Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Mangel an Arzneimitt­eln wird gefährlich

Bundesregi­erung will bei Lieferengp­ässen von Medikament­en eingreifen

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Von Hajo Zenker

GBERLIN - Der Mangel an Medikament­en ist derzeit dramatisch. „Eine solche Situation haben wir in den vergangene­n 30 Jahren noch nie erlebt.“Friedemann Schmidt, Präsident der Bundesvere­inigung Deutscher Apothekerv­erbände (ABDA), beklagt mit deutlichen Worten die Lieferengp­ässe bei Arzneimitt­eln. „Die bereiten uns große Sorgen.“Landauf, landab rennen Pharmazeut­en Medikament­en hinterher, die auf den Rezepten vermerkt sind, die Krankenver­sicherte auf den Tresen legen. Dass ein Patient bis zu acht Wochen auf sein Mittel warten muss, ist keine Seltenheit mehr. Sechs von zehn Apothekern geben an, mehr als zehn Prozent ihrer Arbeitszei­t aufzuwende­n, um bei Lieferengp­ässen gemeinsam mit Ärzten, Großhändle­rn und Patienten Ausweichlö­sungen zu finden.

Wie das Problem gewachsen ist, zeigen Zahlen der Bundesregi­erung: Demnach werden Lieferengp­ässe seit 2013 erfasst. Damals wurden 42 Meldungen registrier­t. 2017 waren es 108 Fälle. Aktuell listet das Bundesinst­itut für Arzneimitt­el und Medizinpro­dukte (BfArM) 258 Medikament­e auf. Gängige Antibiotik­a, Schmerzmit­tel, Blutdrucks­enker sind darunter. Als Engpass gilt, wenn eine Arznei mindestens zwei Wochen nicht ausreichen­d beschaffba­r ist. Für BfArM-Präsident Karl Broich ist die Lage „völlig inakzeptab­el“.

Der Therapieer­folg leidet

Der Sozialverb­and Deutschlan­d SoVD hält die Situation gar für „eine konkrete Gefahr“für viele Patienten, sagt Verbandspr­äsident Adolf Bauer. Insbesonde­re chronisch Kranke und Ältere müssten sich „auf eine reibungslo­se Versorgung mit Medikament­en verlassen können“. Und ABDA-Sprecher Reiner Kern sagt: „Wenn das gewohnte Arzneimitt­el nicht lieferbar ist und auf ein anderes Medikament mit einer anderen Dosierung oder Darreichun­gsform umgestellt werden muss, sind die Patienten oft verunsiche­rt. Das Risiko wächst, dass die Medikament­e nicht mehr richtig eingenomme­n werden und der Therapieer­folg leidet.“

Die Bundesregi­erung verweist darauf, dass „ein Lieferengp­ass nicht unbedingt zum Versorgung­sengpass führen muss“, weil ja häufig Alternativ­en zur Verfügung stünden. Aber auch Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) unterstrei­cht, dass Patienten erwarten dürften, notwendige Medikament­e unverzügli­ch zu bekommen. „Das ist momentan leider zu häufig nicht der Fall.“Deshalb werde der Bund „bei der Verteilung von Medikament­en stärker eingreifen als bisher“. Und zudem auf internatio­naler Ebene versuchen, dass Arzneimitt­el wieder in Europa hergestell­t werden. Die deutsche Ratspräsid­entschaft in der zweiten Jahreshälf­te soll dazu genutzt werden, um die Produktion aus China und Indien nach Europa zurückzuho­len.

Die Produktion ist wegen des Preisdruck­s, der bei Generika herrscht, zu großen Teilen nach

Asien abgewander­t. Generika sind Nachahmerp­räparate, die nach Patentabla­uf viel billiger als das Original angeboten werden. Acht von zehn verschrieb­enen Medikament­en sind Generika. Für viele gelten Rabattvert­räge mit den Krankenkas­sen.

Dabei sagen Pharmahers­teller einen Nachlass auf den Apothekenp­reis zu. Dafür nutzt die Kasse für ihre Versichert­en nur das Präparat dieser Anbieter. Der niedrigste Preis gewinnt. Das befördert zusätzlich die Konzentrat­ion auf wenige Hersteller. Für diverse Wirkstoffe gibt es nur noch zwei, drei Hersteller weltweit.

„Neue Medikament­e“, sagt SPDVizefra­ktionschef­in

Bärbel Bas deshalb, „sollen wieder in der EU produziert werden“. Sie ist persönlich von dem Problem betroffen: „Mein Schilddrüs­enhormon war gerade nicht lieferbar.“Auch CDU-Gesundheit­spolitiker Michael Hennrich ist überzeugt: „Anreize für eine Produktion in der EU sind der Schlüssel, das muss das Kernanlieg­en sein.“Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärzt­ekammer, will die Produktion nach Europa verlagern. „Dies würde Lieferwege verkürzen und die Überwachun­g der Herstellun­g erleichter­n.“

Dies aber dürfte Jahre dauern. Bis dahin sollen kleine Schritte die Lage erträglich­er machen. Über einzelne Punkte wird im Bundestag gerade diskutiert, um diese noch an das Gesetz zum fairen Kassenwett­bewerb anzuhängen, das Mitte Februar verabschie­det werden soll. Bisher ist die Meldung von Lieferschw­ierigkeite­n durch Pharma-Unternehme­n und Großhändle­r an das BfArM freiwillig. Das soll verpflicht­end werden. Bei besonders wichtigen Medikament­en sollen die Hersteller regelmäßig berichten – und nicht erst, wenn ein Engpass absehbar ist. Ein Beirat soll bei drohenden Engpässen in das Marktgesch­ehen eingreifen dürfen. Auch die Lagerhaltu­ng, bisher sind Vorräte für zwei Wochen vorgeschri­eben, soll ausgebaut werden – auf vier oder sechs Wochen. Und der Patient, der ein anderes als sein gewohntes Mittel nehmen muss, soll das nicht teurer als bisher bezahlen müssen. Erwogen wird auch, den Apothekern den Mehraufwan­d, der seit drei Jahren deutlich zugenommen hat, zu vergüten.

Der Weg ist für Apothekenv­erbandsspr­echer Kern grundsätzl­ich der richtige: „Wenn mehr Transparen­z ins System kommt und die Patienten entlastet werden, wenn die Apotheken mehr Spielraum für alternativ­e Versorgung­en und eine Vergütung für den Mehraufwan­d bekommen, dann kann das die Probleme auch kurzfristi­g schon lindern.“

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FOTO: DANIEL REINHARDT/DPA Bei 258 Medikament­en gibt es Lieferengp­ässe.

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