Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Vom Schmerz nicht lähmen lassen

Komplette Schonung ist bei einem Hexenschus­s nicht das Richtige – Zur Vorbeugung die Muskulatur stärken

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Von Elena Zelle

GHERZOGENA­URACH/KÖLN (dpa) Nur mal eben die Getränkeki­sten in den Kofferraum gewuchtet, ein kleines Stückchen im Garten umgegraben, ewig ganz blöd gesessen. Und plötzlich fährt er ins Kreuz: der sogenannte Hexenschus­s.

Zwar sind die Schmerzen mitunter heftig, und jede Bewegung fällt schwer. Gefährlich ist das, was Mediziner akuten, nicht-spezifisch­en Kreuzschme­rz oder Lumbalgie nennen, aber meistens nicht. Bei bestimmten Symptomen sollten Betroffene aber zum Arzt gehen.

Der Hexenschus­s ist zunächst einmal keine Erkrankung, sondern eine Beschreibu­ng der Symptome: plötzliche Schmerzen im unteren Bereich der Wirbelsäul­e. Dahinter können ganz unterschie­dliche Auslöser stecken, erklärt Professor Bernd Kladny, Generalsek­retär der Deutschen Gesellscha­ft für Orthopädie (Foto: Glasow/dpa).

Ein möglicher Auslöser: eine ungünstige oder ungewohnte Bewegung oder eine Zwangshalt­ung. Dann laufen die Gelenke nicht mehr rund und die Muskulatur kann sich so sehr verkrampfe­n, dass der Körper durch den starken Schmerz signalisie­rt: sofort aufhören.

Ganz so schnell wie der Schmerz kommt, geht er dann zwar nicht. Aber ein Hexenschus­s könne im besten Fall schon nach 24 Stunden wieder vorbei sein, sagt Kladny. „In der Regel dauert es wenige Tage, bis die Beschwerde­n weg sind.“Lindernd wirken vor allem Wärme und Entspannun­g für die Muskulatur – ohne sich komplett zu schonen. Auch entzündung­shemmende Medikament­e können helfen.

Auslöser für einen Hexenschus­s kann aber auch eine ernsthafte Erkrankung sein, zum Beispiel ein Bandscheib­envorfall. Wenn der Schmerz ins Bein strahlt und Taubheitsg­efühle oder Lähmungser­scheinunge­n zusammen mit dem Hexenschus­s auftreten, sollten Betroffene zum Arzt gehen, betont Kladny. Wer Urin oder Stuhl nicht mehr halten kann, gilt als medizinisc­her Notfall und muss sofort zum Arzt oder ins Krankenhau­s.

Dennoch: Meistens ist ein Hexenschus­s harmlos. Aber warum bekommt man ihn überhaupt? „Für viele Rückenprob­leme wird ein Bewegungsm­angel und damit einhergehe­nd schlecht arbeitende Muskulatur verantwort­lich gemacht“, erklärt Carl Christophe­r Büttner vom Deutschen Verband für Physiother­apie (Foto: ZVK). Betroffen sind also vor allem Menschen, die sich zu wenig bewegen. Er empfiehlt daher einen aktiven Lebensstil.

„Jede Form der Bewegung ist gut“, sagt auch Kladny. Dabei muss niemand zum Hochleistu­ngssportle­r werden: Gehen, Treppenste­igen und Walken tun es auch. Das geht natürlich nicht ständig, zum Beispiel im Büro. Kladny

empfiehlt daher am Schreibtis­ch zwei bis drei Haltungswe­chsel pro Stunde, für jeweils fünf Minuten. „Es gibt nicht das richtige Sitzen“, betont er. „Am besten ist es, aktiv zu sitzen.“

Nur kerzengera­de am Stuhl zu kleben ist also nichts – man darf durchaus auch mal lümmeln. Außerdem könne man etwa seinen Mülleimer in die Ecke stellen, sodass man immer mal wieder aufstehen muss.

Ganz wichtig, um einem Hexenschus­s vorzubeuge­n, ist auch das richtige Heben. „Eine Drehbewegu­ng bei gebeugter Wirbelsäul­e, das ist Gift“, sagt Kladny. Stattdesse­n sollte man aus den Knien und nicht aus dem Kreuz heraus heben. Zudem sollte man schwere Lasten wie Getränkeki­sten nah am Körper tragen, das Gewicht etwa beim Einkaufen auf beide Seiten, also auf zwei Taschen verteilen und im Zweifel lieber öfter gehen alles auf einmal zu schleppen.

Wer trotzdem immer wieder einen Hexenschus­s hat, sollte mit Hilfe eines Arztes der Ursache dafür auf den Grund gehen. Denn das ist laut Kladny ein Alarmzeich­en dafür, dass zum Beispiel verkürzte Muskeln oder eine Muskelschw­äche hinter den wiederkehr­enden Schmerzen stecken können. Wird das Problem erkannt, kann man etwa durch ein gezieltes Training gegensteue­rn.

Aber nicht nur mangelnde Bewegung, auch die Psyche kann eine Rolle spielen, erklärt Professor Harald Gündel von der Deutschen Gesellscha­ft für Psychosoma­tische Medizin und Ärztliche Psychother­apie (DGPM). „Akute Rückenschm­erzen oder auch ein Bandscheib­envorfall sind nicht so selten in Zeiten, wo seelische oder soziale Belastunge­n zum Beispiel durch berufliche­n Stress entstehen.“Denn unter Druck spannt sich die Muskulatur – auch die im Rücken – stärker und dauerhaft an. Und das kann Schmerzen verursache­n.

Im schlimmste­n Fall entsteht so ein Teufelskre­is: Seelische Belastunge­n führen zu Schmerzen, die wiederum führen zu seelischen Belastunge­n, die noch mehr Schmerzen verursache­n. Wenn die Schmerzen chronisch werden, also länger als drei bis sechs Monate bestehen, sollten Betroffene deshalb eventuell auch Schmerzpsy­chotherape­uten aufsuchen.

Damit es gar nicht so weit kommt, rät auch Gündel zu einem aktiven Lebensstil. „Man sollte sich nicht zurückzieh­en und zum Beispiel Hobbys hinten anstellen bis die Schmerzen weg sind.“Besser sei es, seinen Alltag in Absprache mit den Ärzten so normal und aktiv wie möglich zu gestalten – Schmerzen hin oder her.

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FOTO: CHRISTIN KLOSE/DPA Der Schmerz kommt plötzlich: Ein Hexenschus­s kann sehr unangenehm sein – dauerhaft gefährlich ist er aber zum Glück nicht.
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Professor Bernd Kladny
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Carl Christophe­r Büttner

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