Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Seid umschlungen, Millionen!
Nikolaus Henseler macht die Größe von Beethovens Neunter erfahrbar
GFRIEDRICHSHAFEN – Für Nikolaus Henseler ist Beethovens Sinfonie Nr. 9 d-Moll, die Krönung seiner Sinfonien, eine der genialsten Kompositionen der Musikgeschichte – willensstark, trotzig, dynamisch kontrastreich, dann wieder herrlich melodisch mit zarten und melancholischen Motiven. Eben diese musikalische Fülle, diese gewaltige Aussagekraft hat er am Sonntagabend in seiner Aufführung im GrafZeppelin-Haus erfahren lassen. Wohl kaum ein Zuhörer im vollen Haus hat sich dem ungeheuren Sog entziehen können, der von Anfang an spannungsvoll zum großen Ziel, zum überwältigenden Freudengesang hinführte.
Es war eine Aufführung aus einem Guss. Von Henseler in langer Vorbereitungszeit geistig durchdacht, ist das Werk durch sein inspiriertes Dirigat und die Begeisterung aller Mitwirkenden erfahrbar geworden. Mit nicht nachlassender Energie und Ausstrahlung und starker Körpersprache hat er den großen Klangkörper gelenkt, erst die Südwestdeutsche Philharmonie Konstanz und zuletzt die Musiker im Verein mit dem Vokalensemble Camerata Serena, dem Chor der Staatlichen Hochschule für Musik Trossingen und dem Solistenquartett.
Welch eine Klanggewalt explodiert geradezu im großen Lobpreis mit Schillers Ode an die Freude. Die Pauke leitet den vierten Satz ein, tiefe Streicher folgen, und wie aus einem Urgrund erwächst die Melodie, das berühmte „Freude, schöner Götterfunken“. Retardierende Momente folgen, und wieder ersteht das Thema in den Celli und Bässen, ganz piano erst und wieder anschwellend, heller dann in Bratschen und Fagotten, ehe die Geigen mit einstimmen. Noch schweigen die Sänger, weit breitet Henseler die Arme aus, das Thema erfasst das Blech, da setzt Bariton Manuel Kundinger ein: „O Freunde, nicht diese Töne, sondern lasst uns angenehmere anstimmen und freudenvollere.“Erst im sehr schön harmonierenden, ausgewogenen Sängerquartett mit der Sopranistin Alice Fuder, der Mezzosopranistin I-Chiao Shih und dem Tenor Alexander Efanov und dann mit großer Kraft im Chor bricht die Freude aus.
Noch einmal zieht sich die Wucht der Musik zurück, luftig und freudig spielen die Bläser, ehe der Tenor „freudig wie ein Held zum Siege“voranzieht, den Männerchor mitreißt. Endlich dann das „Seid umschlungen, Millionen“aus vielen Kehlen, gut kann sich der Chor gegen das Tutti des Orchesters behaupten. Henseler hält die Spannung durch, dass das Ganze als echt empfunden herüberkommt, in voller Ekstase mitreißt.
Darüber seien aber die drei vorangehenden Sätze nicht vergessen, die zu dieser Explosion hinführen.
Paukenwirbel setzen starke Akzente im schwingenden Spiel der Streicher mit Holzbläsern und Hörnern im ersten Satz. Sanft liegt ein Lied der Flöte, der Oboe über dem
Ganzen, Henseler lässt ihm Raum, da steigt aus dem Blech eine Bedrohung, erfasst erregt das Tutti. Stärker wird die Bedrohung im zweiten Satz, eine motorische Unruhe erfasst die Musiker, ein Anrennen, Galoppieren gegen das Schicksal.
Ein kurzer Einhalt führt nur zu weiterem Weiterhetzen, ein vielfarbiges Wogen malt die erfolglose Jagd nach Glück.
Erst die Hinwendung zu frommem Gebet vermag die Unruhe zu überwinden, eine wunderbar sanfte und innige Stimmung entsteht im großen Orchesterapparat, ein Horn singt, noch einmal flackern Kontraste auf, ehe die weihevolle Stimmung dominiert. Der Boden ist gelegt für die aufbrechende Freude im gewaltigen Schlusssatz.