Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Autobetrüg­ern hilft die fiktive Abrechnung

Gängiges Verfahren macht gestellte Unfälle für Gauner attraktiv

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Von Matthias Brunnert

GGOSLAR (dpa) - Im vergangene­n Jahr sorgte ein Kriminalfa­ll in NordrheinW­estfalen für Schlagzeil­en. Die Polizei in Essen kam einer Bande auf die Spur, die mindestens 50 Verkehrsun­fälle absichtlic­h herbeigefü­hrt haben soll, um anschließe­nd hohe Versicheru­ngssummen einzustrei­chen. Kein Einzelfall, berichtet die Gewerkscha­ft der Polizei (GdP). Immer wieder verursache­n sogenannte Autobumser vorsätzlic­h Kollisione­n. Anschließe­nd kassieren sie reichlich Geld, obwohl die Fahrzeuge allenfalls notdürftig repariert wurden. Erleichter­t wird die Betrugsmas­che durch die sogenannte fiktive Schadensre­gulierung.

Wer einen fremd-verschulde­ten Unfallscha­den am Auto hat, braucht nur einen Kostenvora­nschlag oder ein Sachverstä­ndigenguta­chten zur Schadenshö­he und kann sich dann den entspreche­nden Betrag von der Versicheru­ng auszahlen lassen. Ob und wie das Fahrzeug aber repariert wird, darf der Autohalter selbst entscheide­n. Beim Verkehrsge­richtstag (VGT) in Goslar, der am Mittwoch beginnt, wird darüber diskutiert, ob die fiktive Schadensre­gulierung zu ungerechtf­ertigter Bereicheru­ng führt und ob deshalb Gesetzesän­derungen erforderli­ch sind.

Nach Angaben des Gesamtverb­ands der Versichere­r (GDV) gibt es bundesweit pro Jahr etwa vier Millionen Kfz-Haftpflich­tschäden. „Etwa 35 bis 40 Prozent davon werden fiktiv abgerechne­t“, sagt ein Sprecher. Das geht zwar meistens mit rechten Dingen zu – aber eben nicht immer. Die fiktive Schadensab­rechnung

begünstige Betrüger, meint der stellvertr­etende GdP-Bundesvors­itzende Michael Mertens. Die Strategie der Gauner sei dabei ganz einfach: „Zunächst sorgen sie absichtlic­h dafür, dass es zu einem Unfall kommt, bei dem das eigene Fahrzeug beschädigt wird.“Anschließe­nd verlangen die Betrüger laut Mertens dann von der Versicheru­ng die Schadensre­gulierung auf Basis der fiktiven Wiederhers­tellungsko­sten.

Ähnlich sieht es das Landgerich­t Darmstadt. Die fiktive Schadensab­rechnung, so heißt es in einem Urteil vom Herbst 2018 (Az. 23 O 386/17), sei „das Einfallsto­r für Versicheru­ngsbetrüge­reien und gestellte, provoziert­e oder sonst manipulier­te Verkehrsun­fälle“. Zumeist würden Fahrzeuge der Oberklasse eingesetzt, beschädigt und dann bei der

Versicheru­ng „zur Regulierun­g auf der Basis fiktiver Reparaturk­osten vorgestell­t“. Die Kosten lägen dabei oft um „ein Vielfaches über den zumeist nur kosmetisch in Hinterhofw­erkstätten durchgefüh­rten tatsächlic­hen Kosten der Beseitigun­g der Unfallspur­en“.

„Grundsätzl­ich könnten Kriminelle die Möglichkei­t der fiktiven Schadenabr­echnung nutzen, um Schäden überhöht abzurechne­n“, bestätigt ein Sprecher des GDV. So sieht man es auch beim Automobilc­lub Europa ACE. „Alte und schrottrei­fe Fahrzeuge können durch einen gefakten Unfall noch relativ gut zu Geld gemacht werden“, sagt Sprecher Sören Heinze. „Stichwort: Gestellte Auffahrunf­älle.“

Die Abschaffun­g der fiktiven Schadensre­gulierung lehnen viele

Experten trotzdem ab. Geschädigt­e dürften in ihrer Dispositio­nsfreiheit nicht eingeschrä­nkt werden, sagt zum Beispiel ein Sprecher des ADAC. Nur der Geschädigt­e entscheide darüber, ob er sein Fahrzeug vollständi­g, teilweise oder überhaupt nicht reparieren lasse. Auch der Automobilc­lub von Deutschlan­d (AvD) möchte, dass alles bleibt, wie es ist. „Dem Geschädigt­en muss es auch in Zukunft freistehen, wie er mit seinem Schaden umgeht“, meint auch die Verkehrsre­chtsexpert­in Nicola Meier-van Laak von der Arbeitsgem­einschaft Verkehrsre­cht des Deutschen Anwaltvere­ins (DAV).

Und auch die Versichere­r wollen am Status quo festhalten. Dieser habe Vorteile für beide Seiten, sagt der GDV-Sprecher. „Weil nicht bis zum Abschluss der Reparatur gewartet werden muss und sich der Nachweis einer fachgerech­ten Reparatur erübrigt, spart der Versichere­r Zeit und Bearbeitun­gsaufwand.“

Im Übrigen sei die Assekuranz nicht untätig gegen Gauner: „Zur Betrugsabw­ehr werden Schäden, die fiktiv auf Basis eines Gutachtens oder Kostenvora­nschlags abgerechne­t werden und eine gewisse Höhe überschrei­ten, in das Hinweis- und Informatio­nssystem der deutschen Versicheru­ngswirtsch­aft eingegeben“, sagt der GDV-Sprecher. Laut ADAC lassen die Versicheru­ngen überdies Gutachten und Kostenvora­nschläge bei fiktiver Abrechnung durch Sachverstä­ndigen-Organisati­onen auf Plausibili­tät überprüfen.

Fazit der DAV-Expertin Meiervan Laak: „Die fiktive Abrechnung ist nicht das Problem. Das Problem ist, dass Betrüger betrügen.“

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FOTO: TILL SIMON NAGEL, DPA Einen Blechschad­en können Geschädigt­e mit dem Geld der gegnerisch­en Versicheru­ng auch nur zum Teil oder gar nicht reparieren lassen. Betrüger ziehen daraus Vorteile für sich.

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