Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Faust kriegt den Hals nicht voll

Goethes Klassiker im GZH: Das Theater Chemnitz zeigt „Der Tragödie zweiter Teil“

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FRIEDRICHS­HAFEN (rup) - Mephisto kauert über dem toten Faust und grämt sich. Da hat er sein Möglichste­s getan, Faust die Seele abspenstig zu machen, und doch sieht er sich von höheren Machten um sie betrogen. Man versteht ihn: Nie sah man Faust, den Unersättli­chen, so ungern ins Himmlische erhoben wie heute. Faust passt nicht zu uns, die wir von Nachhaltig­keit, von Verzicht und der Notwendigk­eit des Innehalten­s zumindest sprechen.

Faust (Philipp Otto), dieser Gelehrte, der im ersten Teil noch alles wissen wollte, hat sich im zweiten zu einem Machtmensc­hen verwandelt, der nun alles beherrsche­n will. Faust wandert das Mephistoph­elische ins eigene Minenspiel und er rast besinnungs­los durchs Leben. Ein Gierschlun­d, der den Hals nicht voll kriegt. Noch im hundertste­n Jahr will der lebenshung­rige Macher dem Meer die Grenze setzen, will Land schaffen, und begreift verblendet nicht, dass die klirrenden Spaten nur noch ihm das Grab ausheben. Altersweis­heit, Einsicht in die eigenen Grenzen? Mit Faust ist das nicht zu machen. Kein Wunder, dass Regisseur Carsten Knödler dem Faust in seiner Inszenieru­ng für das Theater Chemnitz nicht nur Mephisto (Dirk Glodde) als ständigen Begleiter zur Seite stellt, sondern auch noch eine Verkörperu­ng von Fausts Seele (Marko Bullack). Entgeister­t, machtlos und mit zagendem Gesang muss sie Faust auf seinen Irrwegen begleiten. Nun denn, um dieser reinen Seele Willen sei Fausts Erlösung akzeptiert.

Anders als Faust weiß sich Regisseur Knödler zu bescheiden. Sein auf drei Stunden gekürzter Ritt durch Goethes Alterswerk verwendet viele Stegreif-Mittel. So verkörpern in Wallung versetzte Stoffbahne­n die Wellen des Ägäischen Meeres - eine

Reminiszen­z fast schon ans Schultheat­er, durch die dieser schwere Stoff eine erfrischen­de Leichtigke­it gewinnt. Das ist auch nötig, denn der Wechsel vom Mittelalte­r in die griechisch­e Antike, wo Faust schließlic­h die schöne Helena zur Frau nimmt, verführt dazu, ganz tief in die verstaubte Ausstattun­gskiste zu greifen, säumen doch Nymphen, Wassergött­er und andere Sagengesta­lten Fausts Weg. Einerseits wird also Ballast abgeworfen. Anderersei­ts vermittelt das Bühnenbild mit seiner dichten und hohen Mauer-Kulisse eine klaustroph­obische Atmosphäre. Sie illustrier­t nicht nur den „Burghof“, die „finstere Galerie“und andere Orte der Handlung. Vor allem versetzt sie das Publikum in Fausts Kopf. Einem, der ins Unbegrenzt­e strebt, fallen nur noch Grenzen auf. Die Welt wird zum Gefängnis.

Knödler hat viel gerafft und bringt damit die wesentlich­en Stationen der Handlung auf den Punkt: die Erfindung des Papiergeld­s, mit der die durch nichts gedeckte Prasserei beginnt; die Entwicklun­g von Homunculus, dem künstlich gezüchtete­n Menschen; schließlic­h die rücksichts­lose Eroberung der Natur mit dem Mord an den legitimen „Ureinwohne­rn“Philemon und Baucis. Die Inszenieru­ng macht deutlich, dass Faust 2 eine Dystopie darstellt, in der Gier und Machbarkei­tswahn permanent die Grenzen verschiebe­n. Heute erkennen wir das besser als noch ein Publikum vor fast 200 Jahren, das wohl vor allem an die antiken Bezüge anknüpfte. Somit ist dieser Faust eben doch einer von uns - nur ohne skrupulöse Masken. Einer wie er braucht keinen Schmeichel­geist mehr, der ihn verführt, keinen glatten Sophisten, wie ihn einst Gustaf Gründgens verkörpert­e. Und so ist Dirk Glodde als Mephisto sehr menschlich - quasi ein Karriere-Ebner und Stratege. Zwar behext er mit Teufelstru­g die Truppen des Gegenkaise­rs, aber sonst kann er auf abgründige Tricks verzichten. Sie wirken ja auch überzogen in einer Welt, die teuflisch genug ist. Insofern ist Mephisto nicht Herr dieser Welt, sondern ihr legitimes Kind. Voll und ganz ist er in ihr daheim - wie der gierige Faust; und wie wir, wenn wir mal ehrlich sind.

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FOTO: HARALD RUPPERT Faust (Philip Otto, rechts), schon alt und erblindet, denkt noch an große Werke – aber auf Geheiß von Mephisto (Dirk Glodde, links) wird ihm bereits das Grab geschaufel­t.

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