Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Alles schaut auf Iowa
Demokratische Präsidentschaftsbewerber suchen in dem US-Bundesstaat den Wählerkontakt
Von Frank Herrmann
GMARSHALLTOWN - Alle vier Jahre wird Iowa zum Nabel des amerikanischen Politikbetriebs. Seit 1972 beginnt hier, in einem Agrarstaat mit inzwischen drei Millionen Einwohnern, der Marathon der Vorwahlen, an dessen Ende ein Präsidentschaftskandidat gekürt wird. 1976 gewann hier ein kaum bekannter Gouverneur namens Jimmy Carter. Hier holte er sich den Schwung, der ihn bis ins Weiße Haus trug. Mit Ausnahme Bill Clintons (1992) hat seither kein Demokrat das Rennen um die Nominierung gewonnen, wenn er nicht entweder in Iowa oder in New Hampshire, auf der zweiten Etappe, als Erster durchs Ziel ging.
Yang in Panora
Der Weg in die Zukunft führt zunächst einmal in den Keller. Im Souterrain eines Lokals namens The Port hat Andrew Yang zum Bürgerforum geladen, in Panora, an einem zugefrorenen Stausee mitten in Iowa. An der Wand hängt ein drei Meter breites Stück Stoff. „A New Way Forward“ist darauf zu lesen, was so beliebig klingt, als hätte eine Werbeagentur den Auftrag bekommen, sich einen Spruch auszudenken, mit dem man bei niemandem, wirklich niemandem, anecken kann.
„Wenn ich Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika bin“, beginnt Yang Sätze, in denen er seinen Politikentwurf skizziert. Als wäre jetzt schon klar, dass der nächste Präsident nur Andrew Yang heißen kann. Der selbstsichere Optimismus gehört zum Standardrepertoire der Kandidaten fürs Weiße Haus, so wie es zum Standardprogramm gehört, im Winter kreuz und quer durch das verschneite Iowa zu fahren. Bei Yang stehen an diesem Tag auf dem Programm: Creston, Panora, Jefferson, Laurens, Storm Lake. Orte, die jenseits von Iowa kaum einer kennt. An diesem Vormittag spricht Yang vor gerade mal 24 Interessierten.
Yang, der Newcomer, weiß trotz seiner gespielten Zuversicht im Grunde genau, dass er chancenlos ist. Er nimmt es mit Selbstironie. In der Substanz schlägt er vor, jedem erwachsenen Amerikaner ein Grundeinkommen zu zahlen, tausend Dollar im Monat, um abzufedern, was technischer Fortschritt an Jobverlusten mit sich bringt. Der frühere Hightech-Unternehmer, dessen Eltern aus Taiwan in die USA kamen, gibt sich, ähnlich wie Michael Bloomberg, als Problemlöser, allein an Praktischem interessiert, nicht an Ideologie. Und an Zahlen. „Ein Mann mit asiatischen Wurzeln, der Mathematik mag, ist das nicht der beste Gegenentwurf zu Donald Trump?“
Sanders in Ames
Michael Moore schiebt sich die Baseballkappe aus der Stirn, um sich, zumindest ansatzweise, die Haare zu raufen. In einem Kinosaal der Universitätsstadt Ames ruft er mit theatralischer Geste in Erinnerung, wie ihm manche Parteifreunde seine Prognose verübelten, damals, im Sommer 2016. Der Filme machende Provokateur prophezeite einen Sieg
Trumps mit der Begründung, dass der Tycoon im Rust Belt die Nase vor Hillary Clinton haben werde. „Wisst ihr es noch? Die eigenen Leute haben mich ausgebuht. Niemand wollte die Wahrheit hören.“Und heute, sagt der füllige Mann im dunklen Anorak, sei dies die Wahrheit: „Trump hat an seiner Basis nicht einen Zoll an Rückhalt verloren, und wer glaubt, jemand, den wir irgendwie halbherzig ins Duell gegen ihn schicken, könnte ihm Paroli bieten, dem sage ich: Wacht endlich auf!“. Um Trump zu besiegen, müsse man schon die eigenen Anhänger begeistern, sie mobilisieren, sagt Moore. Keiner könne das so gut wie Bernie Sanders.
