Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Föderalismus erneuern
Die Reaktion der Bundesländer auf die Verbreitung des Coronavirus zeigt überdeutlich die Schwächen unseres Föderalstaates auf: Auf die Empfehlung von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, Großveranstaltungen mit mehr als 1000 Personen abzusagen, reagierten die Länder am Dienstag verschieden: Bayern setzte um. Baden-Württemberg eierte lange herum, bis klar war, dass auch der Südwesten dem folgt. Und Berlins Regierender SPD-Bürgermeister Michael Müller brauchte noch bis Mittwoch bis zur Erkenntnis, dass ein Fußballspiel zwischen dem FC Union und Bayern München mit vollem Stadion keine gute Idee ist. Vertrauen schafft man so nicht.
Dass Müller gleichzeitig den föderalen „Flickenteppich“beklagte, zeigt, dass er weder den Ernst der Lage noch den Föderalismus recht verstanden hat. Denn Föderalismus heißt, vor Ort Verantwortung übernehmen. Nicht, sie wegzuschieben.
Damit die Sicherheit der Bevölkerung nicht von einem überforderten Regierenden Bürgermeister abhängt, ist eine Föderalismusreform nötig. Diese reicht idealerweise weit über die aktuelle Krise hinaus: Ob Terrorabwehr oder Schulpolitik – in vielen Dingen stehen sich Bund und Länder unnötigerweise im Weg. Es ist an der Zeit, diese Beziehungen mal wieder auf neue Füße zu stellen.
Allerdings sollte man sich nicht der Illusion hingeben, dass eine von manchen erträumte Zentralisierung in jedem Fall besser ist. Bei vielen Themen ist Berlin nicht nur geografisch zu weit weg, um vor Ort passende Lösungen zu finden. Allein die Frage, ob ein Windrad mindestens tausend Meter von Häusern entfernt stehen soll, wird in Stuttgart anders beantwortet als in Kiel. Und in beiden Fällen besser als in Berlin.
Der Föderalismus hat Schwächen. Diese müssen benannt und abgestellt werden – beginnend beim Ministerpräsidententreffen am Donnerstag in Berlin. Doch der Föderalismus als Übernahme von Verantwortung und Ideenwettbewerb unter Nachbarn muss bleiben. Richtig verstanden und an die Bedürfnisse der Zeit angepasst, nutzt er dem ganzen Land.