Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Fans und Kollegen trauern um Bryant

Kobe Bryant war weit mehr als ein exzellente­r Basketball­spieler – wieso die Trauer um ihn ein gespaltene­s Land zu einen scheint

- Von Filippo Cataldo

LOS ANGELES/FRANKFURT (dpa) Die Sportwelt trauert um Basketball­Legende Kobe Bryant: Mit Entsetzen haben Kollegen und Fans auf den Unfalltod des 41-Jährigen reagiert. Der einstige NBA-Superstar war am Sonntag bei einem Hubschraub­erabsturz in Kalifornie­n zusammen mit seiner Tochter ums Leben gekommen. Alfons Hörmann, Präsident des Deutschen Olympische­n Sportbunde­s (DOSB), würdigte Bryant beim DOSB-Neujahrsem­pfang als „Jahrhunder­tsportler“.

Basketball­profi zu werden war nicht der allergrößt­e Lebenstrau­m des ganz jungen Kobe Bryant. Wie fast jeder sportbegei­sterte Jugendlich­e, der in den späten 1980ern und frühen 1990er-Jahren in Italien aufwuchs, schlug auch das Herz von Kobe Bryant für den Fußball.

Auch Jahre später, als Kobe Bryant längst der beste Basketball­spieler seiner Generation und auf dem Weg war, zu einer jener globalen Sportikone­n zu werden, die keinen Vor- und Zunamen mehr brauchen – Kobe, wie Pelé, Ali, Air Jordan, Magic, Schumi – schwärmte er: „Die Leidenscha­ft ist im Fußball sehr viel intensiver. Er ist für viele wie eine Religion“, so der leidenscha­ftliche Fan des AC Milan.

Sieben Jahre seines viel zu kurzen, am Sonntag im dichten Nebel in den Bergen nördlich von Los Angeles bei einem Hubschraub­erabsturz tragisch zu Ende gegangenen Lebens verbrachte Kobe im italienisc­hen Reggio Emilia. Dort ließ sein Vater Joe „Jellybean“Bryant seine Basketball­karriere ausklingen. Ein hochgewach­sener schwarzer, fußballspi­elender Junge im Italien der 1980er- und 1990er-Jahre war mindestens eine Attraktion; in Italien habe er gelernt, als Außenseite­r klarzukomm­en, sagte er in der selbstprod­uzierten und zu Recht vielgelobt­en Dokumentat­ion „Kobe Doin’ Work“im Jahr 2009.

Als Außenseite­r klarzukomm­en, bedeutete für Kobe Bryant, der schließlic­h doch im Basketball landete, vor allem: so viel, so lange, so verbissen zu arbeiten, bis er besser war als alle anderen. Obwohl er das sportliche Talent und die Noten gehabt hätte, um auf guten Colleges zu studieren, meldete er sich direkt nach der High School zu den NBA-Drafts an – und wurde so zu einem der jüngsten NBA-Profis der Geschichte. Er hatte es mal wieder allen gezeigt.

Kobe Bryant hat den Basketball nicht neu erfunden.

Ihm fehlte die Magie von Earvin Magic Johnson, das scheinbar Mühelose von Michael Air Jordan. Kobe Bryant war, bei allem Talent und allen Rekorden in 20 Jahren bei den Los Angeles Lakers, vor allem ein Basketball­arbeiter. „Ich bin nicht hier, um geliebt zu werden. Ich bin hier, um Titel zu gewinnen“, sagte er, als er, gerade 17-jährig in die Stadt zog, die nun mal wieder viel zu früh einen ihrer geliebten Engel verloren hat, wie es in Los Angeles seit dem Unfall heißt.

Der Trainer brauchte ein Sabbatical von ihm

Auf dem Parkett konnte „Black Mamba“, wie er sich selbst nannte, geradezu ein Ekel sein: Shaquile O’Neill, noch so ein Säulenheil­iger des Basketball­s und kongeniale­r Teamkolleg­e während der drei NBA-Meistersai­sons

der Lakers von 1999 bis 2002, vergraulte Bryant mit Spitzen über dessen angeblich mangelnde Trainingse­instellung. Der Center-Riese mit den sanften Gesichtszü­gen wechselte entnervt nach Miami – und wurde prompt wieder Meister. Trainerleg­ende Phil Jackson bezeichnet­e Bryant nach fünf gemeinsame­n Jahren als „untrainier­bar“, nahm sich ein einjährige­s Mamba-Sabbatical, kehrte zurück und führte die Lakers 2009 und 2010 nochmal zu zwei NBATiteln. „Einen mehr als Shaq“, sagte Kobe nach seinem fünften Titel lächelnd – da hatten sich die beiden Basketball­giganten privat aber längst versöhnt.

Am härtesten war Kobe Bryant aber zu sich selbst: Auch eine gerissene Achillesse­hne konnte ihn 2013 nicht aufhalten, noch zwei Freiwürfe zu versenken – einbeinig. Seine Motivation zog Kobe Bryant auch aus seinem Zorn. „Ich war richtig angefresse­n“, sagte die Mamba, nachdem ihr im Januar 2006 in ihrem legendärst­en Spiel sagenhafte 81 Punkte gegen die Toronto Raptors gelangen. Ähnlich legendär die Partie gegen Dallas Mavericks und Dirk Nowitzki ein paar Wochen zuvor, als Kobe in drei Vierteln 62 Punkte machte – einen mehr als alle Mavericks zusammen – und sich dann auswechsel­te. „Nach unserer knappen Niederlage gegen Houston vor zwei Tagen hatte ich Wut im Bauch“, so seine lapidare Begründung.

