Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Der Kreis lässt Gift gegen Borkenkäfer sprühen
Umweltverbände warnen vor den Gefahren – Insektenvernichtungsmittel tötet alles
Von Ralf Schäfer
GFRIEDRICHSHAFEN - „Die Schäden an Fichte und Tanne werden weiter anhalten. Die letzten Monate waren weiterhin viel zu trocken“, teilt der Landkreis mit. Die Folge, so Sprecher Robert Schwarz: Der Pestizideinsatz bei von Borkenkäfern befallenem Holz wird wie bisher im Sommerhalbjahr unvermeidlich sein. Greenpeace warnt: Die Pestizide sind hochgiftig – für Menschen, wie für andere Insekten, also auch für Bienen.
Aufgrund „der klimabedingten Waldschäden (Borkenkäfer/Dürre)“kann der Landkreis keinerlei Entwarnung geben. Die Grundwasserspeicher seien nicht wieder aufgefüllt. Tieferwurzelnde, vor allem ältere Bäume, haben den Anschluss an das Grundwasser verloren und leiden weiterhin. Sie sind dadurch leichte Beute für die Borkenkäfer, weil sie keine Schutzharze gegen die Käfer bilden können.
Im Bodenseekreis sind auf den Waldflächen, die vom Forstamt betreut werden – rund 15 000 Hektar – im vergangenen Jahr etwa 90 000 Festmeter Borkenkäfer- und Dürrholz (Fichte, Tanne) angefallen. 2018 waren es noch 50 000 Festmeter. Der Kreis schätzt den Schadholzanfall 2020 weiterhin hoch, gefolgt von „Vermarktungsstörungen und anhaltenden Tiefstpreisen für Fichte-/ Tannenschadholz“. Es ist somit nicht verwunderlich, dass das Holz oft einfach liegen bleibt, nachdem es gefällt wurde. Damit aber ist das Problem des Borkenkäfersbefalls nicht gelöst. Die Tiere fliegen aus und befallen andere Bäume. Als Lösung wird überall, auch im Bodenseekreis, Pestizid gespritzt.
Das befallene Holz wird damit „behandelt“, was zur Folge hat, dass alles Leben dort vernichtet wird. Wie viel von diesem Holz mit Insektenvernichtungsmitteln behandelt wurde, sei statistisch nicht erfasst, schreibt der Landkreis auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“. Die Ausbringung der Insektizide erfolgt auch nicht durch den Kreis selbst, sondern durch landwirtschaftliche Lohnunternehmen, „die den erforderlichen Sachkundenachweis haben“, so Sprecher Robert Schwarz. Eingesetzt werde nach Empfehlung der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt in Freiburg „das Mittel 'Karate-Forst flüssig’ mit dem Wirkstoff Lambda-Cyhalothrin, da dieser Wirkstoff nicht bienengefährlich ist“, schreibt der Landkreis.
Bei Nennung des Wirkstoffs schlägt Greenpeace allerdings Alarm. Und nicht nur die Umweltschutzorganisation, sondern auch Global 2000, die österreichische Umweltschutzorganisation mit Sitz in Wien, oder andere Naturschutzverbände. „Lambda-Chyhalothrin“ist laut einer Studie der University of Hertfordshire in Großbritannien giftig beim Verschlucken, es besteht Lebensgefahr beim Einatmen, reizt Haut, Atemwege und Augen. Es gibt Hinweise auf Fortpflanzungsschädigung und Hinweise auf Eigenschaften eines Nervengiftes. Nach dieser Studie ist es hochgiftig für Säugetiere, Fische, andere Wasserorganismen und Bienen. Es ist sehr schwer biologisch abbaubar.
„In keinem anderen Bundesland werden so viele Pestizide im Wald ausgebracht wie in Baden-Württemberg“,
sagt Tanja Kaufmann, Sprecherin der Greenpeace-Regionalgruppen. Verwendet werden in aller Regel die auch im Bodenseekreis angewendeten Substanzen. Hier warnt selbst der Hersteller, die Firma Syngenta, vor Gesundheitsschäden, die beim Einatmen des Produktes verursacht werden.
Tanja Kaufmann widerspricht vehement, wenn die Aussage fällt, das Mittel schädige keine Bienen. „Das Kontaktgift tötet nicht nur Borkenkäfer ab, sondern auch alle seine natürlichen Gegenspieler sowie andere Insekten und Mikroorganismen.“Noch Wochen nach dem Einsatz dürfe man keinerlei Pflanzen oder Pilze aus dem Bereich entnehmen, der behandelt wurde.
Davor warnt sogar der Landesbetrieb ForstBW. Unklar für die meisten Pilzsucher bleibt jedoch, wann und wo das Mittel gesprüht wurde. Der Landkreis, der dieses Mittel ausbringen lässt, tut nichts Illegales. Das Mittel ist in der EU zugelassen, und laut der von Robert Schwarz genannten Forschungsanstalt gehört das Ausbringen des Insektenvernichtungsmittels zu den empfohlenen Maßnahmen. „Der gesetzlich vorgegebene ,integrierte Waldschutz’ umfasst eine Vielzahl von unterschiedlichen biologischen, mechanischen, biotechnischen und chemischen Maßnahmen zur Bekämpfung von Schadinsekten, wobei der Einsatz von chemischen Pflanzenschutzmitteln gegen Schaderreger jeweils das äußerste Mittel bei bestandesbedrohenden Kalamitäten darstellt“, schreibt die Forstliche Versuchsund Forschungsanstalt.
Zu diesem Zweck würden verbesserte Methoden zur Vorhersage der
Entwicklung der Schaderregerpopulationen und des Schadensverlaufs mit dem Ziel einer verbesserten Risikoeinschätzung entwickelt, um daraus ökonomisch und ökologisch sinnvolle Gegenmaßnahmen abzuleiten. Unter dem Strich bleibt jedoch der Umstand, dass giftige Substanzen ausgebracht werden, weil das Holz nicht aus dem Wald geholt werden kann. Besprüht wird eingeschlagenes Holz, das befallen ist. Das sagt selbst der Landkreis: „Die Lagerung des Käferholzes erfolgt im Wald oder an Waldrändern. Mangels rascher Abfuhr ins Sägewerk wegen zu großer Schadholzmengen bleibt dann nur noch die sogenannte Vorausflugspritzung. Und die, kehrt man die Logik dieser Aussage um, wäre vermeidbar, wenn das Holz zeitnah nach dem Schlagen abgeholt werden könnte.