Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Land hält an härteren Tests für Polizeianwärter fest
Die Bundespolizei vereinfacht ihre Einstellungstests – Für Baden-Württemberg ist das kein Vorbild
Von Christian Schellenberger
RAVENSBURG - Änderungen beim Sporttest, mehr Fehler beim Diktat erlaubt: Die Bundespolizei passt die Anforderungen für Bewerber an. Ein Modell für die baden-württembergische Landespolizei ist das jedoch nicht.
Rund zehn Prozent der Stellen seien bei der Polizei im Südwesten unbesetzt, sagt Hans-Jürgen Kirstein aus Tettnang, Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei. Diese beklagt seit Jahren die Personalsituation in den Präsidien und Revieren im Land.
Könnte eine Vereinfachung der Einstellungstests, so wie es die Bundespolizei vorhat, das Problem lösen? Kirstein widerspricht vehement: „Das kann nicht der richtige Weg sein, zumal Bewerber den Anforderungen innerhalb der Ausbildung gewachsen sein müssen.“
Auch die Landesregierung will an den bestehenden Regeln nicht rütteln, heißt es aus dem baden-württembergischen Innenministerium. Die Herausforderungen im Polizeiberuf seien hoch, daher wolle man keine qualitativen Abstriche bei Neueinstellungen machen, sagt Ministeriumssprecher Carsten Dehner.
Das Ministerium baut darauf, durch eine Einstellungsoffensive nicht nur frei werdende Stellen möglichst schnell wieder zu besetzen, sondern rund 1500 neue Stellen zu schaffen. Dafür wirbt die Polizei vor allem in den sozialen Netzwerken um Nachwuchs.
Für Gewerkschafter Kirstein ist das nicht ausreichend. „Das Auswahlverfahren muss aus unserer Sicht grundsätzlich überarbeitet werden“, sagt der Polizeibeamte. Für nicht mehr zeitgemäß hält er das strikte Festhalten an der Bestenauslese. „Das führt dazu, dass geeignete Bewerber lange warten müssen und zum Teil wieder abspringen“, kritisiert er. Das Problem: Bewerber, die laut Einstellungstest für den Polizeidienst geeignet wären, erhalten meist nicht sofort eine Zusage, da sie von Kandidaten, die mehr Punkte erreichen, noch verdrängt werden können. Kirstein plädiert für ein System, in dem geeignete Bewerber sofort eine Zusage erhalten. Zudem müsse man sich fragen, ob im Polizeidienst „jeder alles können“müsse. Gerade hinsichtlich der Fitness unterschieden sich die Anforderungen etwa an einen Bereitschaftspolizisten stark von denen, die ein Cyber-Kriminalist erfüllen muss. Wenn man den Eignungstest flexibler gestalte, bekämen zudem auch Menschen mit Handicap eine Chance. Ministeriumssprecher Dehner sagt hingegen, es gebe derzeit keine Pläne, „von der
Ausbildung zum ,Einheitspolizisten‘ abzurücken“.
Eine Öffnung des Polizeidienstes bringt nicht unbedingt viele neue Interessenten. Seit 1993 können etwa auch Bewerber ohne deutsche Staatsbürgerschaft aufgenommen werden. Laut Innenministerium sind seitdem kaum mehr als 300 Polizisten ohne deutschen Pass eingestellt worden. Zum Vergleich: Allein im Jahr 2019 wurden landesweit 1787 neue Polizeianwärter aufgenommen.
Zudem birgt der Druck auf die Polizei neues Personal einzustellen, die Gefahr, dass die Behörden von Extremisten unterwandert werden könnten. In der Vergangenheit gab es immer wieder Vorfälle, die Zweifel an der Verfassungstreue einzelner Beamter aufkommen ließen. In dem Verein Uniter, dem Kontakte in die rechtsextreme Szene sowie der Aufbau einer Schattenarmee vorgeworfen werden, waren laut Innenministerium auch zwei Polizisten aus Baden-Württemberg involviert.
Aus Sicht des Innenministeriums seien derartige Fälle allerdings kein Grund, das Einstellungsverfahren grundsätzlich zu überdenken. „Die Anwärter verpflichten sich mit ihrem Amtseid für die Verfassungstreue“, sagt Ministeriumssprecher Dehner. „Wer dagegen verstößt, muss mit dienstrechtlichen Konsequenzen rechnen.“