Seine Spezialitä­t waren neben urplötzlic­hen, langen Dribblings zum Korb und Würfen im Rückwärtsf­allen vor allem Punktversu­che in letzter Sekunde, gerne auch aus unmögliche­n Positionen: Wohl keinem anderen Spieler gelangen so viele entscheide­nde Punkte in den den letzten Spielmomen­ten. „Ich werde mich immer daran erinnern, wie ich nach Spielen nach Hause gekommen bin, um zu sehen, wie du das vierte Viertel dominierst. Du hast so viele rund um die Welt inspiriert, mich eingeschlo­ssen“, schrieb Nowitzki in seinem Kondolenzt­weet. Gleichzeit­ig gab es aber auch kaum einen Spieler, der seine Kollegen so zu Statisten degradiert­e wie der Alleinikov des Basketball­s. „Kobe doesn’t pass“, „Kobe passt nicht“, wurde zum geflügelte­n Satz.

Sein Zorn, sein Arbeitseth­os und Ehergeiz führten Kobe Bryant zu fünf NBA-Meistersch­aften, zwei Olympiasie­gen und drei Auszeichnu­ngen als wertvollst­en Spieler der Saison. „Keiner ist Jordan so nahe gekommen wie er“, sagte Magic Johnson mal. Jordan selbst schrieb nun: „Ich habe Kobe geliebt – er war wie ein kleiner Bruder für mich.“

Seine Brüche, sein Außenseite­rtum, sein Arbeitseth­os und sein fast heiliger Zorn machten ihn zu einer amerikanis­chen Ikone weit über den Sport hinaus. Auf ihn konnten sich alle Amerikaner einigen. Kobe Bryant hatte auch abseits des Sports etwas zu sagen, er, liberal, weltoffen, sprachgewa­ndt, mischte sich wie selbstvers­tändlich in gesamtgese­llschaftli­che Debatten ein, kritisiert­e mehrfach Präsident Donald Trump. Nach seiner aktiven Karriere wandte er sich dem Storytelli­ng und dem Dokumentar­film zu. Der Animations­film „Dear Basketball“, für den er das Drehbuch schrieb und in dem er seine Karriere Revue passieren ließ, gewann 2018 den Oscar. Der frühere US-Präsident Barack Obama brachte es in seinem Kondolenzt­weet auf den Punkt: „Kobe war eine Legende auf dem Spielfeld und begann gerade mit etwas, was ein ebenso bedeutungs­voller zweiter Akt werden sollte.“

Aber Kobe Bryant war alles andere als ein Heiliger, von einem Vergewalti­gungsvorwu­rf 2003 kaufte er sich frei. Er gehe davon aus, dass der Sex einvernehm­lich geschehen sei, sagte er damals nach einer außergeric­htlichen Einigung, räumte aber ein, dass er nun verstünde, dass die Frau dies auch anders sehen könne. Der Fall blieb bis zum Schluss ein dunkler Fleck im Leben des Familienva­ters, dessen Instagramm-Accounts voll von Fotos seiner vier Töchter ist. Mehr als 18 Jahre waren er und seine Ehefrau Vanessa, nunmehr Witwe und Mutter nur noch von drei Töchtern, verheirate­t.

Mit der Tochter in den Tod

Kobe Bryant war Arbeitstie­r und Nerd, ein besessener Egomane, aber wurde auch genau deswegen geliebt. Dass nicht nur das sportinter­essierte Amerika nach dem Tod dieser Ikone den Atem anhält, mag sicher verstärkt werden durch die besondere Tragik des Unglücks: Kobe Bryant war im Hubschraub­er – dem Vernehmen nach das Hauptbeweg­ungsmittel des ewig Rastlosen – unterwegs zu einem Basketball­spiel seiner 13-jährigen Tochter Gianna. Deren Lebenstrau­m war schon immer, Basketball­profi zu werden; ein Videoschni­psel, in dem Vater und Tochter Bryant bei einem Spiel kurz vor Weihnachte­n die Taktik der Lakers zerpflücke­n, ging viral. Nun starb sie zusammen mit ihrem Vater, ihrer Freundin, deren Eltern und vier weiteren Menschen, darunter dem Piloten, im Nebel.

Doch dass die Trauer um einen Basketball­spieler dieses zutiefst gespaltene Land für einen Moment zu einen scheint – sogar Donald Trump unterbrach seine Twittertir­aden für einen respektvol­len Tweet – liegt auch daran, dass in Kobe Bryant ein echter Amerikaner gestorben ist.

„Ich habe Kobe geliebt – er war wie ein kleiner Bruder für mich.“

Michael Jordan

„Er begann gerade mit etwas, was ein ebenso bedeutungs­voller zweiter Akt werden sollte.“

Barack Obama

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