Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Viele Sportverletzungen lassen sich vermeiden
Das spezielle Trainingsprogramm Stop-X kann laut Ärzten das Risiko deutlich senken
Von Sina Horsthemke
GBERLIN - Eine Sportverletzung ist nicht einfach nur Pech. Sie passiert, weil die Kräfte auf ein Band oder eine Muskelfaser so stark sind oder aus einer so unglücklichen Richtung wirken, dass das Gewebe reißt.
Biomechaniker wissen beispielsweise mittlerweile ganz genau, wann das Knie Schaden nimmt. In akribischer Kleinarbeit haben Wissenschaftler zahlreiche Videos aus Ballsportarten analysiert und festgestellt: Das Gelenk ist in Gefahr, wenn Ober- und Unterschenkel in leichter X- Bein-Position gegeneinander verdreht sind und sich dann der Körperschwerpunkt hinter dem Knie befindet – etwa bei einer Landung, bei Drehbewegungen oder Richtungswechseln. Einen „valgischen Kollaps“nennen Ärzte den Mechanismus, bei dem die vordere Oberschenkelmuskulatur so viel Kraft ausübt, dass das Kreuzband nachgibt und reißt.
Statistisch betrachtet betrifft jede fünfte Verletzung im Fußball das Knie. Im Profi- wie im Hobbysport müssten viele Schäden aber gar nicht erst passieren. Professor Dr. Wolf Petersen, Chefarzt der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie am Martin Luther Krankenhaus in Berlin-Grunewald, ist sich sicher: „Jede zweite Kreuzbandverletzung ließe sich vermeiden.“Petersen, der Präsident der Deutschen Kniegesellschaft, hat sich das Wissen der Biomechaniker zunutze gemacht und gemeinsam mit anderen Ärzten und Trainern ein Programm zum Schutz vor Knieverletzungen entwickelt. Es heißt Stop-X (www.stop-x.de), dauert rund 20 Minuten und besteht aus Lauf-, Balance-, Sprung- und Kraftübungen. Wer es regelmäßig durchführt, da sind sich die Wissenschaftler sicher, verringert sein Risiko für eine Knieverletzung um 27 Prozent und speziell das für einen Kreuzbandriss um die Hälfte.
Orthopäde Petersen rät gerade Ballsportlern und all jenen, die schon einmal eine Knieverletzung hatten, Stop-X ins Aufwärmprogramm zu integrieren: „Die Wahrscheinlichkeit, dass das andere Bein Schaden nimmt, wenn man sich schon mal am Knie verletzt hat, ist um 20 Prozent höher als bei Sportlern, die noch nie verletzt waren.“Anfangs sei es hilfreich, die korrekte Ausführung von einem Trainer oder Physiotherapeuten prüfen zu lassen.
Drei von vier Athleten haben sich schon einmal beim Sport verletzt. Viele davon am Sprunggelenk, das an jeder zweiten Sportverletzung beteiligt ist. Häufig leidet es beim Umknicken, bei dem es seitlich überdehnt wird – etwa nach einer harten Landung beim Volleyball. „Bei Sportarten mit Gegnerkontakt lassen sich Sprunggelenksverletzungen nur schwer vermeiden“, sagt Raymond Best, Mannschaftsarzt des VfB Stuttgart. Das Umknicken selbst dauert bis zum Erreichen der „kritischen Bandlast“, wie Biomechaniker die Belastbarkeit des Bindegewebes nennen, nur 0,1 Sekunden. „Selbst bei sehr fitten Athleten sind die körpereigenen Schutzmechanismen dafür zu langsam.“Ein spezielles Übungsprogramm, das Umknickverletzungen vorbeugt, gibt es leider nicht. Jedoch hilft Balancetraining, bestehend
„Wenn ein 50 Jahre alter Porsche lange in der Garage stand, fahren Sie mit dem auch nicht gleich auf die Autobahn.“
etwa aus einbeinigen Übungen, nachweislich, das Gelenk zu stabilisieren.
Viel einfacher als Unfälle können Sportler Überlastungsverletzungen verhindern. Muskelverhärtungen, -zerrungen, -faserrisse und schmerzende Sehnen sind nämlich oft die Folge eines zu harten Trainings, weiß Teamarzt Best, der zudem Chefarzt an der Sportklinik Stuttgart ist. Vor allem Hobbyathleten, die nach einer Sportpause wieder zu trainieren beginnen, überschätzen sich oft. „Wenn ein 50 Jahre alter Porsche lange in der Garage stand, fahren Sie mit dem auch nicht gleich auf die Autobahn“, sagt Best. „Sie schauen zuerst nach dem Öl, prüfen
Raymond Best, Mannschaftsarzt beim VfB Stuttgart den Reifendruck und rollen dann vorsichtig erstmal zum Bäcker.“Für Hobbysportler bedeutet das, vor dem Neustart einen Sportorthopäden oder Sportmediziner aufzusuchen. Der begutachtet Muskulatur, Statik, Gelenke, Herz, Kreislauf und Lunge und testet quasi den gesamten Körper auf Sporttauglichkeit. Neben der ärztlichen Freigabe sollten gerade ältere Sportler Wert auf Pausen legen. „Der Körper trainiert nicht beim Sport, sondern in der Pause“, erklärt Sportexperte Best. „Er wappnet sich dann für die nächste Belastung.“
Während ein verletztes Sprunggelenk meist von allein heilt, ist ein Schaden an der Schulter schwerwiegender. Denn das beweglichste Gelenk des Körpers ist empfindlich. Vor allem beim Snowboarden, Ski- und Radfahren ist es einem hohen Risiko ausgesetzt: Streckt der Sportler bei einem Sturz reflexartig den Arm aus, kugelt die Schulter schnell aus. Fällt er bei angelegtem Arm auf die Seite, „kommt es oft zum Bruch von
Schlüsselbein, Oberarmkopf oder einer Schultereckgelenkssprengung.“Das erklärt Helmut Lill, der sich als Unfallchirurg in Hannover auf die Behandlung verletzter Schultergelenke spezialisiert hat. „Sportler sollten nach einem Sturz auf die Schulter einen Arzt aufsuchen, um größere Verletzungen abzuklären.“Sind Knochenteile verschoben, Sehnen abgerissen oder renkt die Schulter immer wieder aus, ist eine Operation ratsam. „Nach ein paar Monaten Schonzeit ist das Gelenk dann wieder voll belastbar“, verspricht Lill.
Vor Verletzungen gefeit sind aktive Menschen nicht: Je mehr sich jemand bewegt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass dabei auch mal etwas schiefgeht. Eine starke Muskulatur, realistische Ziele, ein zu den eigenen Fähigkeiten passender Trainingsplan und regelmäßige Pausen schützen jedoch wirksam vor Überlastungen – und sicher vor dem einen oder anderen Unfall. Frisch erholt, macht Sport dann doppelt Spaß.