Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Fans und Kollegen trauern um Bryant
Kobe Bryant war weit mehr als ein exzellenter Basketballspieler – wieso die Trauer um ihn ein gespaltenes Land zu einen scheint
LOS ANGELES/FRANKFURT (dpa) Die Sportwelt trauert um BasketballLegende Kobe Bryant: Mit Entsetzen haben Kollegen und Fans auf den Unfalltod des 41-Jährigen reagiert. Der einstige NBA-Superstar war am Sonntag bei einem Hubschrauberabsturz in Kalifornien zusammen mit seiner Tochter ums Leben gekommen. Alfons Hörmann, Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), würdigte Bryant beim DOSB-Neujahrsempfang als „Jahrhundertsportler“.
Basketballprofi zu werden war nicht der allergrößte Lebenstraum des ganz jungen Kobe Bryant. Wie fast jeder sportbegeisterte Jugendliche, der in den späten 1980ern und frühen 1990er-Jahren in Italien aufwuchs, schlug auch das Herz von Kobe Bryant für den Fußball.
Auch Jahre später, als Kobe Bryant längst der beste Basketballspieler seiner Generation und auf dem Weg war, zu einer jener globalen Sportikonen zu werden, die keinen Vor- und Zunamen mehr brauchen – Kobe, wie Pelé, Ali, Air Jordan, Magic, Schumi – schwärmte er: „Die Leidenschaft ist im Fußball sehr viel intensiver. Er ist für viele wie eine Religion“, so der leidenschaftliche Fan des AC Milan.
Sieben Jahre seines viel zu kurzen, am Sonntag im dichten Nebel in den Bergen nördlich von Los Angeles bei einem Hubschrauberabsturz tragisch zu Ende gegangenen Lebens verbrachte Kobe im italienischen Reggio Emilia. Dort ließ sein Vater Joe „Jellybean“Bryant seine Basketballkarriere ausklingen. Ein hochgewachsener schwarzer, fußballspielender Junge im Italien der 1980er- und 1990er-Jahre war mindestens eine Attraktion; in Italien habe er gelernt, als Außenseiter klarzukommen, sagte er in der selbstproduzierten und zu Recht vielgelobten Dokumentation „Kobe Doin’ Work“im Jahr 2009.
Als Außenseiter klarzukommen, bedeutete für Kobe Bryant, der schließlich doch im Basketball landete, vor allem: so viel, so lange, so verbissen zu arbeiten, bis er besser war als alle anderen. Obwohl er das sportliche Talent und die Noten gehabt hätte, um auf guten Colleges zu studieren, meldete er sich direkt nach der High School zu den NBA-Drafts an – und wurde so zu einem der jüngsten NBA-Profis der Geschichte. Er hatte es mal wieder allen gezeigt.
Kobe Bryant hat den Basketball nicht neu erfunden.
Ihm fehlte die Magie von Earvin Magic Johnson, das scheinbar Mühelose von Michael Air Jordan. Kobe Bryant war, bei allem Talent und allen Rekorden in 20 Jahren bei den Los Angeles Lakers, vor allem ein Basketballarbeiter. „Ich bin nicht hier, um geliebt zu werden. Ich bin hier, um Titel zu gewinnen“, sagte er, als er, gerade 17-jährig in die Stadt zog, die nun mal wieder viel zu früh einen ihrer geliebten Engel verloren hat, wie es in Los Angeles seit dem Unfall heißt.
Der Trainer brauchte ein Sabbatical von ihm
Auf dem Parkett konnte „Black Mamba“, wie er sich selbst nannte, geradezu ein Ekel sein: Shaquile O’Neill, noch so ein Säulenheiliger des Basketballs und kongenialer Teamkollege während der drei NBA-Meistersaisons
der Lakers von 1999 bis 2002, vergraulte Bryant mit Spitzen über dessen angeblich mangelnde Trainingseinstellung. Der Center-Riese mit den sanften Gesichtszügen wechselte entnervt nach Miami – und wurde prompt wieder Meister. Trainerlegende Phil Jackson bezeichnete Bryant nach fünf gemeinsamen Jahren als „untrainierbar“, nahm sich ein einjähriges Mamba-Sabbatical, kehrte zurück und führte die Lakers 2009 und 2010 nochmal zu zwei NBATiteln. „Einen mehr als Shaq“, sagte Kobe nach seinem fünften Titel lächelnd – da hatten sich die beiden Basketballgiganten privat aber längst versöhnt.
Am härtesten war Kobe Bryant aber zu sich selbst: Auch eine gerissene Achillessehne konnte ihn 2013 nicht aufhalten, noch zwei Freiwürfe zu versenken – einbeinig. Seine Motivation zog Kobe Bryant auch aus seinem Zorn. „Ich war richtig angefressen“, sagte die Mamba, nachdem ihr im Januar 2006 in ihrem legendärsten Spiel sagenhafte 81 Punkte gegen die Toronto Raptors gelangen. Ähnlich legendär die Partie gegen Dallas Mavericks und Dirk Nowitzki ein paar Wochen zuvor, als Kobe in drei Vierteln 62 Punkte machte – einen mehr als alle Mavericks zusammen – und sich dann auswechselte. „Nach unserer knappen Niederlage gegen Houston vor zwei Tagen hatte ich Wut im Bauch“, so seine lapidare Begründung.
