Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Diskussion um Schulschließungen hält an
Spahn und Eisenmann gegen Forderung des Lehrerverbands – Merkel ruft zur Solidarität auf
STUTTGART/BERLIN - Angesichts der steigenden Zahl von Infektionen mit dem Coronavirus hat Kanzlerin Angela Merkel (CDU) alle Bürger zur Solidarität aufgerufen. Mit Blick auf besonders gefährdete ältere und chronisch kranke Menschen sagte sie am Mittwoch in Berlin: „Da sind unsere Solidarität, unsere Vernunft, unser Herz füreinander schon auf eine Probe gestellt, von der ich mir wünsche, dass wir diese Probe auch bestehen.“Im besonders betroffenen Kreis Heinsberg in Nordrhein-Westfalen starb ein zweiter mit dem Virus infizierter Patient. Die Weltgesundheitsorganisation
(WHO) stufte die Verbreitung nun als Pandemie ein.
Merkel empfahl, wegen der Ansteckungsgefahr auf den Handschlag als Begrüßungsritual zu verzichten. „Dafür eine Sekunde länger in die Augen gucken und lächeln, und nicht schon mit der Hand beim Nächsten sein, ist auch eine gute Möglichkeit“, sagte die CDU-Politikerin. Es sei die zentrale Aufgabe, die Ausbreitung des Virus einzudämmen. „Es ist eben nicht egal, was wir tun, es ist nicht vergeblich, es ist nicht umsonst.“
Dennoch sorgt das uneinheitliche Vorgehen der Bundesländer für Debatten. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sagte zwar, es sei gut, dass viele Veranstaltungen mit mehr als 1000 Besuchern abgesagt würden. De facto haben dies jedoch nicht alle Bundesländer beschlossen.
Derweil forderten die Gymnasiallehrer im Südwesten wegen Corona eine präventive Schließung aller Schulen bis zu den Osterferien, also bis zum 3. April. Die Gesundheitsämter handelten völlig uneinheitlich, erklärte der Philologenverband. Außerdem könnten die Schulen nicht wirksam überprüfen, ob Schüler in den Faschingsferien in Risikogebieten waren, etwa in Südtirol. BadenWürttembergs Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) lehnte dies ab: „Unser Kurs ist, dass wir weiterhin besonnen, lageorientiert und auf Basis der Einschätzung der Gesundheitsämter vor Ort agieren.“Auch Bayerns Kultusministerium teilte mit, derzeit keine flächendeckenden Schulschließungen zu planen. In Baden-Württemberg sind rund 20 Schulen geschlossen, in Bayern waren es am Mittwoch 80, von denen heute 24 wieder öffnen sollten. Die Hochschulen in Baden-Württemberg starten derweil erst nach den Osterferien ins Sommersemester.
Indes will Dänemark ab Montag alle öffentlichen Schulen und Kitas für 14 Tage schließen. In Italien müssen nach einer Entscheidung von Mittwochabend nun auch noch sämtliche Restaurants und die meisten Geschäfte zu bleiben.
STUTTGART - Nach den Osterferien wird es ernst für Zehntausende Schüler, darunter 29 000 Abiturienten: dann beginnen an den weiterführenden Schulen die Abschlussprüfungen. Doch geht das überhaupt angesichts der Coronoa-Krise im Land? Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) reagiert gelassen. Drastischen Forderungen der Gymnasiallehrer will die grün-schwarze Landesregierung zunächst nicht nachkommen.
Alle Schulen schließen – das ist der Wunsch des Philologenverbandes im Südwesten. „Wenn nicht sofort drastische Maßnahmen zur Eindämmung eingeleitet werden, könnten in drei Wochen in Baden-Württemberg Zehntausende infiziert sein“, teilte der Lehrerverband am Mittwoch mit. Die Gesundheitsämter handelten völlig uneinheitlich. Außerdem könnten die Schulen nicht wirksam überprüfen, ob Schüler in den Faschingsferien in Risikogebieten waren – etwa im Ski-Urlaub in Südtirol. Zur Vermeidung einer Pandemie müssten alle Schulen bis zum 3. April geschlossen werden.
Sowohl Eisenmann als auch Kabinettskollege Manfred Lucha (Grüne) halten das für wenig sinnvoll, zumindest zum jetzigen Zeitpunkt. Die Lage werde laufend neu bewertet und je nach Situation an den einzelnen Schulen bewertet, und das mit den Gesundheitsämtern. Die Entscheidungen hingen jeweils stark davon ab, ob es neue Verdachtsfälle oder Infizierte gebe und wie viele Schüler die Lehrer betroffen seien.
