Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Rolls-Royce Power Systems will Bergen Engines loswerden
Der Dieselmotorenbauer Rolls-Royce Power Systems rüstet sich für eine unsichere grüne Zukunft
FRIEDRICHSHAFEN (ben) - Der Motorenbauer Rolls-Royce Power Systems (RRPS) überlegt, sich von einem Teil seines Geschäfts zu trennen. „Wir unterziehen unseren Bereich Bergen Engines einer strategischen Überprüfung“, sagte RRPS-Chef Andreas Schell bei der Bilanzpressekonferenz des Traditionsunternehmens in Friedrichshafen am Bodensee. Bergen Engines mit Hauptsitz im norwegischen Bergen stellt mittelschnell laufende Gasmotoren für die Schifffahrt und zur Energieerzeugung her und ist im vergangenen Jahr erneut in die Verlustzone gerutscht.
Von Benjamin Wagener
GFRIEDRICHSHAFEN - Wenn Zugbremsen kreischen, spüren oder vielmehr hören Reisende am Bahnsteig, welche Kräfte wirken, um Lokomotive und Waggons zum Stehen zu bringen. Es sind Gewalten, die der Friedrichshafener Motorenbauer RollsRoyce Power Systems (RRPS) nutzen will – zum Einsparen von Treibstoff, zur Reduzierung von Emissionen und nicht zuletzt zum eigenen Überleben. Denn das Traditionsunternehmen sucht Produktalternativen zum klassischen Dieselmotor, für den RRPS in aller Welt bekannt ist, auf den RRPS-Chef Andreas Schell aber in Zeiten von Fridays for Future, Greta Thunberg und Klimawandel nicht mehr allein setzen will.
Die kreischenden Zugbremsen haben Schell und sein Ingenieursteam auf die Idee gebracht, ein Motorensystem für Eisenbahnzüge zu entwickeln, das ein Dieselaggregat mit einer elektrischen Maschine kombiniert. Auf diese Weise soll die aufgewendete Bremsenergie in elektrischen Strom umwandelt werden, den die Lokomotive wiederum für den Antrieb verwenden kann. „So können 25 Prozent des Treibstoffs gespart werden“, erläutert Andreas Schell. Der Motor heißt HybridPower-Pack – und RRPS liefert das erste Serienmodell im Mai an die britische Eisenbahn-Leasingfirma Porterbrook aus. Der nächste Kunde ist das irische Eisenbahnunternehmen Irish Rail.
Für Schell sind Antriebe wie die Hybrid-Power-Packs Wegmarken auf dem Weg hin zu klimafreundlicheren Produkten. „Wir gehen die Energiewende und den Klimawandel technologieoffen an. Und wir entwickeln Technologien, um Antriebsleistung und Energie möglichst klimaneutral bereitzustellen“, erläutert der RRPS-Chef. Aktuell erwirtschaftet das Unternehmen seinen Umsatz allerdings vor allem mit klassischen Dieselmotoren. „In diesem Geschäft spielen wir Champions League und sind in der Lage, alle unsere Wettbewerber zu schlagen“, sagt Schell. „Das müssen wir auch, weil wir damit die Transformation finanzieren.“
Mit solchen alten Produkten hat RRPS in einem „herausfordernden Markt“, wie Schell sagt, den Umsatz 2019 erstmals über die Vier-Milliarden-Marke auf 4,04 Milliarden Euro gesteigert. Das entspricht einem Umsatzplus von vier Prozent. Der operativen Gewinn wuchs um 15 Prozent auf 407 Millionen Euro. Die Umsatzrendite verbesserte sich damit um 0,9 Prozentpunkte auf 10,1 Prozent. Mehr als ein Drittel der Umsätze erwirtschafteten die 10 300 Mitarbeiter von RRPS mit Motoren zur Energiegewinnung, ein Viertel mit Aggreagaten für Baufahrzeuge, Landmaschinen und die Eisenbahn und 28 Prozent mit Schiffsmotoren.
Noch spielen die klimafreundlicheren Produkte keine Rolle, das soll sich aber nicht nur mit den HybridPower-Packs ändern. Neben den neuen Eisenbahnsystemen bietet das
Unternehmen Gasmotoren an, die sechs Prozent klimafreundlicher seien als Dieselaggregate – Schiffe im niederländischen Wattenmeer und die Bodenseefähre, die zwischen Meersburg und Konstanz pendelt, werden die Motoren künftig nutzen. Zudem arbeitet RRPS an Anlagen für synthetische Kraftstoffe und ist mit dem Autobauer Daimler eine Brennstoffzellen-Partnerschaft eingegangen. „Wir glauben an den Wasserstoff als zukünftigen Kraftstoff“, erklärt Schell. Bis Ende 2020 soll am Stammsitz in Friedrichshafen eine Demonstrationsanlage entstehen, die Serienreife ist für 2023/24 geplant. „2020 wird das erste Jahr sein, in dem wir nicht ausschließlich Produkte ausliefern, die Verbrennungskraftstoff benötigen“, erklärt Schell mit Blick auf sogenannte MicrogridSysteme. Das sind autarke Anlagen zur Stromerzeugung aus Wind und Sonne, die kombiniert mit Dieseloder Gasmotoren eine sichere Versorgung gewährleisten.