Seine Spezialität waren neben urplötzlichen, langen Dribblings zum Korb und Würfen im Rückwärtsfallen vor allem Punktversuche in letzter Sekunde, gerne auch aus unmöglichen Positionen: Wohl keinem anderen Spieler gelangen so viele entscheidende Punkte in den den letzten Spielmomenten. „Ich werde mich immer daran erinnern, wie ich nach Spielen nach Hause gekommen bin, um zu sehen, wie du das vierte Viertel dominierst. Du hast so viele rund um die Welt inspiriert, mich eingeschlossen“, schrieb Nowitzki in seinem Kondolenztweet. Gleichzeitig gab es aber auch kaum einen Spieler, der seine Kollegen so zu Statisten degradierte wie der Alleinikov des Basketballs. „Kobe doesn’t pass“, „Kobe passt nicht“, wurde zum geflügelten Satz.
Sein Zorn, sein Arbeitsethos und Ehergeiz führten Kobe Bryant zu fünf NBA-Meisterschaften, zwei Olympiasiegen und drei Auszeichnungen als wertvollsten Spieler der Saison. „Keiner ist Jordan so nahe gekommen wie er“, sagte Magic Johnson mal. Jordan selbst schrieb nun: „Ich habe Kobe geliebt – er war wie ein kleiner Bruder für mich.“
Seine Brüche, sein Außenseitertum, sein Arbeitsethos und sein fast heiliger Zorn machten ihn zu einer amerikanischen Ikone weit über den Sport hinaus. Auf ihn konnten sich alle Amerikaner einigen. Kobe Bryant hatte auch abseits des Sports etwas zu sagen, er, liberal, weltoffen, sprachgewandt, mischte sich wie selbstverständlich in gesamtgesellschaftliche Debatten ein, kritisierte mehrfach Präsident Donald Trump. Nach seiner aktiven Karriere wandte er sich dem Storytelling und dem Dokumentarfilm zu. Der Animationsfilm „Dear Basketball“, für den er das Drehbuch schrieb und in dem er seine Karriere Revue passieren ließ, gewann 2018 den Oscar. Der frühere US-Präsident Barack Obama brachte es in seinem Kondolenztweet auf den Punkt: „Kobe war eine Legende auf dem Spielfeld und begann gerade mit etwas, was ein ebenso bedeutungsvoller zweiter Akt werden sollte.“
Aber Kobe Bryant war alles andere als ein Heiliger, von einem Vergewaltigungsvorwurf 2003 kaufte er sich frei. Er gehe davon aus, dass der Sex einvernehmlich geschehen sei, sagte er damals nach einer außergerichtlichen Einigung, räumte aber ein, dass er nun verstünde, dass die Frau dies auch anders sehen könne. Der Fall blieb bis zum Schluss ein dunkler Fleck im Leben des Familienvaters, dessen Instagramm-Accounts voll von Fotos seiner vier Töchter ist. Mehr als 18 Jahre waren er und seine Ehefrau Vanessa, nunmehr Witwe und Mutter nur noch von drei Töchtern, verheiratet.
Mit der Tochter in den Tod
Kobe Bryant war Arbeitstier und Nerd, ein besessener Egomane, aber wurde auch genau deswegen geliebt. Dass nicht nur das sportinteressierte Amerika nach dem Tod dieser Ikone den Atem anhält, mag sicher verstärkt werden durch die besondere Tragik des Unglücks: Kobe Bryant war im Hubschrauber – dem Vernehmen nach das Hauptbewegungsmittel des ewig Rastlosen – unterwegs zu einem Basketballspiel seiner 13-jährigen Tochter Gianna. Deren Lebenstraum war schon immer, Basketballprofi zu werden; ein Videoschnipsel, in dem Vater und Tochter Bryant bei einem Spiel kurz vor Weihnachten die Taktik der Lakers zerpflücken, ging viral. Nun starb sie zusammen mit ihrem Vater, ihrer Freundin, deren Eltern und vier weiteren Menschen, darunter dem Piloten, im Nebel.
Doch dass die Trauer um einen Basketballspieler dieses zutiefst gespaltene Land für einen Moment zu einen scheint – sogar Donald Trump unterbrach seine Twittertiraden für einen respektvollen Tweet – liegt auch daran, dass in Kobe Bryant ein echter Amerikaner gestorben ist.
„Ich habe Kobe geliebt – er war wie ein kleiner Bruder für mich.“
Michael Jordan
„Er begann gerade mit etwas, was ein ebenso bedeutungsvoller zweiter Akt werden sollte.“
Barack Obama