Derzeit sind laut Ministerium rund 20 Schulen im Land geschlossen. Lucha verwies darauf, dass es klare Vorgaben für die Schulen gebe: Wer in den vergangenen 14 Tagen in einem Risikogebiet war, soll zuhause bleiben. Auch, wenn er keine Symptome einer Corona-Erkrankung zeigt. Derzeit gehören dazu unter anderem Italien, Teile Südkoreas, Iran, die Provinz Hubei in China in Frankreich dass Elsass, Lothringen und Champagne-Ardenne.
Bund und Land verfahren nach Vorgaben des Robert-Koch-Instituts. Dieser Plan hat drei Stufen, noch befindet sich Deutschland in der ersten. Darin ist das Ziel vor allem, die Ausbreitung einzudämmen: Daher isoliert man möglichst rigoros jeden, der Kontakt zu Corona-Infizierten gehabt haben könnte. Außerdem bemühe sich die Behörden, die Infektionsketten nachzuvollziehen. So soll der Höhepunkt der Erkrankungswelle verzögert und abgeschwächt werden. Zwar führt das Virus nach heutigem Wissenstand laut Weltgesundheitsorganisation WHO nur in sechs Prozent der Fälle zu kritischen Komplikationen. Doch wenn sich sehr rasch sehr viel Menschen anstecken, könnte das Krankenhäuser stark beoder gar überlasten – wie derzeit in Italien zu beobachten.
Für die Frage von Schulschließungen hat das aus Sicht Luchas folgende Bedeutung: Kinder und Jugendliche
scheinen sich zwar nach heutigem Stand auch zu infizieren, bei ihnen bricht die Krankheit selbst aber seltener aus als bei Erwachsenen. So entfallen in Baden-Württemberg weniger als zehn Prozent der Fälle auf Kinder und Jugendliche. „Insofern kann angenommen werden, dass Kinder bei der Übertragung des Virus allenfalls eine geringe Rolle spielen“, so Lucha Diese Einschätzung teilt die WHO. Schulschließungen lösen weitere Fragen aus. Vor allem, wie jüngere Kinder betreut werden sollten und was das für die Arbeitswelt bedeutet. Christian Drosten, Direktor des Instituts für Virologie der Charité in Berlin, hält Schließungen daher für verfrüht. Sie seien gegebenenfalls später sinnvoll, wenn erheblich mehr Menschen infiziert seien.
Dagegen fordert Alexander Kekulé, Direktor am Institut für Medizinische Mikrobiologie der Universität Halle, 14-tägige Corona-Ferien für Schulen und Kitas. Nur so lasse sich die Verbreitung des Virus verlangsamen.
Gut vorbereitet sieht sich der Südwesten für die ab dem 22. April startende Prüfungen an den weiterführenden Schulen. „Stand jetzt gehe ich davon aus, dass sie an 80 bis 90 Prozent aller Schulen planmäßig ablaufen können“sagte Eisenmann. Klar sei aber: „Es muss gerecht zugehen, kein Schüler darf benachteiligt werden.“Wenn eine Schule wegen Corona längere Zeit schließen müsse, müssten die Prüfungen nach hinten verschoben werden. Den Prüflingen fehle sonst Unterricht zur Vorbereitung. Deswegen entwickeln die Fachleute mehr Aufgaben für die Abschlussarbeiten aller Schulen. Der Grund: Schüler einer Schulart absolvieren im ganzen Land die selben Aufgaben. Kann eine Schule nicht teilnehmen, benötigt sie andere Prüfungsfragen. In jedem Jahr bietet das Land für erkrankte Schüler oder andere Notfälle feste Nachschreibetermine. In diesem Jahr soll es deutlich mehr davon geben.
Die Gymnasien beteiligen sich am bundesweiten Aufgabenpool für die Abiturprüfungen in Deutsch, Mathematik, Englisch und Französisch. Eisenmann will sich bei ihren Kollegen aus den übrigen Bundesländern dafür einsetzen, in diesem Jahr keine Prüfungen aus dem Bundespool zu bestücken. Denn wenn Abi-Klausuren mit den selben Aufgaben nicht von jedem Bundesland gleichzeitig stattfinden, gibt es naturgemäß Probleme. Ebenso wollen die Kultusminister bei ihrem Treffen besprechen, wie es mit der Bewerbung um Studienplätze weitergeht. Eisenmann ist dafür, die Fristen dafür zu lockern – wer aus Corona-Gründen etwa erst im Juli sie Abi machen kann, wäre sonst im Nachteil. Ähnliches wünscht sie sich für den Start des Ausbildungsjahres, das normalerweise am 1. September beginnt.
Indes hat sich bis Mittwochabend die Zahl der Corona-Infizierten im Südwesten auf insgesamt 335 Menschen erhöht. Vom Landesgesundheitsamt sind am Mittwoch 58 NeuInfektionen gemeldet worden.