Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Brüchige Lieferketten
Coronavirus bedroht Autoindustrie – Aktuelle Entwicklungen bei ZF, Mahle und Marquardt
Von Helena Golz und Mischa Ehrhardt
FRANKFURT/RAVENSBURG - Die Corona-Epidemie in China wird die Wirtschaft hierzulande wahrscheinlich bremsen. Zumindest sprechen die Volkswirte der Bundesbank in ihrem Monatsbericht von Konjunkturrisiken für die ohnehin geschwächte deutsche Wirtschaft. Demnach könnte insbesondere die exportorientierte Industrie unter dem Ausbruch der Lungenkrankheit leiden. Denn durch die Sicherheitsvorkehrungen könnten globale Wertschöpfungsketten gefährdet werden. Lieferengpässe in einzelnen Branchen hierzulande wären die Folge.
Für die hiesige Wirtschaft zentral steht dabei natürlich die Autoindustrie im Fokus. Und die ist einer Studie zufolge auch besonders betroffen. „Die Automobilindustrie hat sowohl innerhalb Chinas als auch global relativ komplexe Lieferketten“, sagt Autoexperte Nikolaus Lang von Boston Consulting. „Und die sind durch die Isolierung der Region rund um Wuhan davon betroffen.“Lang und seine Kollegen haben in einer Studie die Auswirkungen der Lungenkrankheit auf die Autoindustrie untersucht.
Dazu passt, dass Volkswagen angekündigt hat, die Produktion in den Gemeinschaftswerken mit Shanghai Automotive nicht wie geplant mit Beginn dieser Woche, sondern erst am kommenden Montag wieder aufzunehmen. Der Grund: Es gebe Probleme in Lieferketten und Logistik. Auch stellten die eingeschränkten
Reisemöglichkeiten der Produktionsmitarbeiter ein Problem dar.
Der chinesische Autoherstellerverband rechnet mit rund einer Million weniger verkaufter Fahrzeuge durch die Lungenkrankheit in diesem Jahr. „Man kann sagen, die Regel lautet: Solche Vorfälle beeinflussen die Industrie dann, wenn sie länger als zwei Wochen dauern“, sagt Autoanalyst Jürgen Pieper vom Bankhaus Metzler. „Was bis zwei Wochen dauert, das kann man in der Regel durch Sonderschichten ganz gut auffangen. Aber danach kostet das dann richtig Geld.“
Die Berater bei Boston Consulting haben errechnet, dass in der vom Virus am meisten betroffenen chinesischen Provinz Hubei jährlich rund zwei Millionen Autos von den Bändern rollen – das sind acht Prozent der gesamten Fahrzeugproduktion in China. Bei leichten Nutzfahrzeugen sei Hubei nach der Provinz Guangdong an der Grenze zu Hongkong zweitwichtigster Produktionsstandort. Auch Gemeinschaftsunternehmen mit Honda, der Peugeotund Opelmutter PSA und Renault haben ihre Hauptsitze in der abgeriegelten Provinzhauptstadt Wuhan. Dazu kommen noch rund 700 in- und ausländische Autozulieferer, die in der Region Teile für die globale Autoindustrie herstellen.
Einer dieser Automobilzulieferer ist Mahle mit Sitz in Stuttgart. Mahle produziert in China derzeit an rund 20 Standorten – auch in Wuhan, der Stadt von der aus sich das Virus verbreitete. Dort ruhe der Betrieb bis auf Weiteres, außerhalb Wuhans sei die Arbeit aber teilweise wieder aufgenommen worden, teilt ein Sprecher des Unternehmens mit. „Grundsätzlich handelt es sich aber natürlich um ungeplante Produktionsausfälle, die auch wirtschaftlichen Schaden nach sich ziehen werden“, sagt ein Sprecher. Beziffern oder präzisieren lasse sich dieser Schaden aber „mit Blick auf den weiterhin unklaren Verlauf derzeit nicht“.
Auch Autozulieferer Marquardt aus Rietheim-Weilheim im Landkreis Tuttlingen blickt besorgt auf die Entwicklungen in China. Die Produktion in den beiden chinesischen Werken von Marquardt in Weihei und Shanghai laufe auf deutlich geringerem Niveau. „Das Coronavirus wirkt sich auf den gesamten globalen Lieferstrom und damit auch auf unser Unternehmen aus, es kommt zunehmend zu Engpässen“, sagt ein Sprecher des Unternehmens im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. Denn die Lieferanten insbesondere in China würden ebenfalls reduziert arbeiten, ebenso deren Vorlieferanten. „So erhalten wir bestimmte Waren wie etwa Leiterplatten nicht zum benötigten Zeitpunkt. Andererseits rufen erste Kunden ihre Aufträge nicht mehr wie geplant ab, da sie aufgrund fehlender Teile nicht produzieren können. Die ohnehin sehr angespannte Situation in der Automobilindustrie verschärft sich dadurch noch mehr“, so der Sprecher. Marquardt stelle also Produktionsverzögerungen und -ausfälle auch mit negativen Auswirkungen auf den Umsatz fest.
Beim Autozulieferer ZF aus Friedrichshafen, der mit 40 Produktionswerken in China vertreten ist, gibt man sich gelassener. Rund zwei Wochen standen die Werke still, jetzt sei die Mehrzahl der Produktionswerke wieder offen. Nur drei Werke – zwei davon in der besonders betroffenen Provinz Hubei – seien noch geschlossen, teilt ein Unternehmenssprecher mit. Aber: „Die Auswirkungen auf Kunden sind bislang gering, denn die verlängerten chinesischen Neujahrsferien galten für alle Unternehmen gleichermaßen: So ruhte die Produktion bei Herstellern, Zulieferern und deren Lieferanten zeitlich synchron“, sagt der Sprecher. Und da ZF in China ganz überwiegend „local for local“produziere – also in China für China – seien Kunden außerhalb der Volksrepublik kaum betroffen.
Ziel sei es, die Lieferketten stabil und die Produktionsausfälle gering zu halten. „Teils sind Lieferungen aus anderen Werken möglich und können Engpässe kompensieren“, so der Sprecher.
Solche Nachrichten sind es dann unter anderem, die trotz des Coronavirus an der Börse für Zuversicht sorgen. In Frankfurt gehörten Autoaktien gestern zu den großen Gewinnern auf dem Parkett. Zudem hat die chinesische Regierung Steuersenkungen in Aussicht gestellt und die chinesische Notenbank erneut die Zinsen gesenkt. Das hat offenbar unter Anlegern die Hoffnung auf eine baldige Normalisierung von Wirtschaft und Produktion in China gestützt – auch wenn zeitweilig Einbußen zu erwarten sind.