Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Nur noch kurz die Welt retten
Das Stuttgarter Europa Ensemble zeigt in „The Clickworkers“die schöne neue Arbeitswelt
GSTUTTGART - Das Schauspiel des Staatstheaters Stuttgart hat Ernst gemacht und zusammen mit dem Nowy Teatr in Warschau, Zagreb Youth Theatre und Nationaltheater Athen ein Europa Ensemble gegründet. Man entwickelt gemeinsam europäisches Theater. Am vergangenen Wochenende gab es in Stuttgart nun eine furiose Uraufführung zu der Frage, wie die zukünftige Arbeitswelt aussehen könnte. Sechs Schauspielerinnen und Schauspieler aus Kroatien, Bosnien, Polen und Deutschland stehen als Clickworker auf der Bühne und führen vor, wie das ist, wenn eine Arbeitskraft sich nur noch am Computer verausgabt.
Ganz im Innersten, also dort wo die Welt und wir Menschen vielleicht ja doch noch zusammengehalten werden, geht es um den derzeit so inflationär gebrauchten Begriff der Authentizität und natürlich auch um den Begriff der Arbeit. Das mit der Authentizität ist ein Versprechen und besagt, dass alles gut wird, wenn du nur immer ganz ehrlich du selbst sein willst. Das mit der Arbeit versteht sich eh von selbst: Der Mensch muss irgendwie Geld verdienen; Arbeit ist aber auch unerlässlich für das Selbstwertgefühl.
Die Stuttgarter Clickworker würden das doppelt unterstreichen und sogar noch einen Schritt weiter gehen. Bei ihnen soll alles moralisch absolut sauber ablaufen. Der einzige
Mensch, auf den ein mit dem Mausclick arbeitender PC-Netzwerker keine Rücksicht nimmt, ist er selbst.
Im Prinzip kann er arbeiten, bis er tot vom Stuhl fällt, der PC flackert weiter. Das ist das eigentliche Thema der bosnischen Regisseurin Selma
Spahic und des Autors Dino Pešut: die entgrenzte Selbstausbeutung unter dem Diktat der politischen Korrektheit.
Spahic und Pešut präsentieren uns nicht Menschen alleine daheim am Bildschirm. „The Clickworkers“ spielt an einem jener Arbeitsplätze, an denen Menschen angeblich völlig selbstbestimmt in Gruppen werkeln, es keine Hierarchien mehr geben soll und man sich derart neidlos gegenseitig hilft, dass das fast schon unmenschlich ist. Ob sowas tatsächlich funktionieren kann, wird wie in einer Versuchsanordnung mit ganz unterschiedlichen Temperamenten durchgespielt.
Tenzin Kolsch (Deutschland) ist ein eher entspannter PC-Akteur, Adrian Pezdirc (Kroatien) dagegen ein sensibler Schlacks, der mit einer Zimmerplanze die guten Schwingungen des Tages teilt. Jasmina Polak (Polen) spielt eine eiserne Lady, die sich überall durchbeisst, während Andela Ramljak (Bosnien) unter dem brutalen Dauerstress wohl zusammenbrechen wird. Ein Arbeitsparadies ist das nicht wirklich, schließlich ist da auch noch Claudia Korneev (Deutschland) und spielt eine jener Chefinnen, die sich ganz kollegial geben, aber immer das Gefühl vermitteln, sowieso am längeren Hebel zu sitzen.
Um ins Zentrum der aktuellen Authentizitätsdebatte zielen zu können, arbeiten die Stuttgarter Selbstausbeuter für einen großen Konzern, verkaufen T-Shirts und retten mit dem Erlös Rehe. Anders gesagt: Die Live-Work-Balance ist dann optimal, wenn der einzelne Clickworker mit seiner Arbeitskraft Schindluder treibt und möglichst viel für die Umwelt tut. Hinzu kommt: Jeder muss absolut glaubwürdig wirken, tut er das nicht, wird er mit allergrößtem Mitgefühl gemobbt.
Selma Spahic inszeniert diesen Arbeitsplatz der globalisierten Moderne, als würden Finanzjongleure der Deutschen Bank in möglichst kurzer Zeit möglichst viele Wertpapiere an möglichst ahnungslose Kunden verkaufen, dabei aber wie Mutter Teresa aus der Wäsche gucken. Einem Online-Broker kann man ja immer unterstellen, es sei ihm völlig egal, dass er zum Zwecke der Selbstbereicherung mit dem Geld anderer zockt. Bei den Stuttgarter Netzwerkern fällt das nicht so leicht, sollte man doch davon ausgehen, dass sie bis in die letzte Faser ihres Daseins davon beseelt sind, die Welt zu retten. Spahic inszeniert aber eine derart ironisch überzeichnetes „Wir sind ja alle so lieb und korrekt“, das man das Gefühl nicht los wird, das alles sei eine einzige Lüge.
Nicht gelogen ist dagegen, dass dem Europa Ensemble mit seiner neuesten Arbeit ein bemerkenswertes Stück Theater gelungen ist. Gespielt wird übrigens in englischer Sprache mit Übertitelung – aber nicht um verzweifelte Brexiteers zurück aufs europäische Festland zu locken, sondern weil internationales Theater nur so funktionieren kann. 12. März. Karten unter:
am 11. und