Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Ja zur Herzlichkeit, nein zu Hamsterkäufen
Was Merkel und Spahn zur Corona-Eindämmung planen – und was sie Bürgern raten
Von Hajo Zenker
GBERLIN - Dass die Ausbreitung des Coronavirus unbedingt verlangsamt werden muss, dass man ausgiebig Hygiene betreiben, Veranstaltungsbesuche überdenken, Ältere und chronisch Kranke besonders schützen muss, hat man alles in den vergangenen Tagen immer wieder gehört. Auch und gerade von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und von Lothar Wieler, dem Chef des Robert-Koch-Instituts. Auch und gerade hier in der Bundespressekonferenz, wo die beiden Männer regelmäßig den Stand der Dinge in Sachen Corona erläutern.
Neu war am Mittwoch, dass neben ihnen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) saß und sich erstmals ausführlich zu der Epidemie äußerte. Bei der Bewältigung seien „unsere Solidarität, unsere Vernunft, unser Herz füreinander schon auf eine Probe gestellt, von der ich mir wünsche, dass wir sie auch bestehen“. Das war einerseits ein Appell an die Bürger, aber auch an politisch Verantwortliche. Der bundesweite Flickenteppich der vergangenen Tage bei der Genehmigung oder der Absage von Großveranstaltungen passt der Kanzlerin gar nicht. Wenn man im Föderalismus viel Entscheidungsgewalt vor Ort habe, dürften die Zuständigen „Verantwortung aber nicht wegschieben, sondern müssen sie wahrnehmen“. Deshalb will Merkel am Donnerstag die Ministerpräsidenten auf Linie bringen.
Merkel predigt in ihren Ausführungen Vernunft und Zusammenhalt. Man wisse wenig über das Virus, noch gebe es keine Therapie, keine Impfung. Deshalb müsse das öffentliche Leben eingeschränkt werden. Es sei „nicht egal, was wir tun, es ist nicht vergeblich, es ist nicht umsonst“. Es gehe um das Gewinnen von Zeit, um das Gesundheitswesen nicht zu überlasten.
Wichtig sei, dass alle staatlichen Ebenen arbeiten könnten, beispielsweise auch die Polizei, und dass wichtige Infrastrukturen funktionierten. „Fußball ohne Zuschauer ist nicht das zentrale Problem.“Statt
Hamsterkäufe zu machen, solle man beim Shoppen „Maß und Mitte“walten lassen. Man dürfe nicht auch noch diesen Versorgungsbereich zusätzlichem Stress aussetzen. Jeder könne durch sein Verhalten etwas Positives beitragen. Statt Händeschütteln könne man dem Gegenüber ja auch „eine Sekunde länger in die Augen gucken und lächeln“.
Große Sorgen macht sich die Kanzlerin über die wirtschaftlichen Auswirkungen von Corona. Die seien weniger kalkulierbar als bei der Finanzkrise. Damals habe man betroffene Banken und toxische Wertpapiere gekannt. Heute agiere man mit vielen Unbekannten. Sie nehme die Warnungen von Christine Lagarde, der Chefin der Europäischen Zentralbank, sehr ernst, die vor einer großen Krise gewarnt hatte.
Die Bundesregierung werde aber auf jeden Fall handeln – „schnell und besonnen“. Auf eine außergewöhnliche Situation werde man auch mit außergewöhnlichen Mitteln reagieren, so Merkel. Die wohl damit auch andeuten wollte, dass die bisher unantastbare schwarze Null, also der ausgeglichene Bundeshaushalt, zeitweilig kippen könnte.
Dass die Kanzlerin bei Corona in längeren Zeiträumen rechnet, konnte man an der Bemerkung erkennen, sie werde noch häufiger zu dem Thema
etwas sagen – da es seit dem ersten deutschen Infizierten sechs Wochen gedauert hat, bis sie sich äußerte, geht es zumindest um Monate. Das passt zu Spahns Bemerkung, Corona werde das Leben „möglicherweise bis zum Jahreswechsel“beeinträchtigen. Überhaupt versuchten beide Christdemokraten, ein Bild der Harmonie zu vermitteln. Sie habe einen „super Austausch“mit Spahn, „volles Vertrauen“. Der Minister mache „einen tollen Job“. Und Spahn erklärte, die Zusammenarbeit sei schon immer besser gewesen, als öffentlich vermutet.
Trotz der Ungewissheit und der vielen Risiken wirkte Merkel gelassen, teilweise gar heiter – während Spahn, wie seit Tagen, einen sachlich-ernsten Gesichtsausdruck machte. Den man dann wenig später auch im Bundestag bei der Regierungsbefragung sehen konnte, wo der Minister den Parlamentariern Rede und Antwort stand. Und für seine offene und gleichzeitig besonnene Art, mit dem Virus umzugehen, viel Lob von Abgeordneten von links bis rechts erntete. Triumph in der Stimme aber versagte er sich in seinen Reaktionen. Denn Spahn weiß: Noch ist nichts entschieden. Und damit nichts gewonnen. Für das Land nicht und für die eigene Karriere auch nicht.