Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
„Wir müssen taff vorangehen“
Wissenschaftsministerin Theresia Bauer fordert bei der Bürgeruniversität eine verständliche Wissenschaft im Kampf gegen Fake News
Von Harald Ruppert
GFRIEDRICHSHAFEN - Laut einer Studie haben 40 Prozent der Bevölkerung in Baden-Württemberg Zweifel an der Realität des Klimawandels. Als Gast der Bürgeruniversität der ZU präsentierte Baden-Württembergs Wissenschaftsministerin Theresia Bauer am Mittwoch im KarlMaybach-Gymnasium diese brisante Zahl. Und sie sprach darüber, was dagegen getan werden kann. Nicht nur gegen die Leugnung des Klimawandels, sondern generell gegen die Ausbreitung von Fake News in sich abgeschlossenen Gedankensystemen und Verschwörungsphantasien, die von Populisten verbreitet und gefüttert werden.
Dabei stellte sie die Rolle von Wissenschaft und Demokratie ins Zentrum. Die Wissenschaft brauche die Demokratie, sagte Bauer, weil die Demokratie einen Freiheitsraum garantiere, in dem die Wissenschaft überhaupt erst frei tätig sein könne. Umgekehrt brauche wiederum die Demokratie die freie Wissenschaft, weil nur sie in der Lage sei, Erkenntnisse und Hilfen zu drängenden Problemen beizutragen. Bauer führte den Coronavirus und die Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung an. Außerdem könne nur eine freie Wissenschaft Gesellschaften durch unbequeme Antworten und Schlussfolgerungen in die Lage zu versetzen, sich immer wieder selbst zu hinterfragen und zu erneuern.
Natürlich lobte Bauer den Hochschulund Wissenschaftsstandort Baden-Württemberg über den grünen Klee – ihr Land, in dem 5,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Forschung und Entwicklung gesteckt werden -, aber trotzdem trat sie nicht an, um Werbung in eigener Sache zu machen, sondern um sich auszutauschen. Nämlich mit dem Politikwissenschaftler und ZU-Professor Joachim Behnke, der die Rolle des Moderators übernahm, sowie mit Vertretern der jungen Generation: dem ZU-Studenten Jan Olsen sowie den KMG-Oberstufenschülern Jonas Zagst und Isabella KullmerIspas.
Gelogen wurde schon immer. Es sei aber eine neue Qualität, dass systematisches Lügen Politiker nicht mehr den Kopf koste, führte Theresia Bauer an. Damit gab sie der Diskussion den entscheidenden Drall. Was kann die Wissenschaft überhaupt noch bewirken, wenn ihre kritischen Erkenntnisse den populistischen Phrasen eines Donald Trump oder der AfD nicht mehr den Wind aus den Segeln nimmt? Bauer setzt auf diejenigen Bevölkerungsteile, die nicht schon von vornherein reflexartig nach den Welterklärungsmustern der Populisten greifen, sondern für Argumente der Wissenschaft offen seien, die das schiefe Bild von der Wirklichkeit zurechtrückten. Dazu müssten diese Informationen aber auch schnell bereitstehen und die Wissenschaft insgesamt näher bei den Menschen sein. Bauer plädierte für eine Wissenschaft, die sich verständlich äußert und die stärker in politische Debatten eingreift, als sich abseits der breiten Öffentlichkeit vor allem in Expertenzirkeln zu verbreiten. Außerdem müsse die Wissenschaft an jenen Fragen forschen, denen die Bürgerinnen und Bürger gesellschaftliche Relevanz zumessen.
Insbesondere die jungen Zuhörer im Cinema ermutigte sie zu einer selbstbewusst kritischen und reflektierten Haltung: „Man muss nicht erst seinen Doktor gemacht haben, um selbst zu denken“.
Mit Blick auf den Klimawandel stellte Joachim Behnke klar, dass die wissenschaftlichen Fakten ja auf dem Tisch liegen. Die Frage sei nicht, was wir in der jetzigen Situation gegen den Klimawandel tun sollten, sondern warum wir nicht das tun, was wir eigentlich wissen. Eine Frage, die sich nicht nur jeder Einzelne stellen muss, sondern auch die handelnde Politik. Warum, warf denn auch Jonas Zagst ein, entscheide die Politik oft gegen die wissenschaftliche Expertise? Hier erinnerte Theresia Bauer an den Grünen-Vorschlag, einen Veggie-Day einzuführen. Das war mit Blick auf die Rolle der Fleischproduktion für die Klimaerwärmung konsequent, aber: „Das Image der Verbotspartei hängt uns dadurch bis heute an.“
Es sei also nichts gewonnen, wenn Vorschläge richtig sind, damit aber die Bürger verprellt werden. „Wir müssen taff vorangehen, aber auch wissen, dass wir nichts gegen die Wähler machen können. Hier das Maß zu finden, ist das Thema der Zeit“, sagte die Wissenschaftsministerin.