Klar ist, dass all diese Produkte Wetten auf die Zukunft sind. Noch ist unsicher, wann und ob sie jemals maßgeblich zum RRPS-Umsatz beitragen werden. Doch noch eine zweite Unsicherheit belastet den Motorenbauer vom Bodensee. Der britische Mutterkonzern, der Turbinenbauer Rolls-Royce, steckt seit Jahren wegen schwerwiegender Probleme mit seinen Trent-1000-Triebwerken in finanziellen Schwierigkeiten. Weil sich die Triebwerkschaufeln für das Boeing-Modell Dreamliner vorzeitig abnutzen, schreibt das Unternehmen Verluste, die sich 2019 auf rund 1,5 Milliarden Euro beliefen. Für die Briten waren die Gewinne des Motorenbauers vom Bodensee in den vergangenen Jahren eine Art Lebensversicherung, ohne die der Konzern möglicherweise in Zahlungsprobleme gekommen wäre.
RRPS-Chef Schell betont, dass die Rolls-Royce-Führung um CEO Warren East „sehr, sehr zufrieden“sei mit den Ergebnissen des Friedrichshafener Unternehmens, das immerhin 23 Prozent zum Umsatz des Gesamtkonzerns beisteuert. „Natürlich haben wir einen höheren Umsatz und damit auch einen höheren Gewinn angestrebt, aber das haben wir nicht geschafft“, sagt Schell weiter. RRPS-Betriebsratschef Thomas Bittelmeyer blickt skeptischer auf die Vorgaben aus London. „Ich habe London noch nie hochzufrieden erlebt, die Forderungen sind immer exorbitant. Manchmal glaube ich, die haben noch nicht verstanden, dass die Planwirtschaft abgeschafft ist, wenn sie uns immer neue Zahlen vorgeben“, sagt der Arbeitnehmervertreter. Vor allem sorgt sich Bittelmeyer, dass die Trent-Triebwerke noch immer nicht fehlerfrei arbeiten. „Zuerst haben wir gehört, dass die Probleme vorletztes Jahr gelöst worden sind, dann sind sie letztes Jahr gelöst worden, und nun gibt es sie immer noch“, erklärt Bittelmeyer. „Die anderen Sparten müssen das mit ihren Gewinnen ausgleichen.“
Während RRPS-Chef Schell an den Schwierigkeiten des englischen Mutterkonzerns nichts ändern kann, geht er ein anderes Problem aktiv an: das Problem des seit Jahren vergeblich um schwarze Zahlen kämpfenden Geschäftsbereichs Bergen Engines. Das Unternehmen mit Hauptsitz im norwegischen Bergen, das seit 2015 zu RRPS gehört, stellt mittelschnell laufende Gasmotoren für die Schifffahrt und zur Energieerzeugung her und beschäftigt rund 1000 Mitarbeiter – vor allem in Norwegen. Bergen Engines steuert rund 340 Millionen Euro zum Gesamtumsatz von RRPS bei und schrieb nach einer schwarzen Null 2018 in den vergangenen zwölf Monaten Verluste in Höhe von rund 21 Millionen Euro. „Ich habe mir Bergen Engines im vergangenen Sommer angeschaut, und Aufwand und Ertrag einer vollständigen Integration in unsere Zukunftsprojekte stimmen nicht überein“, erläutert Schell weiter. Im Gespräch sei daher ein Verkauf oder auch eine Abgabe des Geschäftsbereichs in ein Gemeinschaftsunternehmen mit einem anderen Konzern. Potenzielle Erlöse aus dem Verkauf fließen nach Angaben Schells nicht nach Großbritannien. „Wir haben viel investiert – unter anderem in Qinous. Da können und sollen weitere Investitionen folgen“, sagt Schell mit Blick auf die Investition in den Berliner Batteriespeicherspezialisten, den RRPS zum Microgrid-Kompetenzzentrum ausbauen will.
Doch auch das wird noch dauern. Zunächst blickt Andreas Schell auf das Geschäft mit der Kraft aus kreischenden Eisenbahnbremsen. Denn neben dem erfolgreichen Verkauf nach Großbritannien gehen auch die Gespräche mit der baden-württembergischen Landesregierung weiter. Im April will sich RRPS wieder mit den Verantwortlichen in Stuttgart treffen. Das Ziel von Andreas Schell: Die Hybrid-Power-Packs sollen bald auch auf der Bodensee-Gürtelbahn unterwegs sein.