Als der schließlich die Bühne betritt, wird er gefeiert wie ein Rockstar. Der Senator aus Vermont ist 78. Im Oktober erlitt er einen Herzinfarkt, doch statt kürzerzutreten, stürzte er sich danach erst recht ins Gewühl. In Iowa jedenfalls ist von physischer Schwäche nichts zu spüren. Sanders Themen sind dieselben wie vor vier Jahren, als er der Favoritin Clinton im parteiinternen Zweikampf kräftig zusetzte. Wachsende Ungleichheit bei den Einkommen, eine Lawine von Studienschulden, ein Gesundheitssystem, das sowohl das teuerste der Welt als auch chronisch ineffizient ist. Dazu die Erderwärmung. Ein Präsident Sanders, ruft er in die Arena, werde auf alle Nationen zugehen, Russen, Chinesen, Inder eingeschlossen, um etwas gegen den Klimawandel zu tun. „Klar ist doch, wir sitzen alle zusammen in diesem Boot.“
Der Senior des Pulks kann sich auf die jüngste Anhängerschaft stützen – das allein ist schon ein Phänomen. Adam Day, ein Student Anfang zwanzig, erklärt es mit zwei Stichpunkten: Sozialismus und Authentizität. „Ich weiß, für Generationen von Amerikanern war Sozialismus ein Schimpfwort, für meine Generation klingt es cool. Wir denken nicht an die Sowjetunion, wir denken eher an Dänemark.“
Buttigieg in Fort Dodge
Der Jüngste des Feldes, Pete Buttigieg, 38 Jahre alt, kommt eher bei mittleren Jahrgängen an. Das Frontier Opera House in Fort Dodge hat er flächendeckend mit Tüchern in den Nationalfarben Blau, Weiß und Rot schmücken lassen – rein optisch das konservative Kontrastprogramm zu Sanders aufregender Show. Auf TShirts steht: Boot-Edge-Edge. Es soll helfen, Buttigiegs Namen – sein Vater stammt aus Malta – richtig auszusprechen. Für die meisten ist er freilich immer noch Mayor Pete, obwohl das so nicht mehr stimmt. Bis Silvester war der 38-Jährige Bürgermeister von South Bend, einer Industriestadt in Indiana. Jetzt strebt er nach Höherem. Wer eine Stadt verwalten könne, finde sich auch im Weißen Haus zurecht, entgegnet Buttigieg seinen Kontrahenten, die ihm mangelnde Erfahrung vorwerfen. „Außerdem bin ich der einzige Kandidat, der mit einer Waffe in den Krieg zog.“2014 wurde er als Reservist für sechs Monate nach Afghanistan beordert. Mit seiner Vita, betont er, könne er im
Herbst auch im konservativen Lager punkten. Bei „künftigen Ex-Republikanern“, wie er sie nennt.
Biden in Marshalltown
Joe Biden setzt ein strahlendes Zahnpasta-Lächeln auf, nachdem er in Marshalltown, einer Kleinstadt mit großen Schlachthöfen, aus seinem Wahlkampfbus gestiegen ist. „The Battle for the Soul of the Nation“, „Die Schlacht um die Seele der Nation“, steht in Großbuchstaben
auf dem Gefährt. Was sein Programm auch schon mit einer Zeile skizziert. Die Rückkehr zur alten Ordnung, zu Anstand und Würde nach dem gehässigen Grundton der Trump-Jahre – so ließe es sich zusammenfassen. Von flammender Begeisterung, wie ein Poster sie beschwört, ist allerdings nichts zu spüren.
Bidens Helfer haben gerade mal 150 Stühle in die Halle getragen, obwohl mindestens dreimal so viele hineinpassen würden. Doch als der 77Jährige vom wahren Charakter Amerikas spricht, von Irrwegen und überfälligen Korrekturen, hängen die Leute an seinen Lippen. „Ich weigere mich zu glauben, dass wir dieses düstere, zornige Land sind, das Trump mitten in der Nacht in seinen Tweets beschreibt“, sagt Biden. „Im Weißen Haus brauchen wir einen, der sich aufs Heilen von Wunden versteht.“
Die Vorwahlen in Iowa finden am statt.