet an, was den Spaß an der Sache ausmacht. Geradezu expressionistisch muten deutsche Texte an, die vom GoogleTranslator ins Lateinische und dann wieder ins Deutsche übersetzt wurden, wie das avantgardistische GuteNachtGedicht „Atemlos“von Helene Fischer. Auch sonst geizt der Philosoph nicht mit Lebensweisheiten. Eine lautet: „Das Leben ist wie ein Tweet von Donald Trump: kurz, absurd und voller Fehler.“Das Friedrichshafener Publikum hatte einen tollen Abend, von Friedhofshafen keine Spur.