Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
David Siegels Lebenssäulen
Beim besten Sprung seines Lebens verletzte er sich schwer – Der innere Frieden blieb
Von Klaus-Eckhard Jost
TITISEE-NEUSTADT - Auch wenn David Siegel nicht vor Ort beim Skisprung-Weltcup am Wochenende in Zakopane sein wird, aus der Distanz ist er dabei. Von der Couch in Titisee-Neustadt wird der 23-Jährige seine Kollegen bei den beiden Wettkämpfen verfolgen. Und mit Wehmut ein Jahr zurückdenken. Damals gehörte der talentierte Skispringer im Teamwettbewerb erstmals dem deutschen Quartett im Weltcup an. Doch bei der Landung seines zweiten Sprungs auf 142,5 Meter stürzte der Junioren-Weltmeister schwer. Diagnose: Kreuzbandriss. Werner Schuster machte darauf der Jury heftige Vorwürfe. „Es gibt ausgewiesenes Personal, das für die Sicherheit der Sportler zuständig ist“, hatte sich der damalige Bundestrainer echauffiert, „man hat zu viel Risiko genommen, bei einem Rückenwind-Wettkampf und Schanzenrekord von Markus Eisenbichler den Anlauf nicht zu verkürzen.“
Trotz der schwerwiegenden Verletzung hat sich Siegel nie Gedanken gemacht, wer Schuld am Malheur trägt. „Die Antwort macht nichts rückgängig“, sagt der junge Mann aus Baiersbronn ein Jahr danach. Angeschaut hat er sich seinen Sprung jedoch schon mehrmals. Nicht weil er sich quälen wollte, sondern für die Zukunft lernen. „Das war der bis dahin beste Sprung meiner Karriere“, erzählt er, „ich wollte sehen, was ich gemacht habe, um später diese Parameter wieder abrufen zu können.“Seine Analyse: Der Schwerpunkt sei beim Absprung ein wenig weiter vorne gewesen, und im Flug habe er den Kopf weiter zwischen die Schultern gezogen. Dadurch sei er schneller geflogen – und weiter gesprungen. „Als die erste Linie kam und ich weit drübergeflogen bin, das war schon ein Schock“, erzählt Siegel. Wegen der hohen Kräfte, die bei der Landung auf seinen Körper gewirkt haben, stürzte er. Dabei riss das Kreuzband.
Wann er das nächste Mal wieder von einer Schanze springen wird, das ist noch offen. Doch mehr und mehr weicht das Rehaprogramm zugunsten eines sportartspezifischen Trainings. Die körperliche Fitness sei zwar schon wieder gut, aber noch nicht auf dem Niveau, auf dem sie sein soll, meint er.
Das lädierte Kreuzband wurde operativ wieder gerichtet, doch wie verkraftet ein junger Sportler mental so einen Rückschlag? Zmal, wenn man mehr als ein Jahr pausieren muss? Um dies zu erklären, blickt der Schwarzwälder drei Jahre zurück. Als deutscher Meister 2016 ging er voller Selbstbewusstsein in die
Saison. Doch
Probleme am Sprunggelenk bremsten ihn. Entzündung lautete die erste Diagnose. Es folgten zwei Wochen Pause. Doch es wurde und wurde nicht besser. Er verpasste die Vierschanzentournee, auf die er sich so gefreut hatte. Bei einer weiteren Untersuchung wurde statt einer Entzündung ein Knochensplitter im Ge
„Ich will, dass du Ski springst. Ich möchte, dass du dadurch meine Welt weitergibst.“
lenk entdeckt. „Von 100 auf null – da ist mir etwas weggebrochen“, sagt der Springer heute.
Geholfen hat David Siegel, der in einem christlichen Elternhaus aufgewachsen ist, der Kontakt zu einem Pastor. Der erklärte ihm sehr bildhaft, dass jede Persönlichkeit eines Menschen auf fünf Säulen ruhe: Gesundheit, Beruf, Werte, materielle Sicherheit, soziales Netz. Er sollte für sich darstellen, wie ausgeprägt diese Säulen in seinem Leben seien. „Sport und Beruf haben das halbe Blatt gefüllt, Gesundheit kam auch noch vor, aber die anderen Säulen waren ziemlich verkümmert“, berichtet Siegel. Ein soziales Netz lässt sich eben schwer aufrechterhalten, wenn man 200 Tage im Jahr im Trainingslager oder auf Wett
Diese Antwort glaubt David Siegel von Gott erhalten zu haben.
kämpfen ist. Dann erzählt er weiter: „Wenn dann von heute auf morgen zwei Säulen wegbrechen, dann kann sich jeder vorstellen, wie es in mir ausgesehen hat.“Ziemlich leer.
Aus der Erkenntnis, dass er zu sehr auf die Karte Sport gesetzt habe, zog er seine Konsequenzen. Zum einen holte er seine Fachhochschulreife nach. Dann engagiert er sich nach seinem Umzug in eine eigene Wohnung in Titisee-Neustadt dort in der Freien evangelischen Gemeinde. In vielen Gesprächen wollte er herausfinden, ob es Gott gibt. Und wenn ja, was er mit ihm vorhat. „Ich habe mir die Frage gestellt, ob Skispringen, wenn ich mich in drei Jahren zweimal schwer verletze, mein Weg ist?“Letztlich habe er, so Siegel, eine Antwort darauf bekommen. „Ich will, dass du Ski springst. Ich möchte, dass du dadurch meine Welt weitergibst“, lautet diese. Diese Erkenntnis habe ihm seinen inneren Frieden gegeben.
Damit konnte er auch die schwere Zeit gut überstehen.