Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Elite-Partnersuche im 19. Jahrhundert
Gelungene Neuverfilmung des Jane Austen Klassikers „Emma“
Es gab keine Dating-Webseiten, erst recht kein Tinder – vielmehr konnte man als unverheiratete Frau der besseren Gesellschaft nicht einmal zwanglos ohne Begleitung aus dem Haus gehen. Wie also ließ sich im England des frühen 19. Jahrhunderts eine standesgemäße Partnerschaft anbahnen? Da gab es gesellschaftliche Ereignisse, eifriges Briefeschreiben – und Emma.
Die junge Frau hat sich als so eifrige wie selbstbewusste Kupplerin einen Platz in der Literaturgeschichte gesichert, seit die Autorin Jane Austen sie 1815 zur Heldin eines nach ihr benannten Romans gemacht hat. Dabei ist diese 21-Jährige insbesondere für die damalige Zeit eine äußerst zwiespältige Figur: Sie ist finanziell unabhängig, charmant und intelligent, andererseits ist sie auch mit einem starken Klassenbewusstsein und Eigensinn bis hin zur Selbstüberschätzung ausgestattet, ohne dabei die Konsequenzen des eigenen Tuns voll zu erfassen. Austen selbst soll seinerzeit gesagt haben „Ich werde eine Heldin schaffen, die keiner außer mir besonders mögen wird“.
Entsprechend breit waren auch die Darstellungen in den bisherigen „Emma“-Verfilmungen – von der sehr selbstbewussten Highschool-Königin Alicia Silverstone in der freien Adaption „Clueless“bis hin zur etwas liebenswerteren Gwyneth Paltrow in der 1996er-Verfilmung. Darüber hinaus gibt es eine indische Kinofassung, zahlreiche britische Fernsehserien, eine Manga-Adaption und gleich zwei Youtube-Webserien.
Braucht es dann wirklich noch einen weiteren Kinofilm, mag man daraufhin fragen. Doch die Antwort fällt sehr ähnlich aus wie vor wenigen Wochen bei „Little Woman“, ebenfalls eine neue Adaption eines Romanklassikers über das Erwachsenwerden: Mit einer frischen Inszenierung, engagierten Darstellern und imposanten Kostümen lässt sich auch aus wohlbekannten Stoffen noch eine Menge herausholen. So steht und fällt eine „Emma“-Verfilmung mit ihrer Hauptfigur. Die Amerikanerin Anya Taylor-Joy hat bereits in Filmen wie „Split“und insbesondere „Vollblüter“gezeigt, dass sie zu Recht zur Riege der spannenden jungen Schauspielerinnen gehört. Ihre Emma ist eine komplexe Persönlichkeit, die sich um ihren verwitweten, schrulligen Vater (Bill Nighy) kümmert, durchaus Mitgefühl für weniger gut gestellte Mitmenschen hat, gleichzeitig aber auch äußerst von sich eingenommen ist.
So geschieht es auch nicht ganz ohne Eigennutz, dass Emma die junge Harriet (Mia Goth) unter ihre Fittiche nimmt. Das ohne Eltern aufgewachsene Mädchen hat ein Auge auf den früh verwitweten Farmer Mr. Martin (Connor Swindells) geworfen, doch der wird von ihrer neuen Freundin als nicht standesgemäß abgelehnt – vermutet sie doch, dass Harriet ursprünglich aus gehobenem Hause stammt. So will sie diese mit dem örtlichen Pastor Mr. Elton (Josh O’Connor) verkuppeln. Allerdings ist dieser keineswegs so selbstlos, wie er sich zunächst gibt und entwickelt im Laufe der Kuppelei auch noch Gefühle für Emma.
Das mag schon recht kompliziert klingen, aber damit ist noch nicht einmal die Hälfte der relevanten Figuren genannt. Zwar schließt Emma die Ehe für sich aus, flirtet aber etwas mit dem reichen Erben Frank Churchill (Callum Turner). Der einzige, der ihr gelegentlich die Meinung sagt, ist ein Freund aus Kindheitstagen, Mr. Knightley (Sänger Johnny Flynn). Und dann gibt es auch noch Neuankömmlinge: Jane Fairfax (Amber Anderson) etwa, die es wagt, offenkundig talentierter als Emma zu sein. Und eine weitere jüngere Frau, gespielt von
Tanya Reynolds, bekannt als schräge Lily aus der Netflix-Serie „Sex Education“, kommt durch Heirat in Emmas kleine, aber dichtbevölkerte Welt und verstößt gegen diverse gesellschaftliche Standards.
Die bislang vor allem als Porträtfotografin von Musikern bekannt gewordene Autumn de Wilde sorgt in ihrem Regiedebüt dafür, dass man trotz der zahlreichen Charaktere stets den Überblick behält. Und auch auf die ganz kleinen Nebenfiguren lohnt zu achten: Zwar spricht das Personal in den diversen hochherrschaftlichen Häusern meist kein Wort – deren Blicke am Rande des Geschehens sprechen aber oft Bände.
Regie: Autumn de Wilde. Mit Anya Taylor-Joy, Johnny Flynn, Josh O'Connor. Großbritannien 2020. 125 Minuten.